Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Pfingsmontag, 9. Juni 2003
Predigt über Genesis 11,1-9, verfaßt von Gerhard Begrich
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Die heilsame Zerstreung

Gnade sei mit Euch und Frieden - von Dem, Der Da ist, und Der Da war und Der Da kommen wird - und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!
Da kann man ja viel sagen - aber man muss es nicht.
Muss also sehen, ob es uns hilft.
Wo also soll man anfangen in diesen ganzen Geschichten, womit beginnen?!
Denn wir wissen es: jedes Heute hat ein Gestern und Vorgestern und Ehegestern, ein Tag ist auch das Ergebnis der Tage zuvor - unsere Geschichte fällt nicht vom Himmel - so plötzlich. Aber sie beginnt dort. Immer.
Also: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Das ist bekannt - und notwendig, denn der Himmel ist die Voraussetzung für die Erde, die Zerstörbare. Den Himmel aber zerstört keiner. Das ist uns Hoffnung.
Damit beginnt alle und auch unsere Geschichte: Der Abend tritt ins Paradies wie ein guter Freund, der Geschichten weiß. Die Sonne bettet sich im Horizont, ein Duft von Flieder, Wein, Honig und Jasmin liegt in der Luft ... Und ER, Gott, Hochgelobt sei ER, was tut ER? Den ganzen Tag hat Gott mit Farben die Welt gemalt und auch Sein Maltopf ist alle und auch ER will sich ausruhen von des Tages Müh, Seinen Garten genießen und auf einer Bank sitzen. Die Bank hält - und ER ist sehr glücklich darüber, denn diese Bank ist Sein Werk. Die Welt schaffen - das ist für IHN keine Kunst - aber eine Bank schon. Die also trägt, und Gott erfreut sich an Seinem Paradies - und träumt ...
Aber plötzlich fährt ER auf, schlägt sich die Hand vor den Kopf und spricht: "Bei Gott" (ER soll wirklich "bei Gott" gesagt haben) "- wer soll das alles pflegen!?"
Nach langem, himmlischem Schweigen spricht ER: "Lasst uns den Menschen machen!" Den Satz kennen wir. So schnell aber geht das nicht. Jetzt treten zu IHM die vier großen und gewaltigen Engel, die Erzengel Gottes und sprechen zu IHM einmütig im Chor: "Lass es sein, Herr, lass es sein, es (d.h. doch wohl er: der Mensch!) wird Dir nicht gelingen!"
Der Herr schaut Seine Engel fragend an: Nun? Habt ihr noch mehr zu sagen?
Da tritt Michael vor: Ich bin Herr, aber Du weißt es ja, ein "großer Streiter" - aber ich werd' es nicht verhindern können: Die Menschen, die Du schaffen willst, die werden Kriege führen, die Du nicht kennst! Sie werden Häuser verbrennen und Felder, Kinder morden und Männer, Frauen werden sie schänden ... ich rate Dir ab, Herr, lass es sein.
Lange schwieg da der Herr und es war ganz still im himmlischen Garten.
Da tritt nun Raphael hervor: Ich bin, Herr, ein "großer Heiler" für alle Wunden: aber die Menschen werden ihre Herzen brechen und ihre Seelen verkrüppeln und ihre Meinung verraten und ihre Vernunft zerstören - und ich kann's nicht mindern. Ich rate Dir ab, Herr, tu es nicht.
Lange schwieg da der Herr und es war ganz still im himmlischen Garten.
Da trat Uriel hervor und sprach: Nicht rat ich Dir zu Herr, aber auch nicht ab.
Solche diplomatische Rede verdross den Herrn. ER verlangte Deutlichkeit.
Nun gut, Herr, wenn es denn so sein muss: Gib den Menschen das Licht der Erinnerung, er wird's Vernunft dann nennen, dass sie nicht vergessen, was sie verlieren werden: Deinen schönen Garten.
Wieder schwieg der Herr.
Nun sprach Gabriel - und seine Rede klingt immer weihnachtlich: Ich Herr, rate Dir zu: Mach es, schaff den Menschen, obwohl auch ich weiß, es geht schief. Aber gib ihnen, o Herr, zweierlei mit auf ihren Weg in die Welt: die Musik und die Liebe. So behalten sie die Sehnsucht nach Deinem Garten ... ab und zu, wenigstens.
Lange schwieg der Herr und es war ganz still im himmlischen Garten.
Dann sprach ER: Lasst uns Menschen machen!
Und ER, Hochgelobt sei ER, tat es, was ER nicht lassen konnte ...
Wir wissen, wie es weitergeht - bis auf diesen Tag bis heute.
Aber dazwischen - da war doch noch was?
Ja, unsere Geschichte, der Predigttext zu Pfingsten, der noch.
Die Menschen sollten sich sondern in Völker und verteilen all überall auf der Erde. So hat es sich ER gedacht, aber die Menschen, was wollen die?
So beginnt unsere Geschichte:
"Es war auf der Erde eine Sprache und wenige Worte." (Gen 11,1)
Das ist nicht die Sehnsucht nach einer Sprache, das ist der Schmerz um den Verlust des Himmels. Es ist nunmehr ein Abstand, ein Riss geworden: der Himmel ist nicht mehr so selbstverständlich auf Erden: wir leben nach der Flut, der großen Zeitenwende. Es hätte alles zerstört sein können. Wir wissen es. Aber die Menschen, wir also, leben weiter und immer weiter aus seiner, unseres Gottes Gnade.
Nun also sollen sie hin gehen in alle Welt, Verantwortung tragen für sie und Sorge. Aber die Menschen, was tun die?
"Und es geschah, als sie von Morgen her zogen (hinaus aus dem Garten, den sie verloren), da fanden sie ein Tal im Lande Schinear (das ist: Mesopotamien, heute sagen wir: Iraq!) und blieben da sitzen." (Gen 11,2)
Die Menschen wollen nicht weitergehen, nicht sich ausbreiten über die ganze Erde. Was geht uns die Welt an, sagen sie und blinzeln. Hier wollen wir bleiben. Hier ist es schön. Gott hat zwar gesagt: Ihr sein verantwortlich für die Erde. Die Menschen aber suchen nicht, was Gottes ist, sondern das Ihre. Das Eigene. Was geht uns das Fremde an!? So bleiben sie da - und lassen die Erde die Erde sein, fremdes Land:
"Und sprachen zueinander: Wohlan, lasset uns Ziegel streichen und brennen zu Brand. Und es war ihnen der Ziegel zum Stein, und das Erdharz war ihnen Mörtel. Und weiter sprachen sie: Wohlan, lasset uns eine Stadt bauen und einen Turm, der bis in den Himmel reicht - und wir wollen uns einen Namen machen, dass wir uns ja nicht ausbreiten auf der ganzen Erde!" (Gen 11,3+4)
Das haben wir schon gewusst: sie wollen bleiben, nicht verantwortlich sein für die Welt, nicht sorgen für die Erde und das Leben auf ihr. Sie haben mit sich und an sich genug. Sie verweigern sich der Mitwelt, sie verweigern sich Gott. Wer bleiben will, muss bauen, wer Sicherheit will, muss hoch bauen und gewaltig. Und wer das tut, der wird überleben im Werk, denn Mauern bleiben und mit diesen auch unsere Namen. So denken die Menschen - und tun alles für ihren Ruhm. Sie tun es durchaus eindrücklich, mit bewundernswerten technischen Fähigkeiten: Fortschritt durch Technik. Technik vermag auch Kunst zu sein, aber nicht alles zu tun ist dem Menschen, ist uns erlaubt.
Noch aber haben wir eine Chance: Umkehr ist jederzeit möglich. Aber die Menschen tun das nicht.
"Da kam ER herab, um zu sehen die Stadt und den Turm, die die Menschen gemacht." (Gen 11,5)
Auch jetzt gibt es noch die Möglichkeit, Gott zu begegnen. ER kommt. ER kommt in Seine Welt, um der Menschen Werk zu betrachten. ER will sehen die Stadt, vielleicht sogar bestaunen den Turm, vielleicht sogar prüfen und sagen: das habt ihr gut gemacht, ihr Menschen. Ich freue mich an Eurem Tun und sehe: meiner Hände Werk ist mir doch nicht misslungen.
Vielleicht war es das, was Gott sehen wollte - aber ER nahm es ganz anders wahr:
"Da sprach ER: Ja - ein Volk ist es - und eine Sprache sprechen sie alle. Und das ist der Anfang ihres Tuns. Nichts wird ihnen nunmehr unmöglich sein." (Gen 11,6)
Gott sieht also etwas ganz anderes: die Menschen sind ein Einheitsvolk geworden: eine Sprache - eine Idee - eine Meinung - ein Tun. Der Traum aller Diktatoren. Welch' Katastrophe! O, wenn die Welt nur eine Sprache hätte, welche Armut an Schönheit, Geist und Freude: jede Sprache ist eine Welt, aber jede Sprache ist auch ein Gefängnis. Gott will die Vielfalt und das vielstimmige Lob. ER will, dass der Glaube denkt und singt, verschiedene Lieder, verschiedenes Denken. Das ist die Gefahr der Menschheit; immer wieder: ein Volk - ein Staat - eine Meinung.
Dies will und kann ER nicht zulassen. Das nicht. Und auch nicht die verkehrte Welt: Nicht soll Gott sagen zum Menschentun, sondern vielmehr der Mensch zu Gottes Handeln: IHM allein ist nichts unmöglich! Es bleibe der Mensch ein Mensch - und handle auch so. Das Göttliche ist uns nicht gegeben und nicht erlaubt. Der Mensch ist ein Wesen der Grenze und der Begrenzung. Nicht alles zu tun ist uns erlaubt.
Stattdessen sollen wir fragen und tun, was ER von uns fordert. In diesem Tun greift Gott nun ein:
"Wohlan, lasst uns hinabsteigen und dort ihre Sprachen vermischen, dass nicht einer des anderen Rede verstehe. Und ER verbreitete sie von dort aus über die ganze Erde. Da hörten sie auf, die Stadt zu bauen." (Gen 11,8)
Gott greift ein in der Menschen Geschichte - und führt sie zu Seinem Ziel. Das ist uns ein Satz der Hoffnung: am Ende wird unsere Geschichte Gottes sein.
Nun haben die Menschen ihre je eigene Sprache gefunden - und müssen sich mühen und von einander lernen, wenn sie sich verstehen und begegnen wollen. So sind die Menschen aneinander gewiesen: alle Völker sind in ihren Sprachen unmittelbar zu Gott - all überall auf der Erde. Wir sind für das Ganze verantwortlich. Die Erde ist des Herrn. Das bleibt - aber sie ist uns geliehen. Wir sind Gäste des "großen Gastgebers" - und sollen uns auch wie Gäste benehmen.
Haben Sie es gemerkt, liebe Gemeinde? Gott straft nicht: der Turm wird nicht zerstört, die Stadt nicht abgebaut, dem "großen Namen" nicht gewehrt! Das können die Menschen alles tun: sie, d.h. wir!, dürfen sich nur Gottes Auftrag nicht verweigern: Bleibt der Erde treu und erhaltet die Welt, denn sie ist Gottes. Die Menschen haben eine Sorgepflicht. Dahin führt uns Gottes Tun: zum Prinzip Verantwortung: Liebt diese Welt zu Gott hin. Denn Leben in der (ganzen) Welt ist in der Tat: Leben in Gott. Die Welt ist in IHM.
Aber der Mensch, was tut er - nun, wir wissen es, er ist vergesslich und tut das nicht. Darum hat Gott dieser Geschichte einen Namen gegeben und einen Ort - gegen das Vergessen.
"Darum nannte man ihren Namen Babel, weil dort ER vermischt hat alle Sprachen auf Erden und von dort ausgebreitet die Menschen auf der ganzen Welt." (Gen 11,9)
Diesen Namen wollen wir uns merken: Babel, Babylon! Dieser Name, diese Stadt steht nicht für Leiden und Krieg, für Zerstörung und Barbarei, weder gestern noch heute - sondern für die eine große Hoffnung Gottes und der Menschen: dass es genügt, ein Mensch zu sein, nichts als ein Mensch: Sein Ebenbild all überall auf Erden. Wir sind alle "Gottes-Kinder", eigen dem Großen König. In allen Sprachen ist ER, nicht ewig auszuloben. Mögen wir in allen Sprachen Sein Wort hören. Und, Mensch, vergiss nicht.
Vergiss nicht, was du verloren: des großen Königs Garten.
Vergiss nicht, wohin du dereinst gehst: in des großen Königs Thronsaal.
Und vergiss nicht, wo du lebst: in der Vorhalle des großen Königs.
Wir leben also in Seiner Gegenwart.
Vielleicht behalten die Engel nicht recht - und es gelingt.
Wir dürfen das Leben wagen.
In Jesu Namen. AMEN

Dr. Gerhard Begrich

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