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Rogate (5.
Sonntag nach Ostern), 25. Mai 2003
Predigt über Johannes 16, 23b-28.33, verfaßt von Reinhard Schmidt-Rost (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
(Die folgende Predigt wird in einem Universitätsgottesdienst in der Schloßkirche der Universität Bonn gehalten. Im Gottesdienst wird die Kantate BWV 124 „Meinen Jesum laß ich nicht“ von J. S. Bach aufgeführt. Die Predigt bezieht sich auf die Kantate, aber im Zusammenhang mit dem Perikopentext.) „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er’s euch geben. Bisher habt ihr in meinem Namen noch nie um etwas gebeten. Bittet, so werdet ihr empfangen, damit eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tag werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Liebe Gemeinde, Liebe Gemeinde, „Meinen Jesum laß ich nicht, Solange sich ein Tropfen Blut in Herz und Adern reget, soll Jesus nur allein mein Leben und mein alles sein. Mein Jesus, der an mir so große Dinge tut, ich kann ja nichts als meinen Leib und Leben ihm zum Geschenke geben. Und wenn der harte Todesschlag die Sinnen schwächt, die Glieder rühret, wenn der dem Fleisch verhaßte Tag nur Furcht und Schrecken mit sich führet, doch tröstet sich die Zuversicht: ich lasse meinen Jesum nicht.“ Liebe Gemeinde, „Mein Jesus, der an mir so große Dinge tut, ich kann ja nichts als meinen Leib und Leben ihm zum Geschenke geben.“ Soweit kann man dem Text gut folgen, dann aber wendet sich der Dichter in einer Richtung, die man heute als Vertröstung auf ein besseres Jenseits problematisch empfindet, als ob er sich der Nähe Jesu nicht mehr sicher gewesen sei: Der Autor des Kantatentextes wendet den Abschied Jesu von seinen Jüngern um in einen Abschied des Frommen von der Welt um Christi willen. Weltflucht als Nachfolge. Hören Sie selbst: „Doch ach! welch schweres Ungemach empfindet noch allhier die Seele. Wird nicht die hart gekränkte Brust zu einer Wüstenei und Marterhöhle bei Jesu schmerzlichstem Verlust? Allein mein Geist sieht gläubig auf und an den Ort, wo Glaub und Hoffnung prangen, allwo ich nach vollbrachtem Lauf dich, Jesu, ewig soll umfangen. Entziehe dich eilends, mein Herze, der Welt, du findest im Himmel dein wahres Vergnügen. Wenn künftig dein Auge den Heiland erblickt, so wird erst dein sehnendes Herze erquickt, so wird es in Jesu zufriedengestellt. Jesum laß ich nicht von mir, Liebe Gemeinde, Es hat ja immer wieder religiöse Führer gegeben, die ihre Anhänger mit in den Tod nahmen, um sie der bösen Welt nicht aussetzen; ein psychologisch verständlicher, aber für die Betroffenen natürlich verhängnisvoller Vorgang. Ganz anders Jesus: Daran werden die Menschen erkennen, dass Ihr meine Jünger seid, dass Ihr euch untereinander liebt! Bleibt in der Welt, auch wenn ihr Angst habt; ich habe die Welt schon überwunden, ich habe Gedanken in die Welt gebracht, die sich nicht mehr auslöschen lassen. Ich habe mich für die Liebe als Gestaltungskraft in allen Lebensverhältnisse eingesetzt, auch wenn das viele für gefährlich halten und mich deshalb verfolgen; wie die Liebe für Kinder bei ihrer Ankunft in diesem Leben den Boden bereitet, so gewinnt auch der Abschied erst durch Liebe menschliche Tiefe. Auch wenn er noch so wehtut, liebevoller Abschied entlastet auch. Es ist gut, wenn die Kinder aus dem Haus gehen können, gerade wenn sie eine freundliche Erziehung in der Familie erlebt haben; gerade dann ist der Abschied der Weg der Klarheit und des Lebens, denn ohne Abschied können sie sich nicht weiter entwickeln. Wie bedrängend das Problem des Abschieds am Lebensende noch werden kann, ahnen wir inzwischen; denn die Perspektive hat sich seit dem 18. Jahrhundert gründlich umgekehrt: Weltflucht, falls sie je dominierte, ist zurückgetreten, Weltsucht herrscht. Lebensverlängerung wird gefordert, koste es, was es wolle, Gesundheit ist das höchste Gut - und es gibt kaum eine Möglichkeit, den Abschied aus diesem Leben mit Würde und liebevoll zu gestalten, weil man sonst um einen humanen Umgang mit Leben insgesamt fürchten müßte. Obwohl in den Kliniken wegen begrenzter materieller Möglichkeiten immer wieder über Leben und Tod entschieden werden muß, obwohl in den Hospizen und Pflegeheimen schon längst vielfach ein milder Abschied gestaltet wird, ist eine öffentliche Diskussion über eine sinnvolle Gestaltung des Lebensendes erst in Ansätzen möglich. Dabei wird schon längst Tod zugelassen, der noch zu verhindern wäre, wenn die technischen Möglichkeiten ausreichten oder die Organspenden ausgeweitet werden könnten. Und deshalb müssen Ärzte längst schon den Abschied auch von jungen Patienten bewußt verantworten, deren Krankheit technisch und finanziell nicht mehr zu behandeln ist. Es muß nicht wundern, dass Überlegungen aufkommen, die Sterbenlassen und Töten ineinander verschwimmen lassen, aber es bestürzt trotzdem, wie menschliche Verfügungsmacht über das Lebensende sich immer deutlicher abzeichnet. Jedoch: Der Abschied im Tode darf keine Frage selbstherrlicher Entscheidungen
von Menschen über Menschen werden – und er darf nicht vom übrigen
Leben losgerissen werden: sondern nach Lebensformen suchen, wie auch schutzloses Leben begleitet werden kann, zu weiterem Leben oder bei einem Abschied in Würde, gerade wenn die finanziellen Mittel nicht weit reichen sollten. Auf dem ökumenischen Kirchentag in der kommenden Woche wird die Frage eines menschenwürdigen Lebens und Sterbens nicht von ungefähr zur Diskussion stehen, dabei wird auch über neue Formen des Zusammenlebens nachgedacht, die das hinfällige Leben nicht nur mühsam und unter großen Menschenopfern verwahren, sondern in das allgemeine Leben einbeziehen. Solche Fragen gemeinsam bedenken, beweist mehr Kraft christlichen Geistes in der Ökumene als irgendeine Entscheidung über die verschiedenen Auffassungen des Abendmahls oder das Leiden an der mangelnden Einheit. Liebe Gemeinde, Haben wir den Vater bisher um nichts gebeten? Oh, schon oft, habe ich für meine Kinder gebeten, dass sie gut in dieses Leben hineinwachsen dürfen, - inzwischen bete ich auch für den Abschied meiner hochbetagten Angehörigen und derer, die mir nahestehen, aber immer zugleich im Blick auf meinen eigenen Abschied aus dieser Welt: Vielleicht führt die Verbindung vieler Christen im Gebet und im Vertrauen auf Gott schon bald zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit für die Formen, den Abschied zu leben, Lebensformen, die Gottes Liebe in unserem Leben Gestalt werden lassen und die praktiziert werden in Familien, Hospizen und Heimen. Die Phantasie ist ja schon längst rege tätig zu suchen, wie wir miteinander im Leben und im Sterben wohltätig umgehen können, die Lasten teilen und verteilen, die das Leid, auch das Leid der Vergänglichkeit, mit sich bringt; die Behinderung durch die Gedanken an Wachstum und Wohlstand sind in den Herzen vieler Menschen gelockert, ohne dass sie deshalb aus dieser Welt zu fliehen. Es wird sicher keine rauschende Mehrheit sein, die sich dem Ruf Jesu
anschließt, aber ich könnte mir denken, dass bald auch öffentlich
wieder deutlicher wird, wie viele Menschen täglich in den Ruf der
Sehnsucht nach Gemeinschaft in Liebe einstimmen – und sich dazu
auf Jesus berufen: „Er ist meines Lebens Licht, meinen Jesum
laß ich nicht!“ Amen. Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost, Bonn
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