Liebe Gemeinde!
Das kann doch nicht sein ?
Spinnt ihr?
Wie denkt ihr euch das überhaupt?
Wie soll es weitergehen?
Ihr seid doch nicht ganz bei Trost?
Solche und ähnlich Fragen stellen viele Menschen bei uns im Land.
Agenda 2010 erregt die Gemüter – Sozialabbau steht zu befürchten – die
Kassen werden immer leerer, wenn sich überhaupt noch etwas (außer
roten Zahlen) darin findet.
Die Schulden wachsen und Angst und Unsicherheit macht sich breit.
Wer weiß schon, was genau drin steht in der Agenda 2010 – ich
gebe zu, ich habe sie nicht gelesen.
Aber wer mit offenen Augen durch die Welt geht und die Nachrichten verfolgt,
weiß dass es um die Wirtschaft und die Finanzen nicht gut steht,
weder im Bund, noch im Land, noch in den Kommunen. Die öffentlichen
Kassen sind leer. Einige wenige und ausgewählte private Kassen werden
aber gleichzeitig immer voller.
Die fetten Jahre sind vorbei. Der sichere Mittelstand, aufgebaut in den
mühevollen Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wird immer weniger.
Und die Reichen, die es gibt, werden immer reicher.
Ein Umdenken und neue Perspektiven für die Zukunft sind nötig.
so wie jetzt geht es jedenfalls nicht weiter.
Und wie soll es in Zukunft werden?
Auch bei uns in der Kirchengemeinde ist das leider nicht anders.
Sie haben es gelesen oder gehört – die gesetzlichen Auflagen
und die wirtschaftlichen Lage, sind die Ursache, dass wir die Diakonie-/Sozialstation
hier in Bovenden schließen müssen. Mehr als 100 Menschen sind
betroffen. Menschen, die in die Tagesbetreuung kommen, die zu Hause versorgt
werden und die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Seid ihr noch ganz bei Trost ?
Angst und Unsicherheit macht sich breit.
Wie soll das nur weitergehen?
Wir müssen Abschied nehmen von Vertrautem.
Zurücklassen, was gut tut, was man halten möchte,
Entlassen, wen man halten möchte?
Alles zu ende? Was bleibt?
Dazu lese ich im Johannesevangelium:
15,26 – 16,4
26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde
vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis
geben von mir. 27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang
an bei mir gewesen. 1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt.
2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die
Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst
damit. 3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch
mich erkennen. 4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre
Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu
Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.
Auch wenn der eine geht, wenn Jesus nicht mehr da ist, wenn sie sich
zurecht verlassen fühlen und trostlos, so wird es doch nicht so
bleiben. Da kommt einer oder etwas. Eine Hilfe, ein Trost, ein Tröster,
der wach halten wird, was Jesus ins Leben gerufen hat. Dieser Tröster
erinnert die Menschen daran, das nicht alles vorbei ist, sondern, dass
es weitergeht. Gott hält fest an dem, was Menschen mit seinem Sohn
erlebt haben. Aber jetzt sind neue Wege nötig. Ein Zeuge muss her.
Jemand, etwas, der oder das hilft zu verstehen, was so wenig mit Händen
zu greifen ist.
Die Sicherheit, die der menschgewordene Gott gegeben hat, verändert
sich.
Andere Zeiten erfordern andere Wege .... aber es geht weiter!
Er ist ganz bei Trost oder besser:
er selbst ist der Tröster, der Beistand, der Fürsprecher!
Auch nach Jesu Abschied, ist die Welt nicht gottverlassen.
Das klingt ja alles ganz gut, werden einige von ihnen denken. Fromme
Sprüche, theologische Sätze, Worte halt, aber halten sie auch,
was sie versprechen? Und – was bedeuten sie denn, herunterbuchstabiert
in unsere Zeit? Eine Zeit, in der wir Abschied nehmen müssen, von
liebgewordenen Errungenschaften und Einrichtungen, von sozialer Sicherheit
auf einem Niveau, das nicht mehr bezahlbar ist.
Sollen diese frommen Sprüche uns ermutigen, Ja und Amen zu allen
Reformvorhaben zu sagen. Rede ich hier der Politik das Wort, in dem ich
dieselbe biblisch begründe? Da sei ferne. So politisch wie eine
Predigt in bestimmten Situationen zu sein hat, so ist sie doch nicht
parteipolitisch. Und nichts liegt mir ferner, als mich von der einen
oder der anderen Seite vereinnahmen zu lassen.
Aber auch ohne ein Parteibuch gibt es hier klare Aussagen über
den Tröster. Nicht nur, dass er uns Menschen hilft, Gott zu erkennen,
sondern der Tröster ist der Geist der Wahrheit.
Er deckt auf. Vertuschen gibt es da nicht. Unter den Teppich kehren geht
nicht. Mit seiner Hilfe kommt ans Licht, was manche gerne im Verborgenen
halten würden.
Da sind z.B. die Vorwürfe, dass mit den meisten Reformvorschlägen
erneut wieder eher die am unteren Rand der Einkommensskala tiefer in
die Tasche greifen müssen.
Gewiss an viele Bequemlichkeiten haben wir uns gewöhnt, wer weiß denn
schon, was der Besuch beim Arzt kostet. Aber das als Konsequenz in Zukunft
nur der Hilfe bekommt, der es sich leisten kann, ist doch wohl nicht
ernsthaft gewollt. Und wenn es gewollt ist, dann ist es Zeit dagegen
seine Stimme zu erheben.
Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, wir haben uns an
vieles gewöhnt und glauben ein Anrecht darauf zu haben. Aber wir
müssen auch erkennen, dass es so nicht weitergeht. Wir müssen
sparen. Und zwar alle, die irgendwie sparen können. In Zukunft wird
es für Viele weniger werden, was sie zum Leben zur Verfügung
haben. Denn unser System ist nicht mehr bezahlbar.
Aber mit dem Geist der Wahrheit wird Gott auch Grenzen für neue
Wege aufzeichnen. Denn es kann mit unserem Glauben nicht vertreten werden,
dass wieder einmal die Kleinen alleine die Zeche zahlen sollen. Dafür
haben wir unsere Volksvertreter doch gewählt, dass sie alle Menschen,
die in unserem Land leben, vertreten.
Wie ein solcher Weg aussehen kann, vermag ich nicht zu sagen. Dafür
gibt es Fachleute. Aber auch ohne Ökonomin zu sein, kann ich Unrecht
erkennen und beim Namen nennen, dem Geist der Wahrheit sei Dank dafür.
Konkreter wird es im Fall der Schließung unserer Diakonie-/Sozialstation
hier in Bovenden. Zwangsläufig bin ich hier direkt beteiligt. Diese
Einrichtung war gewollt. Es war eine bewusste Entscheidung, dass die
Evangelische Kirchengemeinde Bovenden (wie auch viele andere Kirchengemeinden)
auf diesem Feld der verfassten Diakonie tätig ist. Es ist eine überschaubare
Einrichtung. Zu finden mitten im Zentrum. Menschen haben dort Arbeit.
Andere kommen, um an einem oder mehreren Tagen in der Woche in der Tagespflege
rundum betreut zu werden und Gemeinschaft zu erleben. Pflegende Angehörige
finden Entlastung. Andere werden aufgesucht, da sie Hilfe und Pflege
im Alltag zu Hause benötigen. Eine gute Sache. Die tätige Seite
des Glaubens, aktives Christentum. Nicht umsonst, wird gerade diese Seite
der Kirche wohlwollend wahrgenommen. Da werden Menschen zu Zeugen Jesu.
Sie werden zum Tröster für andere, in dem sie kommen, zupacken,
helfen, zuhören ... sie sind Zeugen des Glaubens.
Aber nun ist diese Arbeit, in der überschaubaren Größe
unserer Station nicht mehr finanzierbar. Die Auflagen, die vom Gesetzgeber
kommen, sind verständlich. Denn die Menschen sollen schließlich
gut versorgt werden. Wer könnte dagegen sein? Aber die Auflagen
stehen im krassen Gegensatz zu dem, was abgerechnet werden kann. Auch
sind die Rahmenbedingungen so kompliziert geworden, dass wir als Kirchengemeinde
nicht mehr das nötige Wissen haben, eine solche Station zu leiten.
Heute funktioniert so etwas nur noch im großen Stil, mit einem
hauptamtlichen Geschäftsführer oder aber ohne die Tarifbindungen,
die wir als Kirchengemeinde haben und zu denen wir stehen.
Wenn es anders laufen soll, dann müssen es auch andere tun. Dann
können wir nicht mehr guten Gewissens das Etikett Diakonie, als
Dienst am ganzen Menschen, darauf kleben.
Was könnte nun in so einer Situation der Geist der Wahrheit uns
heute sagen?
Drücken wir uns vor der Verantwortung? Müssten wir nicht, um
der Menschen willen, alles daran setzen, die Arbeit weiter zu führen?
Lange habe ich das geglaubt. Heute tue ich es nicht mehr. Es läuft
etwas schief in unserem Land. Diesbezüglich sind wir wirklich nicht
mehr ganz bei Trost.
Etliche der 1.500 Diakoniestationen bundesweit sind akut gefährdet.
Bovenden ist also kein Einzelfall. Irgendetwas läuft falsch, wenn
so viele gemeinnützige Betriebe, die nach Tarif bezahlen, sich nicht
mehr tragen.
Als Zeugen Jesu sind wir gefragt, Position zu beziehen.
Ich glaube, dass unsere Entscheidung eine mögliche Position ist.
Unter diesen Bedingungen kann die Kirchengemeinde nicht mehr reinen Gewissens
eine Diakonie-/Sozialstation betreiben.
Den Geist der Wahrheit brauchten nicht nur die Freunde Jesu damals.
Auch wir haben ihn heute noch bitter nötig, gerade wenn solche auch
schmerzliche Entscheidungen zu treffen sind. Der Geist der Wahrheit macht
auch uns zu Zeugen Jesu in unser Welt heute, in unserem Alltag in Bovenden.
Und auch wenn der Betrieb der Diakonie-/Sozialstation eingestellt wird,
ist damit noch lange nicht unser Zeugendienst erloschen.
Den Tröster, den Geist der Wahrheit, von Jesus seinen Freunden versprochen,
haben wir bitter nötig. Er ist unser Wegweiser auch auf manch einem
schweren Weg unserer Gemeinde.
Und manchmal scheiden sich an so einem die Geister .....
AMEN
Anne Töpfer, Pastorin
Steffensweg 65
37120 Bovenden
E-Mail: annetoepfer@t-online.de
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