Liebe Gemeinde,
was täten Sie am liebsten, wenn Ihnen jemand eine runterhaut, sei
es mit Grund oder ohne? Wenn wir ganz ehrlich sind, würden wir doch
zurückschlagen, dass es nur so knallt.
Solche Reaktionen sind Kurzschlusshandlungen, und es ist nicht von ungefähr,
dass die Sprache sie so nennt. Wenn etwas zu kurz ist, muss es doch auch
etwas geben, was länger ist.
Nur stecken wir in den seltensten Fällen Ohrfeigen ein, aber, dass
mir jemand den Arbeitplatz nicht gönnt und wegnimmt, dass jemand
mich bloßstellt, so dass die anderen über mich lachen, dass
falsche Dinge über mich im Umlauf gebracht werden – das sind
die Ohrfeigen der Erwachsenen.
Was ist denn die Folge, wenn wir auf das Böse, was man uns antut,
so böse reagieren?
Wahrscheinlich wird der, der uns geschlagen hat und von uns wieder geschlagen
wurde, den Drang haben, uns noch einmal zu schlagen, und eine blühende
Schlägerei kommt in Gang.
Wir nennen das Eskalation.
Die Kunst Jesu aber besteht darin, Eskalationen im Keim zu ersticken.
Er bietet uns eine bessere Reaktionsweise an.
Jesus zählt mehrere Ebenen auf, in denen es darum geht, solche
Eskalationen zu vermeiden.
Zuerst berührt er die gefühlsmäßige Ebene : „Seid
barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist.“. Vom deutschen Sprachempfinden
her hat Barmherzigkeit mit unserm Schoß (Barm) und dem Herzen zu
tun, ist also dort verankert, wo das Leben entsteht. In der Muttersprache
Jesu bedeutet das Wort „barmherzig sein“ (racham): „weich
sein“. Ein Mensch, der sich verhärtet, ist nicht barmherzig.
Wir tun unserm Herzen keinen Gefallen, indem wir uns verhärten.
Solche Verhärtungen machen in der Regel krank. Kein Wunder, dass
die Herzkrankheiten in einer Gesellschaft zunehmen, die auf Barmherzigkeit
verzichtet und stattdessen auf Härte setzt.
Ich rufe bloß ins Gedächtnis, dass wir als eines der reichsten
Länder der Erde dabei sind, die Sozialgesetze abzubauen.
Nach dieser gefühlsmäßigen Ebene spricht Jesus unseren
Verstand an: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet“.
Und er verstärkt dies „macht niemanden runter, so werdet ihr
auch nicht runter gemacht“. (Das umgangssprachliche „runter
machen“ kommt m.E. dem griechischen katadikein am nächsten.)
Mir kommt dabei Bonhoeffers Regel für das Zusammenleben im Finkenwalder
Predigerseminar in den Sinn. Es galt, über Abwesende nicht zu reden.
Kennen Sie nicht auch genug Beispiele von Menschen, die sich auf Kosten
anderer profilieren? Andere werden runter gemacht, um selbst besser dazustehen.
Das nennt man negative Selbsterhöhung. Aber ich merke oft genug,
wie schwer es ist, über andere nichts Negatives zu sagen.
Manchmal ist es schier unmöglich, dem anderen zu vergeben, weil
die Verletzungen zu tief sind und wir auch nicht begreifen können,
wieso der andere so handelt.
Es gibt in der modernen Psychotherapie eine Heilmethode, die man als
das Familienstellen bezeichnet. Sie besteht darin, dass der Leidende
stellvertretend eine Reihe von Personen um sich aufstellt – je
nach der Beziehung zu ihm und untereinander. Es geht darum, die Gefühle,
die dabei aufkommen, auszusprechen und auszuhalten.
Vielleicht ist deshalb die Therapie des Familienstellens so beliebt und
wirksam. Der Hintergrund ist ja, dass wir Menschen an zerstörten
Beziehungen leiden. Eben, wenn wir nicht vergeben können, weil das,
was uns angetan wurde, einfach zu schwer ist. Die Heilung kommt in dem
Moment, wo ich verzeihen kann, wo ich die Daseinsberechtigung des anderen
in seiner Ordnung anerkenne. Und weil das manchmal in der Wirklichkeit
nicht geht, hilft es auch, dass ich es exemplarisch mit einem anderen,
der sich stellvertretend in die Rolle begibt, praktiziere. Damit löst
sich der Hass auf. Die Bitterkeit verschwindet. Das Leben fließt
weiter.
Jesus rät uns als drittes für unser praktisches Zusammenleben:
„
Vergebt, so wird euch vergeben, gebt, so wird euch gegeben.“
Was uns damit zugemutet wird, war damals nicht neu.
Epiktet, ein griechischer Philosoph, der auch im 1. Jahrhundert lebte,
erklärte, dass wir ernten, was wir säen und uns das Schicksal
immer irgendwie zwingt, für unsere Missetaten zu bezahlen. Mit dem „guten,
vollgedrückt, gerüttelt Maß“, dass in euren Schoß gegeben
wird, zitiert auch Jesus ein damals gängiges Sprichwort.
Aber stimmt das? „Vergebt, so wird euch vergeben, gebt, so wird
euch gegeben …und mit welchen Maß ihr messt, wird man euch
wieder messen?“
Als ich das anderen vorlas, kam Zustimmung. Jeden Satz könne man
unterschreiben, doch es kam auch der Einwand, damit lebt es sich schwer.
Wenn wir diese Sätze als moralische Forderung an uns verstehen,
so haben wir sie gründlich missverstanden.
Was Jesus hier sagt, ist gewissermaßen eine verschlüsselte
Sprache. Die Juden scheuten sich, den heiligen Namen Gottes auszusprechen.
Wenn Jesus sagt, „gebt, so wird euch gegeben“, meint er , „gebt,
so wird Gott euch geben“, „richtet nicht, so wird Gott euch
auch nicht richten“. Jesus traut Gott zu, dass er uns in reichem
Maße Gutes tut, wenn wir unseren Mitmenschen Gutes erweisen.
Halte ich inne, dann entdecke ich, dass auch mir dies randvoll gefüllte
Maß des Guten zuteil wurde und wird. Da kann ich z.B. bei einem
Unfall erfahren, wie viel mir geholfen wird von Menschen, die mir fremd
waren und von denen ich das gar nicht erwartet hatte.
Im weiteren Verlauf seiner Rede erzählt Jesus das berühmte
Gleichnis vom Splitter im Auge.
Wer immer nur die Fehler bei anderen sucht, sieht nicht den Balken in
eigenen Auge. Das Problem ist doch, die eigenen Fehler einzugestehen.
Wer das gelernt hat, lebt leichter und schafft um sich ein Klima des
Verstehens. Das ist aber schwer in einer Gesellschaft, die nur auf Leistung
zielt.
Der Volksmund sagt, das Leben ist eines der Schwersten. Ich denke, Jesus
hilft uns sehr, dass dieses Leben leichter wird und besser gelingt.
Amen.
Liedvorschlag: EG 82,7
Lass mich an andern üben, was du an mir getan
und meinen Nächsten lieben, gern dienen jedermann
ohn Eigennutz und Heuchelschein und,
wie du mir erwiesen
aus lauter Lieb allein.
Dr. Katharina Coblenz-Arfken
Dragonerstr. 17
Hohnstedt
37154 Northeim
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