Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2003
Predigt über Matthäus 5, 13-16, verfaßt von Bert Hitzegrad
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Jesus sagt:
„ 13 Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.
14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.
15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.
16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.”

Liebe Gemeinde!
Wer hat es nicht im Haus - Salz? Ein großes Paket gleich neben dem Herd, um beim Kochen die richtige Menge zur Hand zu haben. Und dann für den Tisch ein kleiner Salzstreuer, für das Frühstücksei, zum Nachwürzen, wenn die Suppe mal wieder etwas fade schmeckt. Und Licht - natürlich haben wir viel Licht: 100 Watt, Halogen, Energiesparlampen und auch die Kerzen, die jeden Festtag begleiten und jeden Abend in eine gemütliche Atmosphäre tauchen. Salz und Licht - es gibt kaum etwas, was alltäglicher ist, was so selbstverständlich zu unserem Leben hinzugehört. Und es gibt kaum etwas, was schon in kleinsten Mengen solch eine große Wirkung zeigt. Wenige Körnchen Salz lassen die Freude des Gaumens höher springen. Und die Wirkung eines einzigen Lichtes weiß der zu schätzen, der sich beim nächtlichen Stromausfall durch seine Wohnung tasten muss.
Dass Salz und Licht so selbstverständlich zu unserem Leben gehören, und dass beides bei geringster Menge eine große Wirkung zeigt, hat ihnen einen besonderen Platz in der Bergpredigt Jesu eingebracht.
„ Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt!”
So selbstverständlich kommt es aus dem Munde Jesu, dass man gar keine Zeit hat, sich zu wehren: „Meister, wir hätten gern die Wirkung von Salz und Licht, aber ...? Wo tragen wir als Christen in dieser Welt dazu bei, dass das Leben seine Fadheit verliert, dass das Grau des Alltags mit der Festtagsfreude wechselt? Wo sind wir so unverzichtbar wie Salz in der Suppe oder das Licht in der Dunkelheit? Meister, willst du nicht sagen: Ihr sollt so sein? Strengt Euch an mit Eurer Würzkraft der Liebe, lasst Eure Energien fließen in Eure Werke der Barmherzigkeit, damit sie endlich gesehen werden, als Vorbild, als Orientierung, als Optimierung der Verhältnisse auf dieser Welt!”

So selbstverständlich wie Jesus seine Worte sagt, so sehr scheint er überzeugt zu sein, dass diejenigen, die in seiner Nachfolge leben, so wirkungsvoll sind wie Salz und Licht: „Ihr seid das Salz, keine Frage! Kann denn Salz wirklich seine Wirkung verlieren? Wenn Ihr Euch zu mir bekennt, dann wird das auch nach außen dringen ... Salz, das nicht salzt, das gib es nicht. Licht, das nicht scheint, ist kein Licht. Helligkeit, Wärme, Liebe, kann nicht im verborgenen bleiben. Deshalb - Ihr seid es! Oder ihr seid es nicht, das Salz für den Wohlgeschmack, das Salz, das reinigt und auch vor Fäulnis bewahrt. Und ihr seid das Licht, das den Weg zeigt, keine Tranfunzeln, sondern klares, deutliches, helles Licht, das Richtung und Orientierung gibt.”
Sind wir es - oder sind wir es nicht?

Gerda Döring war es - Salz der Erde, Licht der Welt. Ich habe von ihr in diesem Sommer gelesen in einem kleinen Büchlein, das einen Ausschnitt aus ihrem Leben wiedergibt (F. Grotjahn, Eine Gerechte, Bochum 2002). Als ich aus ihrem Leben las und gleichzeitig schon den Predigttext vor Augen hatte, da wusste ich: Hier wird etwas erzählt von diesem Salz, wie es würzen kann, vielleicht auch brennt in den Wunden, die gerissen wurden, und hier wird ein Licht beschrieben, ein kleines, unscheinbares Licht, dass sich aber gegen die ganze Dunkelheit der Nazi-Zeit behaupten kann.

Gerda Döring war Pfarrfrau in der Nähe von Hildesheim. 1939 hatte ihr Mann dort seine erste Pfarrstelle übernommen, kurz danach wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Bei der Schlacht um Stalingrad wurde er vermisst. Die Gemeinde ohne Pastor wurde von der Pfarrfrau versorgt, am Sonntag hielt Gerda Döring die Gottesdienste. Zwei kleine Kinder hatten die Dörings, Georg und Dorothea. Und - Gerda Döring nahm 1943 ein drittes Kind zu sich: Sarah Herzberg. Sarah kam aus Berlin, war vier Jahre alt. Nach außen hieß es: Sie kommt aus der von Bomben bedrohten Großstadt auf das Land. Doch der eigentliche Grund war: Der nationalsozialistische Rassenwahn machte auch vor Kindern nicht halt. Sarahs Vorname machte es schon deutlich: Sie war ein jüdisches Kind. Sarah - diesen Namen mussten in der Nazi-Zeit alle Frauen zusätzlich zu ihrem eigenen Namen im Ausweis tragen, Hinweis darauf, dass sie Nachkommen der biblischen Sarah, Ahnfrau des Volkes Israel, sind.
Die vierjährige Sarah liebte ihren Namen. Doch von nun an sollte sie - um nicht aufzufallen - Magdalene heißen. Zum Schutz des Kindes nimmt Gerda Döring den Kampf auf sich. Den Kampf mit dem kleinen Mädchen, das die Welt nicht versteht und noch weniger die Pflegemutter; den Kampf mit der Dorfbevölkerung, die ahnt, wer in Wahrheit das Kind ist, aber den Mut der Pastorenfrau anerkennt; und den Kampf gegen den linientreuen Bürgermeister und Polizisten des Dorfes ... Ein Kampf, der ihr schlaflose Nächte beschert.

Magdalene - Sarah Herzberg hat den Krieg überlebt, dank Gerda Döring. Doch gedankt hat sie ihr dafür nicht. Gerda Döring konnte es verstehen: „Immer die Gefahr, dass sie sich verraten könnte. Und so lebte sie entweder im Haus wie in einem Kindergefängnis, oder, wenn wir ins Dorf gingen, hatte ich sie an der Hand” sagt Gerda Döring. „Sie muss sich wie an mich gekettet gefühlt haben, wie eine Gefangene an die sie begleitende Aufseherin.”

Wenn man ihr, Gerda Döring, sagen würde, sie war so ein Salz, das während der Nazizeit die Würde und die Würze des Lebens bewahrt hat, ob sie es auch so gesehen hätte? Und dass sie als Licht gegen die braune Trübung der Zeit Richtung und Orientierung gegeben hat, so dass sogar der Bürgermeister kurz vor Ende des Krieges sich vertrauensvoll in den Lichtkreis stellt, den die couragierte Pfarrfrau umgab? Vielleicht würde Gerda Döring eher von den Schatten sprechen, von den Kämpfen, von dem fehlenden Dank und von dem Wunsch Sarah Herzbergs, nach dem Krieg keinen Kontakt mehr zu ihr zu haben.

Salz der Welt und Licht der Erde - sie sind nicht, noch nicht so eindeutig und klar zu finden.
Vielleicht kommt daher die Unsicherheit, die entsteht, wenn wir die Worte Jesu hören: „Ihr seid es!” Und wir wissen doch, dass so viel an Kraft und Liebe noch fehlt.
Und dennoch: Ohne diejenigen, die die Liebe Jesu in diese Welt tragen, wäre das Leben hoffnungsloser und die Erde noch dunkler. Denn mit dem Zuspruch Jesu hat sein Reich schon längst begonnen - „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt.” Gegen die Meinungen, dass alles schlechter wird, auch in unseren Kirchengemeinden, das Salz, das den Wohlgeschmack des Reiches Gottes verbreitet; gegen den Anschein, dass in unserer Gesellschaft jeder nur noch an sich denkt, der Lichtschein, der von jedem ausgeht, der in seinem Nächsten das Ebenbild Gottes sieht.

Woher hatte Gerda Döring die Kraft, das Versteckspiel durchhalten, bis dann im Frühjahr 1945 das kleine Dorf durch die Amerikaner befreit wurde und Sarah Herzberg als „Gerette” nach Israel übersiedeln konnte?

Ich denke, es war ihr Glaube, der einfach da war und der ausstrahlen musste. Nein, Gerda Döring wollte keine Heldin sein und keine glänzende Gestalt in der sonst so trüben Zeit.
Sie wollte sich selbst nicht ins rechte Licht setzten, sondern dem jüdischen Mädchen in aller Dunkelheit der Zeit einen Hoffnungsschimmer geben - in aller Gebrochenheit, in aller Zweideutigkeit.

Weil Christus selbst das Licht ist, deshalb kann unser Leben hell werden, deshalb können wir durchscheinend sein wie ein buntes Fensterglas für seine Liebe.
Weil Christus selbst Heil und Heilung bringt, deshalb ist unser Leben voll vom Salz des Lebens, mit dem wir wirken und würzen können in dieser Welt.
Es kommt also nicht auf unsere Kraft an, auf unseren guten Willen und unseren Wunsch zu helfen. Es geht um die Frage des Glaubens und des Vertrauens. Ein Vertrauen, das sich unter den Segen Gottes stellt, von ihm alles erwartet, von ihm alles erhält. Ein Glaube, der einfach da ist und dann ausstrahlt - Licht, reichlich Licht, weil Christus es in unsere Herzen gibt, und ein Glaube der austeilt, Salz, nicht in dicken Klumpen die Suppe versalzend, sondern fein und wohlschmeckend, damit ein köstlicher Vorgeschmack des Reiches Gottes auf unserer Zunge liegt.
Ein Glaube - so selbstverständlich, so hilfsbereit, mit soviel Liebe und soviel Mut wie bei Gerda Döring. Ein Glaube - so selbstverständlich wie Salz und Licht.

„Ihr seid das Salz der Erde,” hat Rudolf Otto Wiemer einmal gedichtet, „vielleicht nur ein Korn, aber das Korn, man wird es schmecken.”
Ihr seid das Licht der Welt, vielleicht nur ein Funke, aber der Funke fällt hell auf den Weg.” Amen.

Liedvorschlag:
„ Ihr seid das Salz der Erde” mit dem Text von R.O.Wiemer nach der Melodie von Fritz Baltruweit.

Pastor Bert Hitzegrad
Claus-Meyn-Straße 11
21781 Cadenberge
eMail: BHitzegrad@aol.com

 

 


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