Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Exaudi (6. Sonntag nach Ostern), 1. Juni 2003
Predigt über Johannes 15,26 - 16,4, verfaßt von Wolfgang Vögele
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

„Jesus spricht: Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang bei mir gewesen.“

Liebe Gemeinde,

heute geht in Berlin der Ökumenische Kirchentag zu Ende. Wir fühlen uns verbunden mit all den Christinnen und Christen, die in Berlin vor dem Reichstag den Abschlußgottesdienst feiern. Für diesen Kirchentag ist die Ökumene wichtig, das Zusammenleben von Christinnen und Christen aller Konfessionen. Kirchentag ist wie eine riesige Pilgerfahrt, eine gigantische kirchliche Versammlung, zugleich Diskussionsforum und Gelegenheit zu ökumenischer Gemeinschaft. Kirchentag ist Feiern, Singen, Fröhlichsein, Diskutieren, Streiten. Vielleicht haben Sie im Fernsehen Bilder gesehen, die Nachrichten gehört oder davon in den Zeitungen gelesen. Vielleicht ist der eine oder die andere von Ihnen ein wenig traurig, daß er oder sie nicht selbst nach Berlin gefahren ist.

Mir haben in diesem Jahr die Werbeplakate für dieses Ereignis besonders gut gefallen. Eine Werbeagentur hat sie im Auftrag der Kirchentagsgeschäftsstellen entwickelt. Da haben es Menschen geschafft, schwierige theologische Sachverhalte in pfiffige Bilder zu verpacken.


Das Foto kann für nicht-kommerzielle Zwecke, also zur Information über den Kirchentag verwendet werden. Es ist als hoch aufgelöste Datei im Internet erhältlich unter: http://www.oekt.de/global/dbin/oma.jpg
Dasselbe gibt es auch als tif-Datei in Schwarzweiß: http://www.oekt.de/global/dbin/oma_1.tif

Auf einem der Bilder ist folgendes zu sehen. Eine ältere Dame, vielleicht eine Rentnerin, steht auf ihrem Balkon und zupft an den weißen und blauen Blumen ihrer Blumenkästen. Konzentriert und selbstvergessen prüft sie Blätter und Blüten. Vielleicht sucht sie nach Ungeziefer, nach Blattläusen. Was um sie herum geschieht, scheint sie nicht zu beachten. Zumindest sieht sie nicht den Fotografen, der da schräg vor ihr unter dem Balkon hocken muß. Der Fotograf will ein Bild von der alten Dame machen. Und er hat dabei eine ganz besondere Absicht: Er will nicht nur die alte Dame fotografieren, sondern auch unbedingt die Satellitenschüssel ins Bild bekommen, die auf dem Balkon aufgebaut ist. Was interessiert sich der Fotograf für die Satellitenschüssel, die eigentlich nur ablenkt?

Aus der Perspektive des Fotografen, von schräg unten, sieht es so aus, als umgebe den Kopf der alten, Blumen zupfenden Dame ein weißer, strahlender Heiligenschein – so wie es jeder geübte Bilderseher ganz anders von alten Altartafeln und Ikonen kennt. Jeder, der die Dame mit der Satellitenschüssel sieht, versteht das Bild sofort, wenn er das Motto des Kirchentags liest. Es ist rechts unten auf das Balkonfoto gedruckt: Ihr sollt ein Segen sein. Wer gesegnet ist, der trägt so etwas wie einen sichtbar unsichtbaren Heiligenschein.

Die rüstige alte Dame sieht und bemerkt das gar nicht, was der Fotograf sieht. Sie weiß gar nicht, daß sie ein Segen ist. Sie wird, ohne es zu wissen, zum Bild des Segens. Und diesen Moment hat der Fotograf eingefangen. Weil sie gesegnet ist, trägt sie den Heiligenschein der Satellitenschüssel. Man könnte auch sagen: Weil sie getröstet ist, trägt sie den Heiligenschein.

Trost und Segen sind eng miteinander verknüpft. Das läßt sich aus dem Johannesevangelium und aus dem Predigttext dieses Sonntags lernen.

Der Jesus des Johannesevangeliums ist ein begnadeter und einfühlsamer Redner; er heilt nicht nur Kranke, er feiert nicht nur Hochzeiten und steuert den Wein dazu bei. Nein, Jesus spricht auch mit den Menschen, vor allem mit den Jüngern: Er redet, er streitet, er debattiert, er überzeugt, er predigt. Er redet, weil er sich um die Gefühle und Gedanken seiner Zuhörer kümmert. Und weil er predigt, tröstet er.

Die Jünger im Johannesevangelium machen sich vor allem Sorgen um die Zeit, wenn Jesus nicht mehr dasein wird. Darum hält Jesus vor seiner Kreuzigung in Jerusalem mehrere Abschiedsreden, die alle nur einem einzigen Zweck dienen: Sie sollen die Jünger vorbereiten auf die Zeit, in der sie ohne ihren Meister aus Nazareth leben müssen.

Wir hören Jesus sagen: Mein Vater wird euch einen Tröster senden, den Heiligen Geist. Im Johannesevangelium weiß Jesus vor der Kreuzigung, daß er sterben wird. Entsprechend redet er mit seinen Jüngerinnen und Jüngern. Ich lasse euch nicht allein. An meiner statt wird der Geist dasein, der Tröster. Nächste Woche feiern wir Pfingsten, den Anfang der christlichen ökumenischen Kirche. Kirche – das ist die Gruppe derjenigen Menschen, in denen der Heilige Geist tröstend wirkt. Kirche ist mehr als eine Gruppe von Menschen, die sich regelmäßig zu Gottesdienst und Gebet treffen. Zur Kirche gehören nicht nur Menschen mit gleicher Gesinnung, mit gleicher Meinung, mit gleicher Einstellung.

Kirche steht all denjenigen besonders offen, die Trost brauchen, denjenigen, die „mühselig und beladen“ (Mt 11,28) sind. Niemand wird ausgeschlossen. Kirche verlangt von denen, die zu ihr gehören, keine eigenen Kraftanstrengungen, keinen Korpsgeist, keine gemeinsame Gesinnung. Kirche ist nicht Selbstzweck. Kirche hat eine ganz einfache Aufgabe: Sie soll den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus verkündigen, und zwar nicht belehrend, nicht besserwissend, nicht arrogant, sondern so, daß es für die Menschen zum Trost wird. Kirche kann zum Trost werden, wenn sie weiß, daß in ihr ein Tröster wirksam ist. Einen Tröster nennt Jesus den Heiligen Geist.

Jesus hat den Jüngern diesen Heiligen Geist versprochen. Die Zeit der Kirche ist die Zeit der Abwesenheit Jesu und die Zeit der Anwesenheit des Geistes.

Heiliger Geist ist dort, wo Trost geschieht und lebendig wird. Die Bibel denkt nicht an ein überwirkliches, nicht-materielles Wesen. Heiliger Geist hat auch mit Tischerücken und Kaffeesatzlesen zu tun.

Statt dessen geht es um ein Geschehen, um Beziehungen, um Kommunikation, um Lebendigkeit, um Wirklichkeit. Vier Dinge sagt Jesus über den Heiligen Geist.

  • Er tröstet.
  • Er kommt von Gott.
  • Er ist Wahrheit.
  • Er gibt uns ein Zeugnis.

Wie tröstet der Geist? Jesus sagt: Er wird ein Zeugnis geben. Das Zeugnis verweist auf keinen anderen als auf den, der als erster den Geist bezeugt hat: auf Jesus von Nazareth. Der Geist, der ein Tröster ist, erinnert an Jesus Christus, er bezeugt sein Leben und seine Worte. Der Geist erinnert uns an den, der für uns gestorben und auferstanden ist. Das Segenszeichen in jedem Gottesdienst, der für einen Moment nur aufblitzende Heiligenschein der blumengießenden alten Damen, die Osterfreude darüber, daß Gott den Tod überwunden hat, und schließlich die Pfingstfreude über den Heiligen Geist, der ein Tröster ist – all das gehört zusammen.

Jesus Christus und der Heilige Geist können darum nicht voneinander getrennt werden. Der Geist verhindert, daß wir uns von Jesus ein falsches Bild machen. Wir sollen ihn nicht mißbrauchen für unsere eigensinnigen Ziele. Kein strahlender Übermensch war Jesus, nicht die grandiose Himmelsgestalt, die wir uns manchmal wünschen. Jesus war ein Mensch wie alle Menschen, ein Mensch, der auch scheiterte. Er ging am Ende seines Lebens den Weg nach Golgotha.

Es ist das wichtig für die Gemeinde: Christsein bedeutet nicht zwingend Erfolg haben. Beides ist nicht unbedingt miteinander verbunden. Entscheidend ist: Weder das Scheitern noch der Mißerfolg im Leben schließen einen Menschen von der barmherzigen Liebe Gottes, von der tröstenden Zuwendung des Jesus von Nazareth aus. Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht an eine Vorleistung der Menschen gebunden. Der Trost des Heiligen Geistes ist bedingungslos.

Der Geist tröstet, wenn Gemeinden und Christenmenschen sich überfordern. Viele träumen davon, wie großartig alles in den Gemeinden gehen müßte. Lebendig wie beim wunderbaren Kirchentag! Der Geist behütet uns vor Überforderung, und zugleich hält er uns in Bewegung. Der Geist, der die Wahrheit ist und Wahrheit hervorbringt, zeigt uns, von wem wir abhängen. Er befreit uns aus den ‚gottlosen Bindungen dieser Welt‘ (Barmen II). Der Trost des Geistes befreit uns aus der Abhängigkeit von der Anerkennung anderer.

Der Geist ist dort wirksam, wo wir uns Jesus Christus zuwenden. Das ist das Erkennungszeichen des Geistes. Heilig ist nur der Geist, der zu Christus führt. Von diesem Geist leben die Gemeinden und die Kirchen. Das tröstet uns, und es bewahrt vor dem Hang, immer die eigenen Leistungen und das eigene Können in den Vordergrund zu stellen. Das ist gar nicht nötig. Gottes Segen und der Trost des Heiligen Geistes stellen sich einfach ein. Es ist ein wenig so wie bei der alten Dame auf dem Kirchentagsbild: Sie merkt gar nicht richtig, daß sie eine gesegnete alte Dame mit einem Heiligenschein ist.

Jesus Christus und der Heilige Geist gehören untrennbar zusammen. Wer nur noch auf das Wirken des Geistes schaut, der wird zum weltfremden Schwärmer. Geist wird dann zum Selbstzweck. Das ist die große Gefahr der charismatischen Gruppen, daß sie den Geist verselbständigen und nicht mehr von Jesus reden. Aber Trost, also die Erfahrung von Gottes Barmherzigkeit, und Zeugnis, also Erinnerung an Jesus von Nazareth, gehören zusammen.

Wer sich trösten läßt vom Heiligen Geist, der wird zu Christus geführt. Wer sich zu Christus führen läßt, der wird in Gottes Wahrheit leben. Wer in der Wahrheit lebt, lebt als getrösteter Mensch – wie mit einem unsichtbaren Heiligenschein. Wer getröstet ist, kann diesen Trost weitergeben.

Niemand soll so tun, als ob er solchen Trost nicht nötig hätte. Gott ist Mensch geworden, um den trostbedürftigen Menschen entgegenzukommen. Wer sich trösten läßt von Jesus, der wird hineingenommen in ein Geschehen, in die Bewegung der Wahrheit und der Liebe, mit der Gott auf uns bange, furchtsame Menschen zukommt.

Getröstet vom Heiligen Geist, geliebt von Gott werden wir auch fähig, diese Liebe weiterzugeben. Wer ängstlich bleibt und sich fürchtet, der bewegt sich nur um sich selbst, der ist gefangen in sich. Ein Zeichen dafür ist das ständige Schielen nach dem eigenen Wachstum, nach dem Größerwerden, nach Massenbewegungen. Wer sich von der Liebe und dem Trost Gottes umfangen weiß, der kann aber von den eigenen Schwächen absehen, der kann in Liebe auf die anderen Menschen zugehen. Wer Jesu Liebe erwidert, der wird ihm nachfolgen und im Geiste Gottes handeln.

Im Geist erkennen wir Jesus, und in Jesus erkennen wir Gott. An Pfingsten danken wir Gott für das Geschenk des Heiligen Geistes. Wir erkennen unsere Schwachheit, wir erkennen, daß Jesus uns fehlt. Doch in diesem Abschied lassen wir uns trösten. Jesu Rede wollte die Jünger trösten - und ebenso uns heute, weil wir wegen ihrer menschlichen Schwächen so oft an der Kirche zweifeln.

Jesus sagt uns: Der Geist wird euch helfen und trösten. Ihr seid nicht allein in der Gemeinde. Der Geist ist in euch und unter euch. Und er verläßt euch nicht, weder bei Mißerfolgen noch in der Verzweiflung. Der Heilige Geist tröstet euch. Das feiern wir heute an diesem Sonntag und auch am nächsten Pfingstsonntag.

Um das verständlich zu machen, brauchen wir ungewöhnliche, überraschende Bilder. Wer Augen hat zu sehen, der erkennt in einer Satellitenschüssel einen Heiligenschein. Wer Gott mit allen Sinnen wahrnimmt, der erkennt im Beten, Feiern und Singen der trostbedürftigen Menschen das Wirken des Heiligen Geistes, der ein Tröster ist.

Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele
Evangelische Akademie Loccum
PF 2158
31545 Rehburg-Loccum
E-Mail: Wolfgang.Voegele@evlka.de


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