Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

8. Sonntag nach Trinitatis, 10. August 2003
Predigt über Matthäus 5, 13-16, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde!

In der Gedächtniskirche von Berlin - der Kirche, wo man nach dem zweiten Weltkrieg einen Teil der zerbomten Kirche stehen ließ und daneben eine neue Kirche baute - sind der Altar und die Ausschmückung des Altars sehr markant. Als ich einmal die Kirche in den Ferien besuchte, kam mir der Gedanke, wie anschaulich der Altarraum ist in bezug auf diesen Text aus dem Matthäusevangelium und die Gedanken, die sich aus ihm ergeben. Gedächtnis bzw. Erinnerung bezieht sich ja nicht nur auf die Kirchenruine, die dazu beiträgt, die Erinnerung an den Krieg lebendig zu erhalten. Über dem Altar befindet sich eine mächtige Christusfigur, die das Bild aus der Abendmahlsliturgie vom "gekreuzigten und auferstandenen Heiland, unserem Herrn Jesus Christus", wie es in der dänischen Abendmahlsliturgie heißt, zusammenfaßt. In der Darstellung liegt nach meiner Meinung mehr Auferstehung und Himmelfahrt als Kreuzigung und damit wird deutlich, daß Gedächtnis nicht nur Erinnerung bedeutet, sondern auch Ansatz zu einem neuen Leben.

Auf dem Altar selbst befindet sich eine Reihe von kräftigen, hohen Leuchtern - und als ich begann, sie zu zählen, wurde mir schnell klar, daß es zwölf sind. In der Tat, es sind zwölf.

Da ist ein Licht für jeden der zwölf Apostel, und zu ihnen wurden ja diese Worte zuerst gesprochen: "Ihr seid das Licht der Welt. Es kann eine Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind".

Das klingt so unendlich selbstverständlich - und dennoch so überraschend. Hätte Jesus nur gesagt: Versucht, das Licht der Welt und das Salz der Erde zu sein, oder strengt euch an, das zu werden - dann könnten wir damit vielleicht etwas leichter umgehen, um unserem Streben eine Richtung zu geben. Aber der Text handelt offenbar nicht von einem Streben. Es hängt scheinbar nichts daran, daß wir uns zusammenreißen und so Licht in der Welt und Salz in der Erde werden.

Es ist eher umgekehrt, so wie wir dies in vielen Berufungsgeschichten im Alten Testament hören. In der Erzählung von Moses, der ausersehen wird als der, der die Israeliten aus Ägypten führen soll - und in mehreren Fällen, wo von der Berufung eines Propheten erzählt wird, hören wir von einem Sich entziehen und Sich entschuldigen: einmal wegen der Jugend, einmal wegen des Alters, dann wegen fehlender Führungsqualitäten oder auch ganz allgemein: Das müssen andere besser können als ich. Jedes Mal ist da auf Seiten Gottes eine gewisse Ungeduld, weil ja niemals daran gedacht war, daß Moses oder die Propheten alles allein machen sollen. Gott will mit ihnen gehen. Er steht hinter ihnen als der, der sendet, und er ist vor ihnen als der, der den Weg weist. So verstehe ich auch den Text hier. Wenn zu den ersten Jüngern und allen anderen später gesagt wird: Ihr seid das Licht der Welt und das Salz der Erde - dann auch hier nicht um zu sagen, daß ihr so und so gut seid, sondern um zu sagen, daß euer Leben eine Bestimmung hat, denn es ist da zusammen mit allen Geschöpfen.

Wir können versuchen, an die Bilder des Schöpfungsberichts zu denken: Die Wölbung soll die Wasser trennen, das Wasser soll sich sammeln, damit die Erde zum Vorschein kommt, die Pflanzen sollen Samen ausstreuen, die Bäume solle Frucht tragen, Sonne und Mond sollen den Rhythmus des Tages und des Jahres anzeigen, die Fische sollen die Wasser füllen - und die Vögel sollen zahlreich auf Erden werden. Alles hat seine Bestimmung, und die Bestimmung des Menschen ist es, sich der anderen Geschöpfe anzunehmen und Mitarbeiter der Schöpfung zu sein.

Und erst dort, wo der Mensch Mensch ist nach seiner Bestimmung und seinem Wesen wie der Baum Baum ist nach seinem Wesen, wird Gott deutlich in der Welt, als Ursprung und Herkunft, als der Grund aller Dinge. Von hier aus verstehe ich die Worte Jesu: "Ihr seid das Licht der Welt und das Salz der Erde. Das ist unserer Bestimmung: Licht zu sein in der Welt als Reflexe des göttlichen Lichts.

Die zwölf Lichter auf dem Altar erinnern zwar in erster Linie an die ersten zwölf Jünger, aber ich vermute, daß wir alle, jeder von uns, Menschen haben, die Salz und Licht in unserem Leben wurden - die mit ihrem Leben dazu beigetragen haben, daß das Dasein reicher und tiefer wird, und die uns dankbar gemacht haben für ihr und unser eigenes Leben.

Schließlich greift der Text auch einer Wirklichkeit vor, die einstweilen nur in der Hoffnung und im Glauben lebendig ist, in der aber Gott etwas mit uns vorhat, das über unseren Tod hinausreicht.

Das kann man in Bildern und Visionen entfalten, so wie dies der Prophet Jesaja getan hat, als er seine Vision von der kommenden Herrlichkeit Jerusalems hatte: "Es wird der Berg des Herrn höher sein als alle Berge und über alle Hügel erhaben, ... daß er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen ... Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Kriege zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns wandeln im Licht des Herrn" (Jes. 2,2-5).

Die Gedächtniskirche steht zu Recht da, daß wir festgehalten werden in unserer Verantwortung gegenüber den Opfern aller menschlichen Finsternis in der Welt. Aber die Finsternis und die Schatten werden bestritten und überwunden von dem Leben und dem Licht, das Gott und in Christus gezeigt und in uns angezündet hat. Amen

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk

 

 


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