Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

6. Sonntag nach Trinitatis, 27. Juli 2003
Predigt über Matthäus 28, 16-20, verfaßt von Jan Ulrik Dyrkjøb (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde!

Was läßt uns der Evangelist sehen? Der Evangelist Matthäus läßt uns den auferstandenen Christus sehen. Er steht auf den Bergen Galiläas. Er steht vor den Jüngern. Sie sind von Jerusalem gekommen, um ihm zu begegnen.

Am Ostermorgen kamen die Frauen, um das Grab zu sehen, wo der tote Jesus hineingelegt war, nachdem man ihm vom Kreuz genommen hatte. Ihre Gedanken und ihre Sinne waren von Trauer erfüllt, und sie rechneten nicht damit, daß sie anderes finden würden als den kalten und dunklen Tod.

Aber sie fanden Licht und Leben. Sie trafen auf einen leuchtenden Engel, der zu ihnen sprach: "Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus sucht, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat."

Die Frauen sollten den Jüngern erzählen, daß Jesus von den Toten auferstanden war, und sie sollten sagen, daß die Jünger ihm in Galiläa begegnen würden.

Aber bald danach - als die Frauen auf dem Wege fort vom Grabe waren - kam Jesus ihnen entgegen. Die Jünger sollten ihm erst in Galiläa begegnen. Aber die Frauen begegneten ihm sofort.

Sie sahen ihn. Sie umarmten seine Füße und beteten ihn an. Und er wiederholte den Befehl, den sie bereits vom Engel erhalten hatten: "Fürchtet euch nicht! Sondern geht und sagt meinen Brüdern, daß sie nach Galiläa gehen sollen. Dort werden sie mich sehen."

Und sie brechen auf von Jerusalem und wandern zurück in ihre Heimat und kommen zum Berg. Und es ist wahr, was zu ihnen gesagt worden war! Sie sehen ihn. Er ist bei ihnen. Er ist es wirklich. Eben der Mensch, den sie gekannt haben. Er, der so große Dinge getan hat und so starke und wunderliche Worte gesprochen hat. Er, dem sie gefolgt sind.

Sie sehen seine Gestalt und sein Gesicht. Sie sehen seine Wunden. Er ist gezeichnet von Schmerz und Tod. Aber sie sind nicht im Zweifel darüber, daß er lebt. Er ist lebendig und leuchtend.

Dennoch sind sie merkwürdig unsicher. Er ist, wie sie ihn kennen. Und doch ist etwas ganz anders bei ihm. Er ist der himmlische Mensch. Ihn verstehen, das ist wie wenn man sich im Heiligtum befindet. Das ist wie es im Allerheligsten um Jerusalemer Tempel sein muß.

Sie verstehen nichts von dem, was geschieht. Sie sehen ihn nur. Sie sehen, daß er sie sieht. Sie hören seine Stimme.

Und der Evangelist läßt uns das sehen und hören, was die Jünger sahen und hörten an diesem Tage auf dem Berg in Galiläa.

Ein Mensch, der sein Leben gegeben hat und das himmlische Leben erhalten hat. Ein Mensch, der nichts für sich selbst wollte. Ein Mensch, dem eben darum alles geschenkt wurde. Alle Macht im Himmel und auf Erden.

Die Menschen suchen die Macht. Wir könnten überleben. Ja, mehr als das. Wir könnten gut leben. Und wir könnten unser gutes Leben bewahren. Wir könnten uns sichern, so daß niemand und nichts und drohen kann. Wir könnten alle Drohungen von uns weisen. Wir könnten die zerschlagen, die uns entgegenstehen.

Das gilt für den einzelnen. Das gilt für die Gesellschaften. Das gilt für Großmächte und Allianzen und Machtzentren. Die Menschen suchen die Macht. Im Guten wie im Bösen. So ist das Leben in dieser Welt.

Aber dieser himmlische Mensch, der alle Macht von sich gewiesen hat, dieser Menschensohn, der statt die Macht zu wollen sich der Weltmacht ergeben hat, ihm ist alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben.

Die Macht in der Welt. Die Macht in der Gesellschaft. Die Macht in unserem Leben. Das ist alles so, wie es ist, und wir müssen es lassen, wie es ist. Aber hier begegnet uns etwas anderes. Christus reißt uns nicht heraus aus dem Leben und aus der Welt. Aber er weist uns einen ganz anderen Weg. Er zeigt uns, daß wir auf dem Wege sind zu einem ganz anderen Ort. Denn er ist etwas ganz anderes.

"Alle Macht im Himmel und auf Erden!" Wir haben die Worte schon gehört: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde ...". So begann alles. So begann die Geschichte von der Welt und den Menschen und Gott.

Gott schuf alles, was ist. Gott gab allen Dingen Form und alles Wesen Gestalt. Gott gab allem, was lebt, Leben und Atem. Und Gott schuf uns - jeden einzelnen von uns - in seinem Bilde.

Aber auf dem Berge in Galiläa gibt Gott die Macht von sich. Er gibt alle Macht - nicht etwas von der Macht, sondern alle Macht - dem armen und ohnmächtigen Jesus. Und nun ist er der herrliche Herrscher über alles, was Gott geschaffen hat.

Er ist der Machthaber der Machtlosen. Er ist der, der uns nur zu sich ziehen kann, indem er uns alles gibt. Er ist der, der uns nur an sich binden kann, indem er uns sich selbst gibt.

Der Evangelist läßt uns den auferstandenen Christus auf dem Berge sehen. Alles ist in ihm zusammengefaßt, das Himmlische wie das Irdische. So sagt Paulus es im Brief an die Epheser. Das ist das Wahre Bild des Schöpferwerkes. Aber das ist auch das wahre Bild von jedem von uns.

In der Taufe trat er vor dich und nahm dich an. So wie es auch heute in der Taufe geschieht für die Kinder, die von ihren Eltern zur Taufe getragen werden.

Er nahm dich an, und er erhielt Macht über dich. Auch über dir ist ihm alle Macht gegeben. Du bist sein Diener so wie die Jünger seine Diener waren. Du sollst seine Werke tun.

Aber du bist nicht nur sein Diener. Du gehörst auch zu seinen Schwestern und Brüdern und Freunden. Schon am letzten Abend vor seinem Tode sagt Jesus zu seinen Jüngern: "Ich nenne euch nicht mehr Diener, ich nenne euch Freunde, denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan".

Ihr sollt hinaus in die Welt gehen. Ihr sollt die Menschen zu meinen Jüngern machen. Ihr sollt sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes taufen. Im Namen des Vaters. Ja, denn er hat mir alles gegeben. In meinem Namen. Ja, denn alles, was sein ist, hat er mir gegeben. Im Namen des Heiligen Geistes. Ja, denn ihr sollt vom Geist leben, und alles soll vollendet werden durch die Kraft des Geistes.

Und ihr sollt die Menschen all das lehren, was ihr von mir gehört habt und was ich von meinem Vater gehört habe. Ihr seid meine Freunde. Ihr seid meine Gemeinde. Ihr seid meine Kirche auf Erden. Das ist ein Freiplatz. Dort kommt die Wahrheit zur Sprache. Dort wird der Weg geöffnet für die himmlische Herrlichkeit. Dort bin ich selbst gegenwärtig. Ich verlasse euch nicht. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Starke Mächte handeln mit uns. Wirtschaftliche Mächte. Politische Mächte. Kulturelle Mächte. Interessen aller Art machen sich geltend. Alle Mittel werden benutzt, um Einfluß zu gewinnen und den Lauf der Dinge in der Welt zu bestimmen.

Und wir werden beeinflußt von Meinungen und Analysen, Angebote für Weltanschauungen und den Markt der Religionen, Haltungen, Kritik, Seriöses und Unseriöses miteinander vermischt. Es werden Zweifel gesät an selbst dem Selbstverständlichsten. Wir sind Bildern und Botschaften und Schlagworten ausgesetzt. Persönlichkeiten treten auf und appellieren an unser Vertrauen. Aber im nächsten Augenblick werden sie entlarvt. Niemand hat reine Motive. Wir befinden uns im Zeitalter des Zweifels und der Verwirrung.

Und die Kirche, die der Ort der Wahrheit sein und den Weg zum Himmel sichern sollte, ist keine Ausnahme! Auch die Kirche und ihre Verkündigung sind betroffen!

Das ruft zur Besinnung. Das macht erforderlich, daß wir uns auf das ganz Einfache und Grundlegende besinnen. Das was an glaubwürdigen Werten überliefert ist. Das, was Apostel und Evangelisten verkündigen:

Der lebendige und auferstandene Christus. Er, dem trotz aller Weltmächte alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben sind. Er, der jeden von uns angenommen hat. Er, der uns folgt. Er, der trotz aller Unsicherheit und Verwirrung und Abfall mit seiner Gemeinde und Kirche ist alle Tage bis an der Welt Ende. Er, dessen Freunde wir sind. Er, der uns nicht loslassen kann.

Er, der auch in Herrlichkeit wiederkommen und unser Richter sein wird! Er und nur er allein wird uns sehen, so wie sie sind, und unser Leben richten. Er und nur er allein ist unser Weg zu Gott. Es gibt keinen anderen. Es ist den Menschen kein anderer Name gegeben unter dem Himmel, durch den wir erlöst werden.

Das ist von Anfang an verkündigt worden. Das ist verkündigt worden von Aposteln und Jüngern. Sie lebten und starben dafür. Das ist von den Kirchenvätern verkündigt worden. Das ist verkündigt worden von Erneuerern und Reformatoren. Das ist von bekannten und unbekannten Christen bis auf den heutigen Tag gelebt und verkündigt worden. Und so wird es auch weiter sein. Wenn wir versagen, wird es andere geben, die nicht versagen.

Das ist zu groß. Das kann man nicht töten. Er läßt sich nicht töten. Nachdem er einmal getötet wurde, kann er nicht mehr getötet werden. Amen.

Pfarrer Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej 26
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 - 44 48 06 04
e-mail: jukd@vaerloesesogn.dk

 


(zurück zum Seitenanfang)