Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Exaudi (6. Sonntag nach Ostern), 1. Juni 2003
Predigt über Johannes 15,26 - 16,4, verfaßt von Anne Töpfer
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde!

Das kann doch nicht sein ?
Spinnt ihr?
Wie denkt ihr euch das überhaupt?
Wie soll es weitergehen?
Ihr seid doch nicht ganz bei Trost?
Solche und ähnlich Fragen stellen viele Menschen bei uns im Land.
Agenda 2010 erregt die Gemüter – Sozialabbau steht zu befürchten – die Kassen werden immer leerer, wenn sich überhaupt noch etwas (außer roten Zahlen) darin findet.
Die Schulden wachsen und Angst und Unsicherheit macht sich breit.
Wer weiß schon, was genau drin steht in der Agenda 2010 – ich gebe zu, ich habe sie nicht gelesen.
Aber wer mit offenen Augen durch die Welt geht und die Nachrichten verfolgt, weiß dass es um die Wirtschaft und die Finanzen nicht gut steht, weder im Bund, noch im Land, noch in den Kommunen. Die öffentlichen Kassen sind leer. Einige wenige und ausgewählte private Kassen werden aber gleichzeitig immer voller.
Die fetten Jahre sind vorbei. Der sichere Mittelstand, aufgebaut in den mühevollen Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wird immer weniger. Und die Reichen, die es gibt, werden immer reicher.
Ein Umdenken und neue Perspektiven für die Zukunft sind nötig.
so wie jetzt geht es jedenfalls nicht weiter.
Und wie soll es in Zukunft werden?

Auch bei uns in der Kirchengemeinde ist das leider nicht anders.
Sie haben es gelesen oder gehört – die gesetzlichen Auflagen und die wirtschaftlichen Lage, sind die Ursache, dass wir die Diakonie-/Sozialstation hier in Bovenden schließen müssen. Mehr als 100 Menschen sind betroffen. Menschen, die in die Tagesbetreuung kommen, die zu Hause versorgt werden und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Seid ihr noch ganz bei Trost ?
Angst und Unsicherheit macht sich breit.
Wie soll das nur weitergehen?
Wir müssen Abschied nehmen von Vertrautem.
Zurücklassen, was gut tut, was man halten möchte,
Entlassen, wen man halten möchte?
Alles zu ende? Was bleibt?

Dazu lese ich im Johannesevangelium:
15,26 – 16,4
26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. 27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. 1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt. 2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. 3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen. 4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.

Auch wenn der eine geht, wenn Jesus nicht mehr da ist, wenn sie sich zurecht verlassen fühlen und trostlos, so wird es doch nicht so bleiben. Da kommt einer oder etwas. Eine Hilfe, ein Trost, ein Tröster, der wach halten wird, was Jesus ins Leben gerufen hat. Dieser Tröster erinnert die Menschen daran, das nicht alles vorbei ist, sondern, dass es weitergeht. Gott hält fest an dem, was Menschen mit seinem Sohn erlebt haben. Aber jetzt sind neue Wege nötig. Ein Zeuge muss her. Jemand, etwas, der oder das hilft zu verstehen, was so wenig mit Händen zu greifen ist.
Die Sicherheit, die der menschgewordene Gott gegeben hat, verändert sich.
Andere Zeiten erfordern andere Wege .... aber es geht weiter!

Er ist ganz bei Trost oder besser:
er selbst ist der Tröster, der Beistand, der Fürsprecher!
Auch nach Jesu Abschied, ist die Welt nicht gottverlassen.
Das klingt ja alles ganz gut, werden einige von ihnen denken. Fromme Sprüche, theologische Sätze, Worte halt, aber halten sie auch, was sie versprechen? Und – was bedeuten sie denn, herunterbuchstabiert in unsere Zeit? Eine Zeit, in der wir Abschied nehmen müssen, von liebgewordenen Errungenschaften und Einrichtungen, von sozialer Sicherheit auf einem Niveau, das nicht mehr bezahlbar ist.
Sollen diese frommen Sprüche uns ermutigen, Ja und Amen zu allen Reformvorhaben zu sagen. Rede ich hier der Politik das Wort, in dem ich dieselbe biblisch begründe? Da sei ferne. So politisch wie eine Predigt in bestimmten Situationen zu sein hat, so ist sie doch nicht parteipolitisch. Und nichts liegt mir ferner, als mich von der einen oder der anderen Seite vereinnahmen zu lassen.

Aber auch ohne ein Parteibuch gibt es hier klare Aussagen über den Tröster. Nicht nur, dass er uns Menschen hilft, Gott zu erkennen, sondern der Tröster ist der Geist der Wahrheit.
Er deckt auf. Vertuschen gibt es da nicht. Unter den Teppich kehren geht nicht. Mit seiner Hilfe kommt ans Licht, was manche gerne im Verborgenen halten würden.
Da sind z.B. die Vorwürfe, dass mit den meisten Reformvorschlägen erneut wieder eher die am unteren Rand der Einkommensskala tiefer in die Tasche greifen müssen.
Gewiss an viele Bequemlichkeiten haben wir uns gewöhnt, wer weiß denn schon, was der Besuch beim Arzt kostet. Aber das als Konsequenz in Zukunft nur der Hilfe bekommt, der es sich leisten kann, ist doch wohl nicht ernsthaft gewollt. Und wenn es gewollt ist, dann ist es Zeit dagegen seine Stimme zu erheben.
Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, wir haben uns an vieles gewöhnt und glauben ein Anrecht darauf zu haben. Aber wir müssen auch erkennen, dass es so nicht weitergeht. Wir müssen sparen. Und zwar alle, die irgendwie sparen können. In Zukunft wird es für Viele weniger werden, was sie zum Leben zur Verfügung haben. Denn unser System ist nicht mehr bezahlbar.
Aber mit dem Geist der Wahrheit wird Gott auch Grenzen für neue Wege aufzeichnen. Denn es kann mit unserem Glauben nicht vertreten werden, dass wieder einmal die Kleinen alleine die Zeche zahlen sollen. Dafür haben wir unsere Volksvertreter doch gewählt, dass sie alle Menschen, die in unserem Land leben, vertreten.
Wie ein solcher Weg aussehen kann, vermag ich nicht zu sagen. Dafür gibt es Fachleute. Aber auch ohne Ökonomin zu sein, kann ich Unrecht erkennen und beim Namen nennen, dem Geist der Wahrheit sei Dank dafür.

Konkreter wird es im Fall der Schließung unserer Diakonie-/Sozialstation hier in Bovenden. Zwangsläufig bin ich hier direkt beteiligt. Diese Einrichtung war gewollt. Es war eine bewusste Entscheidung, dass die Evangelische Kirchengemeinde Bovenden (wie auch viele andere Kirchengemeinden) auf diesem Feld der verfassten Diakonie tätig ist. Es ist eine überschaubare Einrichtung. Zu finden mitten im Zentrum. Menschen haben dort Arbeit. Andere kommen, um an einem oder mehreren Tagen in der Woche in der Tagespflege rundum betreut zu werden und Gemeinschaft zu erleben. Pflegende Angehörige finden Entlastung. Andere werden aufgesucht, da sie Hilfe und Pflege im Alltag zu Hause benötigen. Eine gute Sache. Die tätige Seite des Glaubens, aktives Christentum. Nicht umsonst, wird gerade diese Seite der Kirche wohlwollend wahrgenommen. Da werden Menschen zu Zeugen Jesu. Sie werden zum Tröster für andere, in dem sie kommen, zupacken, helfen, zuhören ... sie sind Zeugen des Glaubens.

Aber nun ist diese Arbeit, in der überschaubaren Größe unserer Station nicht mehr finanzierbar. Die Auflagen, die vom Gesetzgeber kommen, sind verständlich. Denn die Menschen sollen schließlich gut versorgt werden. Wer könnte dagegen sein? Aber die Auflagen stehen im krassen Gegensatz zu dem, was abgerechnet werden kann. Auch sind die Rahmenbedingungen so kompliziert geworden, dass wir als Kirchengemeinde nicht mehr das nötige Wissen haben, eine solche Station zu leiten. Heute funktioniert so etwas nur noch im großen Stil, mit einem hauptamtlichen Geschäftsführer oder aber ohne die Tarifbindungen, die wir als Kirchengemeinde haben und zu denen wir stehen.
Wenn es anders laufen soll, dann müssen es auch andere tun. Dann können wir nicht mehr guten Gewissens das Etikett Diakonie, als Dienst am ganzen Menschen, darauf kleben.

Was könnte nun in so einer Situation der Geist der Wahrheit uns heute sagen?
Drücken wir uns vor der Verantwortung? Müssten wir nicht, um der Menschen willen, alles daran setzen, die Arbeit weiter zu führen?
Lange habe ich das geglaubt. Heute tue ich es nicht mehr. Es läuft etwas schief in unserem Land. Diesbezüglich sind wir wirklich nicht mehr ganz bei Trost.
Etliche der 1.500 Diakoniestationen bundesweit sind akut gefährdet. Bovenden ist also kein Einzelfall. Irgendetwas läuft falsch, wenn so viele gemeinnützige Betriebe, die nach Tarif bezahlen, sich nicht mehr tragen.
Als Zeugen Jesu sind wir gefragt, Position zu beziehen.
Ich glaube, dass unsere Entscheidung eine mögliche Position ist. Unter diesen Bedingungen kann die Kirchengemeinde nicht mehr reinen Gewissens eine Diakonie-/Sozialstation betreiben.

Den Geist der Wahrheit brauchten nicht nur die Freunde Jesu damals. Auch wir haben ihn heute noch bitter nötig, gerade wenn solche auch schmerzliche Entscheidungen zu treffen sind. Der Geist der Wahrheit macht auch uns zu Zeugen Jesu in unser Welt heute, in unserem Alltag in Bovenden. Und auch wenn der Betrieb der Diakonie-/Sozialstation eingestellt wird, ist damit noch lange nicht unser Zeugendienst erloschen.
Den Tröster, den Geist der Wahrheit, von Jesus seinen Freunden versprochen, haben wir bitter nötig. Er ist unser Wegweiser auch auf manch einem schweren Weg unserer Gemeinde.
Und manchmal scheiden sich an so einem die Geister .....
AMEN

Anne Töpfer, Pastorin
Steffensweg 65
37120 Bovenden
E-Mail: annetoepfer@t-online.de


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