Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Rogate (5. Sonntag nach Ostern), 25. Mai 2003
Taufpredigt über Lukas 11, 5-13, verfaßt von Gerhard Prell
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Taufgottesdienst an Rogate

Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote;
(6)denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,
(7)und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.
(8)Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf.
(9)Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
(10)Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und (a) wer da anklopft, dem wird aufgetan.
(11)Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn* um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete?
*In der späteren Überlieferung finden sich zusätzlich die Worte: »... ums Brot bittet, dafür einen Stein biete? oder wenn er...« (vgl. Mt 7,9).
(12)oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?
(13)Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Liebe Gemeinde,

das ist schon einigermaßen erstaunlich, wie da einer seinen Nachbarn zu nächtlicher Stunde aus dem Schlaf klingelt. Und das nur, weil er noch etwas zu essen braucht für einen späten und unerwarteten Besuch.
Das würden wir uns wohl nicht trauen! Auch, wenn wir mit unseren Nachbarn gut Freund sind – vier-, fünfmal würden wir uns das überlegen, ob wir wegen so etwas eine gute Nachbarschaft aufs Spiel setzen würden.
Der späte Gast soll doch erst einmal in Ruhe ausschlafen. Morgen ist dann auch noch ein Tag. Und da wird man dann sehen.
Aber jetzt noch jemanden aus dem Schlaf holen und solche Umstände machen - das wäre schließlich der Gipfel der Unverschämtheit.

Es ist uns ja auch sonst schon noch peinlich genug, jemanden um einen Gefallen zu bitten. Nur in den äußersten Notfällen tun wir das. Und schon gar nicht mitten in der Nacht.
Und wenn, dann haben wir meist die Worte auf den Lippen: „Bei nächster Gelegenheit werde ich mich schon revanchieren.“ So schnell wie möglich möchten wir zurückzahlen. Nur ja keinem etwas schuldig bleiben. Das gehört sich nicht.
Nichts von alledem hier.

In den heißen Regionen des Vorderen Orients sind nächtliche Reisen nichts Ungewöhnliches.
Oft sind sie in der Kühle der Nacht erst möglich, wenn tagsüber die Hitze auf oft 50° C steigt.
Deshalb ist es auch selbstverständlich, dass man sich unter Nachbarn aushilft, auch mitten in der Nacht. Und wenn’s schon nicht aus Freundschaft geschieht - das Gastrecht ist dort heilig.
Klar, dass man sich aus der Verlegenheit hilft. Man will sich ja nichts nachsagen lassen. Und schon in der nächsten Nacht könnte man in die gleiche Verlegenheit kommen.
Darum keine Spur von Verärgerung aufseiten dessen, der da so spät aus dem Schlaf geholt wird. Kein saures Gesicht, keine bösen Worte.
„ Ja, was brauchst du denn? Drei Brotfladen? Hier hast du noch Oliven, Ziegenkäse und Wein. Du kannst deinen Gast ja nicht gut trocken Brot essen lassen.“
Eine verlässliche Welt ist das, wo es so zu geht, wo einer sich so selbstverständlich auf die Hilfe seines Nachbarn verlassen kann.

Ist diese Welt nicht schon lange vergangen?
Schon Martin Luther hat es, als er die Bibel übersetzte, nicht mehr verstanden, dass es von dem, der da um Mitternacht um Aushilfe gebeten wird, unverschämt wäre, die erbetene Hilfe zu verweigern. Dass er dem nächtlichen Ruhestörer, wenn schon nicht aus Freundschaft, so doch um seiner eigenen Unbescholtenheit willen aushilft. Denn so müsste man den griechischen Urtext besser übersetzen, wenn wir beachten, dass im Orient das Gastrecht heilig ist und niemand sich nachsagen lassen will, er habe es nicht beachtet.
Nein, für Luther wie für uns heutige Menschen stellt es ein „unverschamptes Geilen“ dar, wenn einer mitten in der Nacht um etwas zu essen für einen unerwarteten Besuch bitten würde.

Aber mag die verläßliche Welt, wie sie die Jünger Jesu kannten, nun auch nicht mehr die unsrige sein – die Sehnsucht und die Hoffnung sind geblieben, dass auch in unserer heutigen Welt wahr werden möchte, was Jesus Christus uns fest zusagt am Sonntag „Rogate“:
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
Es kann und wird auch wahr werden, wenn wir Gott bitten wie einen guten Nachbarn und Freund, wenn wir unsere Bitten vor ihn bringen. Gott wird unsere Gebete erhören, so wie jener Nachbar im Gleichnis den bittenden Freund erhört. Und unser Gebet wird die Welt verwandeln. Denn danach strecken wir uns aus, wenn wir im Vaterunser bitten: Dein Reich komme.

Nun mag es uns Heutigen freilich gehen wie jenem Jünger Jesu im Lukasevangelium. Bevor Jesus seine Jüngern das Vaterunser lehrt und ihnen das Gleichnis vom bittenden Freund erzählt, hatte dieser eine Jünger ihn gebeten: Herr, lehre uns beten. – Wir selber können’s nicht. Oder – wie mir einmal eine Konfirmandin sagte: „Glauben Sie mir, ich hab’s schon oft probiert. Aber so oft war mir dabei, als würde ich gegen eine dunkle Wand reden.“
Unserem Beten fehlt oft das Gegenüber, fehlt die Vorstellung von Gott, fehlt angesichts dessen, was uns alltäglich vor Augen steht, ein Bild oder Gleichnis dessen, vor den wir kommen mit unserem Bitten und Beten.

Christus weiß um diese unsere Nöte mit dem Beten. Und darum lässt er für uns das Gegenüber unseres Betens nicht im Dunkeln, sondern stellt uns Gott vor Augen wie einen guten Freund und wie einen liebenden Vater. In leuchtenden Farben malt er uns Gott vor Augen. Mit ihm können wir reden wie mit einem Freund.
Und wie mit Vater und Mutter.

Denn wenn wir von unseren Nachbarn und Freunden - und diese von uns - heute schon nicht mehr so viel erwarten dürfen wie die Menschen zur Zeit Jesu - Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete?
oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?

Es mag gut sein, dass uns auch hier, die Zeitungen und Fernsehnachrichten sind ja voll davon, Beispiele einfallen, wo dieses Gleichnis nicht mehr stimmt, wo sogar Eltern, Nachbarn und engste Verwandte das Vertrauen von Kindern für immer zerstört und ihnen das Schlimmste angetan haben. Aber darauf sollen wir jetzt nicht schauen.
Jesus fragt nicht: „Wo ist irgendwo auf der Welt ein Vater, der seinem Sohn, wenn er ihn um einen Fisch bittet, statt des Fisches eine Schlange bietet.“ Sondern er fragt: Wo ist unter euch ein Vater – wo ist unter euch eine Mutter – der oder die das Vertrauen seiner oder ihrer Kinder derart zerstören würden?
Sehr einladend und zu Herzen gehend stellt Jesus uns als Väter und Mütter als ein Gleichnis hin für Gottes väterliche und mütterliche Liebe. So wie durch unsere Liebe unsere Kinder jenes lebensnotwendige Vertrauen lernen, das durch nichts in Frage steht, so wirbt Gott um unser Vertrauen, dass wir zu ihm kommen und ihn bitten, wie unsere Kinder zu uns kommen und uns bitten.

Seht, so beginnt die Erziehung im Glauben, die wir bei der Taufe kleiner Kinder als Eltern und Paten versprechen, so beginnt das Erlernen des Betens ganz elementar: Kinder kommen voll Vertrauen zu uns. Und genauso dürfen wir zu Gott kommen. Luther schreibt im Kleinen Katechismus zur Vater-Anrede in dem Gebet, das Jesus uns gelehrt hat: Gott will uns damit locken, dass wir getrost und mit aller Zuversicht zu ihm kommen und ihn bitten sollen wie die lieben Kinder ihren lieben Vater. – Kommen unsere Kinder nicht auch oft mit ziemlich unverschämten, egoistischen Bitten zu uns, die wir wohl hören, ihnen aber versagen müssen?
Und fragen wir uns nicht auch oft, ob wir, wo wir „Nein“ sagen mussten, damit richtig gehandelt haben? Wie auch immer: Kämen unsere Kinder aber dadurch auf die Idee, uns nicht mehr um etwas zu bitten?

Und wenn doch schon wir, die wir bei unseren Kindern in der Erziehung Fehler machen, ihnen dennoch Gutes tun – um wieviel mehr wird dann doch Gott unsere Bitten erhören?
Getrost und mit aller Zuversicht dürfen wir unsere Bitten vor Gott bringen: die Bitten für andere ebenso wie unsere egoistischen Bitten. Die nötigen und die unnötigen. Die sinnvollen und die unsinnigen. Sie zu unterscheiden dürfen wir getrost ihm überlassen. Erhören wird er sie ganz gewiss.
Und er wird sie ganz gewiss nicht in ihr Gegenteil verkehren: Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn* um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete?
oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Der Heilige Geist ist es ja, der in uns ruft: „Abba, lieber Vater.“ – Vater unser im Himmel...

Aber nun mag einer, dem die Erfüllung seines Bittgebets versagt geblieben ist, fragen:
„ Woher weiß ich, dass Gott mein Gebet erhört? Und woher nehme ich die Zuversicht und das Vertrauen, dass die Bilder auch wirklich zutreffen, mit denen mir Christus den Himmlischen Vater vor Augen stellt?
Die Antwort darauf gibt der Evangelist Lukas, der wie kein anderer der vier Evangelisten Jesus als den Betenden und als den Lehrmeister des Gebets darstellt.
Auf dem Weg nach Jerusalem fragt der Jünger ihn: Herr, lehre uns beten!
Auf dem Weg nach Jerusalem gibt Jesus ihnen das Gebet: Vater unser im Himmel.
Auf dem Weg nach Jerusalem, an dessen Ziel das Kreuz auf ihn wartet, stellt uns Jesus Gott vor Augen als Freund und Vater.
Im Garten Getsemane betet Jesus noch voller Vertrauen: Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe.
Und noch am Kreuz betet Jesus für seine Peiniger: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Wir wissen auch nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt. Und auch unser Beten wird ein Tun bleiben, das immer der Vergebung durch den bedarf, zu dem wir beten.
Aber Christus verbürgt sich bis zuletzt dafür, dass die Bilder zutreffen, mit denen er uns Gott vor Augen stellt. Das Gott für uns sein will wie ein Freund und Nachbar, wie Vater und Mutter. Und bis zuletzt vertraut er selbst darauf, dass Gott derjenige ist, als den er uns ihn offenbart hat. Noch sterbend sagt er am Kreuz: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Nicht der verzweifelte Schrei eines von Gott Verlassenen sind die letzten Worte Jesu im Lukasevangelium. Sondern das Gebet eines Menschen, der noch sterbend auf die Güte des Vaters vertraut.

Und Gott? Er setzt das vertrauensvolle Beten mit dem Ostermorgen ins Recht.
Indem er Christus von den Toten auferweckt, dessen Gebet doch in den Augen der Welt unerhört geblieben ist, indem er ihn einsetzt zu unserem ewigen und einzigen Fürsprecher bei ihm, indem er das tut, setzt er auch unser Beten ins Recht.

Mag also unserer Welt immer mehr die Verlässlichkeit verloren gehen,
mögen zwischenmenschliche Beziehungen immer weniger zum Gleichnis taugen dafür, dass Gott das ihm entgegengebrachte Vertrauen nicht enttäuschen wird,
Gott will unser Gebet. Und er will es erhören. Auch wenn er nicht jede unserer Bitten erfüllt.
„ Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche und Sehnsüchte, aber alle seine Verheißungen.“ sagte Dietrich Bonhoeffer.
Und eine seiner Verheißungen ist die Verheißung des Geistes, der mit kindlichem Vertrauen in uns ruft: Abba, lieber Vater – getrost und mit aller Zuversicht.

Amen.

Gerhard Prell, Pfr.
Martin-Luther-Str. 11
83093 Bad Endorf
eMail: Gary.P@t-online.de

 

 


(zurück zum Seitenanfang)