Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

6. Sonntag nach Trinitatis, 27. Juli 2003
Predigt über Matthäus 28, 16-20, verfaßt von Peter Böhlemann
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde, der Predigttext für den heutigen 6. Sonntag nach Trinitatis ist Mt 28,16-20. Es sind die letzten Worte des auferstandenen Jesus an seine Jünger:

"Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg,
wohin Jesus sie beschieden hatte.
Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder;
einige aber zweifelten.
Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen:
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Gebet: Herr, nun sei auch an diesem Tag, jetzt, bei uns
und segne lehren und hören. Amen.

Liebe Gemeinde!
Sie werden die letzten Worte schon mal gehört haben. Jesus Christus spricht: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Gerne wird zum Jahreswechsel darüber gepredigt oder es wird bei fast jeder Taufe vorgelesen. Mancher von uns hat diesen sogenannten Missionsbefehl Jesu schon als Konfirmand auswendig gelernt. Es ist der Auftrag Jesu, seine Botschaft weiterzugeben und die Menschen, die sich begeistern lassen, im Namen des dreieinigen Gottes zu taufen.
Ich möchte nun mit Ihnen zusammen versuchen, eine Reise zu unternehmen, eine weite Reise auf einen Berg in Galiläa ...

Es war glühend heiß, und die Luft schmeckte nach Staub.
Vier Tage lang waren sie nun schon unterwegs gewesen.
Ziemlich mutlos waren sie die Wege von Jerusalem hinauf nach Galiläa gegangen. Und keiner der Jünger glaubte eigentlich noch so recht daran, dass das alles einen Sinn hatte.
Als es geheißen hatte, Jesus sei auferstanden, da waren sie zuerst alle sprachlos gewesen, doch dann jubelte jeder so laut er konnte. Es würde weitergehen. Jesus lebte.
Und sofort hatten sie sich ohne viel Gepäck aufgemacht in Richtung Galiläa.
Anfangs waren sie so schnell gegangen, wie sie konnten. Doch jetzt im gebirgigen galiläischen Hochland, kamen sie nur langsam voran, obwohl sie sich ja fast alle gut hier oben auskannten.

Jakobus, der sie führte, wischte sich den Schweiß von der Stirn: „Warum sollen wir ausgerechnet auf diesen hohen Berg kommen?“

In Bartholomäus Augen blitzte es: „Vielleicht will ER von hier aus sein Reich aufrichten? Wir besiegen die Römer aus den Bergen!“

Philippus schüttelte den Kopf und murmelte ein Psalmgebet vor sich hin:
„ Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, ...“

Aber keiner hörte ihm richtig zu. Philippus zitierte immer irgendwelche Psalmen und war der Ansicht, nichts würde geschehen, was nicht geschrieben stände. Und die Jünger hatten andere Sorgen.

Petrus versuchte zum werweißwievielten Mal, ihnen zu versichern, er hätte Jesus nicht verleugnen wollen: „Ich bin einfach zu durcheinander gewesen, als die Soldaten Jesus verhaftet hatten. Und es hätte doch niemandem genützt, wenn ich offen erklärt hätte, zu Jesus zu gehören.“

Doch auch ihm hörten die anderen kaum noch zu. Zu oft hatten sie in den letzten Tagen darüber gesprochen.

Plötzlich schrie Johannes auf. Er war über einen großen Stein, der mitten auf dem Weg lag, gestolpert und hingefallen. „Warum muss es denn ausgerechnet dieser Berg sein?“, fragte er mit gequälter Stimme, als er sich wieder aufgerappelt hatte, „Wir hätten uns doch genauso gut und ungestört im schattigen Jordantal treffen können!“

„ Oder am See Genezareth!“, warf Andreas ein, der es gar nicht mehr abwarten konnte, endlich wieder zu Hause bei seiner Frau und seinen Kindern zu sein. Andreas hatte sich schon den ganzen Hinweg über auf dem herrlich kühlen See Genezareth Netze auslegen gesehen.

Thomas war den ganzen Weg über recht schweigsam gewesen, aber jetzt konnte er nicht mehr still sein: „Vielleicht war alles nur eine Einbildung?! Und der Teufel will uns versuchen! Wisst ihr nicht mehr, was Jesus erzählt hat, als er versucht wurde? Satan führte ihn auf einen hohen Berg, um ihm alle Reiche der Welt zu zeigen und anzubieten! Jetzt sind wir dran! Das ist bestimmt eine Falle! Wir sollten wieder zurückgehen!“

Der bibelfeste Philippus wehrte ab: „Mit der Einstellung hätte Moses nie die Gesetzestafeln empfangen! Hast du vergessen, dass auch Elia auf einen Berg steigen musste, damit Gott ihm in einem sanften Raunen des Windes begegnen konnte?“

Bartholomäus pflichtete ihm bei, „Und es ist ja nicht der erste Berg, auf den wir kommen sollen, ohne dass wir je dem Teufel begegnet sind! Aus den Bergen kommt der Sieg!“
Petrus blieb stehen und sah die anderen an. Er war jetzt wieder ganz bei der Sache: „Moment, überlegt doch mal!“
Seine Stimme überschlug sich fast, als er weiterredete: „Es war ein Berg, auf dem Jesus uns gelehrt hat - von der Liebe zu den Feinden, sein Gebet und vom Reich Gottes! Und als ihm Elia und Mose erschienen, die beiden, von denen du gerade geredet hast, Philippus, und Jesus verklärt wurde und wir die Stimme Gottes gehört haben, das war auch auf einem hohen Berg! Wir müssen weitergehen! Schnell!“

Die Jünger hasteten weiter. Ihre Herzen klopften und ihre Gedanken kamen nicht mehr zur Ruhe. Würden sie Jesus begegnen? Oder war alles nur in ihrer Einbildung geschehen?
Vielleicht war Jesus nur ein guter Mensch gewesen, von dem sie viel gelernt hatten. Vielleicht hatten sie einfach zu viel erwartet. Nicht alle waren damals so begeistert wie sie, als sie Jesus reden gehört hatten.
Aber wenn er wirklich der Sohn Gottes ist? Nicht nur ein guter Mensch, sondern Gott als Mensch ...?

Jakobus ging immer noch voran, hinter ihm Andreas. Andreas stellte sich gerade vor, wie er vor seinem Haus saß und Fische briet, und seine Frau ihm einen Krug brachte, gefüllt mit kühlem Wein, als ER plötzlich vor ihnen stand ...

Keiner sagte mehr ein Wort. Sie standen einen Moment wie angewurzelt, dann fielen sie auf die Knie.
Sie wollten jubeln, aber keiner brachte ein Wort über die Lippen. War er es wirklich? Er sah anders aus, größer, mächtiger. War es vielleicht nur ein Trugbild?

Thomas kniff einen Moment die Augen zusammen, dann zwang er sich, genau hinzusehen.
Petrus hatte Angst, „Ich habe versagt!“
Einige zitterten richtig. Sie waren hin und her gerissen zwischen Zweifel und Vertrauen, Angst und Hoffnung.

Da macht Jesus einige Schritte auf sie zu. Er kommt ihnen entgegen. Er sieht sie an. Und sie spüren seine Liebe. Alle Angst ist verschwunden, der Zweifel ist nicht mehr da. Sie spüren auf einmal, welche Ruhe und welche Kraft von Jesus ausgehen.
Dann spricht Jesus zu ihnen. Und sie hören zu, anders als früher. Sie hören mit den Herzen ... „ Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“

Bartholomäus durchfuhr es. „Alle Gewalt?“, dachte er, „das hieße doch, dass Jesus mehr Macht hätte als alle Römer zusammen“.
Er sah sich schon im Namen Jesu gegen die Römer ziehen. Jesus würde Kaiser werden. Und sie, sie wären seine Hofbeamten. Jeder von ihnen würde mächtiger sein als dieser Feigling Pontius Pilatus.

Jesus sah die Jünger einen nach dem anderen an.
„ Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker ...“

Andreas spürte die Kraft und die Liebe, die von Jesu Worten ausging. Nichts würde mehr so sein, wie es war. Er wusste, dass sein Leben sich ändern würde, und dachte: „Ich habe es immer geahnt. Es wird nichts mehr mit den ruhigen Tagen und der Fischerei am See Genezareth. Wir werden weiter ziehen. Aber meine Frau und die Kinder nehme ich mit!“

„ Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes ...“
Thomas spürte keine Angst und keine Zweifel mehr. Vielleicht war das das Geheimnis, das er nie verstanden hatte. Jesus war Gott und Gott war in Jesus. Und die Kraft, die ihn jetzt so ruhig und hoffnungsvoll werden ließ, diese Kraft, die er zum ersten Mal bei seiner Taufe gespürt hatte, diese Kraft war der heilige Geist. Und sie war auch Gott. Gott in uns. Jesus lächelte und sah Thomas in die Augen. Ob Jesus wusste, was er gedacht hatte? Es schien Thomas, als hätte er ihm zugenickt.

Dann wanderte Jesu Blick zu Petrus.
„ ... und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“
Petrus wollte wegschauen: „Ich habe nichts gehalten“, dachte er. „Ich hätte nicht mit auf diesen Berg gehen sollen! Aber warum hatte Jesus ihn dann hierher bestellt? Warum sah er ihn so freundlich an?“
Und dann fasste Petrus einen Entschluss. „Ich werde hingehen, so weit ich kann. Ich werde allen erzählen, was wir erlebt haben, was Jesus uns beigebracht hat. Alle Menschen müssen doch wissen, wer er war. Ich werde es ihnen erzählen, wie ich versagt habe, wie feige ich war und wie freundlich er mich dann noch angesehen hat. - Aber was ist, wenn sie es nicht hören wollen? Ich habe das Reden doch nicht gelernt. Oder wenn die Römer uns gefangennehmen?“

Jesu Stimme riss Petrus und die anderen Jünger aus ihren Gedanken:
„ Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Es war still geworden auf dem Berg. Keiner der Jünger konnte später sagen, was geschehen war. Aber sie waren verändert.

Liebe Gemeinde, was ist eigentlich mit uns geschehen seit wir getauft wurden?
Worauf haben wir unsere Hoffnungen gesetzt, und wo liegen unsere Enttäuschungen? Welchen Weg ist dieser Jesus mit uns gegangen?
Wie ist es dir gegangen als Mensch und Jüngerin oder Jünger Jesu?

Mancher wird sein Glaubensleben wie die Jünger damals als Wanderung auf einen hohen Berg erlebt haben. Hinter uns liegen gute Erfahrungen mit Jesus, Erinnerungen an persönliche Begegnungen, an Highlights des Glaubens. Jeder von uns hat seine Geschichte mit der Kirche und mit Gottes Sohn, und an manches erinnern wir uns gerne. Aber auf Dauer können wir nicht von Erinnerungen leben. Eine Zeit lang mag das gut gehen. Aber irgendwann wird dein Weg zu mühsam und du sehnst dich nach neuen Glaubenserfahrungen. Je schwieriger dein Weg wird, umso mehr Zweifel kommen auf. Ist dieser Weg vielleicht der falsche? Bist du oder sind die anderen auf dem Holzweg?

Und dann kommt die erste Durststrecke, dein Glaubensproviant geht langsam zu Neige. Der erste Rückschlag kommt. Aber der wirft dich noch nicht aus der Bahn. Erst der zweite oder dritte läßt Zweifel aufkommen. Und die Erinnerungen an Jesus werden immer blasser.

Den Jüngern damals wird es ähnlich gegangen sein. Sie hatten tolle Erfahrungen mit Jesus gemacht. Er hatte ihren Alltag und ihren Glauben gründlich umgekrempelt. Aber was sollte nun geschehen? Würde alles wieder so werden wie früher? Keiner von ihnen hatte eine theologische Ausbildung. Sie waren sich noch nicht einmal in allen Fragen des Glaubens einig. Sie waren eine kleine Gruppe von Frauen und Männern, die Gottes Geist ergriffen und bewegt hatte. Aber sie hatten keine Ahnung, wie es weiter gehen könnte. Die Sache Jesu schien ihr Ende erreicht zu haben.

Aber liebe Schwestern und Brüder, die Sache Jesu geht weiter, damals in Galiläa und heute bei uns. Denn es hängt nicht von unseren Fähigkeiten ab, sondern von Gottes Geist. Und es liegt nicht an unserem Tun und Machen, sondern an seinem Wirken.
Gott baut sein Reich und er will dich dafür gebrauchen. Denn er baut es mit Menschen wie dir.

Das haben die Jünger damals auf dem Berg in Galiläa verstanden. Und sie haben nicht aufgehört, daran zu glauben und sich dafür einzusetzen. Und so wie die Begegnung mit Jesus jeden von ihnen verändert hatte, so veränderte er auch die Menschen, denen sie später von ihm erzählten.

Einer dachte: Ich werde nie mehr allein sein. Jesus wird immer da sein.
Ein anderer spürte die Kraft und den Mut des göttlichen Geistes und ging hin und erzählte und berichtete, was er mit Jesus erlebt hatte. Manche lachten ihn aus. Andere hörten einfach weg. Aber einige entdeckten durch ihn ein neues Leben.
Einer schaffte es, seinen Hass durch Liebe zu besiegen, nicht nur einmal sondern immer wieder. Und viele Menschen merkten, dass Christsein frei macht.
Wer Christ wurde, ließ sich taufen auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Später wurden auch die Kinder getauft. Und jedesmal waren Menschen da, die um den Segen des dreieinigen Gottes baten. Und Gott verwehrte seinen Segen keinem.

Viele Menschen zweifelten. Was kann ich schon tun? Manche versuchten, andere mit Gewalt zu bekehren, und manche meinten, Mission sei heute zwecklos.
Vielen ging es wie den Jüngern. Sie waren verängstigt und zweifelten. Sie spürten nur wenig davon, dass Jesus lebt. Wie den Jüngern fehlte ihnen die Kraft zu glauben und die Hoffnung, dass die Liebe stärker ist als alle Dinge und Gewalten, die uns beherrschen.
Viele waren viel zu streng mit sich selbst und viele waren nicht streng genug.
Ihnen allen, uns allen, dir und mir, sagt der auferstandene Jesus Christus:
„ Mir ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben. Deshalb geht hin und gebt meine Liebe weiter. Denn ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unserer Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

GEBET: Lieber Vater, gib uns die Kraft,
da zu sein, wo wir gebraucht werden.
Lass unser ganzes Leben Zeugnis werden - da wo Du uns hinstellst.
Lass uns dem Berg der Widerstände und der Zweifel nicht aus dem Weg gehen, wenn es darum geht,
uns zu unserem Christsein zu bekennen.
Schenk uns durch Deinen Geist Hoffnung
und verändere unser Leben.
Werde Du zum Mittelpunkt, heute, morgen und immer.
Lass uns weitergeben, was Du uns gegeben hast.
Amen.

Pfr. Dr. Peter Böhlemann, Schwerte,
Dozent am Institut für Aus-, Fort- und Weiterbildung der EKvW
E-Mail: p.boehlemann@institut-afw.de


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