Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern), 27. April 2003
Predigt über Johannes 20, 19-29, verfaßt von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

zwei Jungen sitzen mir im Bus gegenüber. Alle paar Minuten greift der eine von ihnen zu seinem Handy, wirft einen Blick darauf und steckt es wieder weg. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder. Schließlich fragt ihn der andere: "Was guckst du denn dauernd? Wenn du eine SMS bekommst, geht doch der Alarm los." Der Angesprochene meint nur: "Ach nichts." Der Fragende merkt, dass sein Freund nicht darüber reden will. Als sich das Herausholen des Handy noch zweimal wiederholt hat, wird der Freund ungeduldig und fordert ihn auf: "Los, sag schon, was los ist!" Der andere druckst herum. Dabei kommt heraus, dass er auf eine SMS seiner Freundin Lisa wartet. Er ist sich ihrer nicht mehr sicher. Sie hat vorhin in der Pause den Peter so freundlich angeguckt, richtig angestrahlt. Als ich das höre, denke ich: "Du meine Güte! Wenn der so skeptisch ist, da scheint es mit dem Vertrauen, ja, mit der Liebe nicht weither zu sein." Ich empfinde es geradezu als peinlich, wie dieser Junge an seiner Freundin Lisa zweifelt.

I.

Ähnlich peinlich ist das Geschehen, von dem unser heutiger Predigttext erzählt. Thomas ist skeptisch, zweifelt. Die anderen Jünger sind glücklich, erzählen Thomas freudestrahlend, dass sie Jesus gesehen haben. Thomas dagegen glaubt das Erzählte nicht. Er baut eine richtige Barriere auf, indem er Bedingungen, eine nach der anderen, aufzählt, die alle erfüllt sein müssen, ehe er glaubt, dass Jesus lebt. Peinlich. So etwas steht in der Bibel. So eine Geschichte ist unser Predigttext und noch dazu eine Woche nach Ostern, dem Tag der Auferstehung Jesu! Peinlich!

Peinlich, ja peinlich, aber sind wir Menschen nicht so? Der Junge im Bus zweifelte an seiner Freundin nur, weil sie einen anderen Jungen freundlich angesehen hatte. Ich meine darum, dass unser Predigttext nicht eine Erzählung von Thomas ist, sondern eine Geschichte von uns Menschen, von dir und mir. So sind wir Menschen. Thomas ist einer von uns. Die Bibel zeichnet ein realistisches Bild von uns!

Mit dieser Feststellung sind wir nicht am Ende mit der Geschichte, fertig mit ihr und können nach Hause gehen, die Bibel auch gleich beiseite legen. Nein, jetzt geht es erst richtig los. Jesus begnügt sich nicht mit der Feststellung, dass Menschen zweifeln. Er geht auf Thomas zu, spricht ihn an, erfüllt seine Bedingungen, alle seine Bedingungen. Als nun Thomas seine Bedingungen peinlich sind, sagt Jesus zu ihm: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!"

II.

Was ist Glaube?

1. Antwort: Glaube ist nicht Zweifel.
2. Antwort: Was ist Zweifel, wenn Glaube nicht Zweifel ist?
Der Zweifel ist bei uns weit verbreitet. Er begegnet uns im Bus und anderswo. Selbst Liebende zweifeln. Ist der Zweifel am Ende trotz aller Peinlichkeit berechtigt?

Jesus wurde gekreuzigt, starb, wurde als Toter begraben. Und dieser Jesus soll leben?!

Ähnlich können wir im Blick auf unsere Nachbarschaft fragen. Wir sehen, dass dort viele Partnerschaften auseinandergehen, dass viele Ehen scheitern. Wären die Brüche, wenigstens manche nicht zu verhindern gewesen, wenn die Partner Zweifel gehabt hätten?

Ähnlich ist es in der Wissenschaft. Lebt nicht die Wissenschaft vom Zweifel? Dort wird er "kritische Rückfrage" oder auch "Test" genannt. Schon in der Schule werden Tests in Physik, Chemie, Biologie durchgeführt, werden Arbeiten als Test geschrieben. Ja, Tests sind notwendig. Es müssten sogar noch viel mehr durchgeführt werden. In der Osterausgabe einer großen Wochenzeitung konnte man über Albert Einstein lesen (Astrid Dähn, Technik aus dem Spukhaus, in: Die Zeit, Nr. 17, vom 16.4.2003, S. 35). 1935 schrieb Einstein von "einer spukhaften Erscheinung in der Physik. Eine "vernünftige Definition der Realität" sollte derlei Phänomene "nicht zulassen". Heute wird weltweit daran geforscht. Physiker und Firmen wollen dieses Phänomen technisch nutzen. Dadurch können Computer viel leistungsfähiger werden. Enorme Gelder werden in die Forschung investiert. Einstein dachte nicht an die Möglichkeiten dieser Erscheinung. Er war von seiner Meinung überzeugt, so überzeugt, dass er nicht zweifelte. Hätte er gezweifelt, stände er heute besser da.

Kehren wir noch einmal zu den Partnerschaften zurück. Wie viele Eltern, Freunde sagen heute von einer Frau: "Musste sie auf diesen Kerl hereinfallen", wenn die Ehe zerbrochen ist? Ebenso viele Eltern fragen so, wenn die Frau ihres Sohnes zu einem anderen zieht.

Kehren wir noch einmal zur Schule zurück: Was wäre das für eine Schule ohne Tests?

Der Zweifel ist angebracht. Ja, mit Blick auf Einstein müssen wir sagen: wir brauchen noch mehr Zweifel.

Wirklich? Würden Leute noch heiraten, wenn der Zweifel uns ganz bestimmt? Würde jede und jeder nicht lieber Single bleiben, bleiben müssen? Eine schreckliche Welt wäre das. Die Welt wäre ein einziges Gefängnis, schlimmer als ein Gefängnis. Im Gefängnis gibt es den Zellengenossen, den Kumpel. Sie gibt es im großen Gefängnis "Zweifel" nicht.

Jesus geht auf Thomas ein. Er spricht ihn an. Er erfüllt die Bedingungen, legt die geforderten Beweise vor. Dann sagt er: "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!"

III.

Wir sehen Jesus nicht. Wir waren damals nicht dabei. Wir können nur glauben. Glaube ist nicht Zweifel. Glaube ist der Gegensatz von Zweifel. Der Zweifel ist der, von dem wir meinen, dass er uns näher ist, dass er uns einleuchtet.

Dieses "Bessere-Einleuchten" geht weit. Wie weit es geht, hörte ich neulich in einem Radio-Gespräch. Ebenfalls war ein Junge beteiligt. Er wurde befragt. Dabei wurde auch die Frage gestellt: "Glaubst du an Gott?" Seine Antwort kam prompt und war eindeutig: "Nein." Er lieferte auch gleich die Begründung hinterher: "Ich bin doch nicht abergläubig." Wirklich? Ich meine, dass dieser Junge gerade abergläubig ist. Da er nicht an Gott glaubt, hat er sein Herz an etwas anderes gehängt. Er liebt seinen PC, seine Inlineskater, seine Eltern. Ich weiß nicht, was und wen er alles liebt. Er sagte es nicht, aber irgendwen oder -was liebt er, weil jeder Mensch liebt. Was der Mensch liebt, an was er sein Herz hängt, das ist sein Gott, wie Luther schon bemerkte. Noch früher, Jahrtausende davor sagten sich die Israeliten von ihrem Gott los und liebten ein Kalb. Sie sahen es. Sie beteten es an. Einer der Ihren hatte es aus ihrem Gold angefertigt.

Ähnlich erging es dem Jungen in jenem Radiogespräch, wenn er auch nicht ein Kalb liebte. Wie war der Junge zu seiner Meinung gekommen? Ich weiß es nicht. Er sagte es nicht. Eine nahe liegende Erklärung ist die, die die Wissenschaft gibt. Der Junge kam aus den neuen Bundesländern. Die lange kommunistische Herrschaft in diesen Ländern raubte den Menschen den Glauben an Gott wie vorher schon die Herrschaft der Nazis. Kirchen wurden in Russland für andere Zwecke genutzt oder gar zerstört. In der DDR wurde die Universitätskirche in Leipzig gesprengt, obwohl sie den Krieg überstanden hatte. Der Junge aus dem Radio ist ein Opfer dieser Politik und merkt es nicht, weil er nicht an seiner Meinung zweifelt.

Glaube glaubt nicht alles. Glaube zweifelt auch nicht an allem. Wo ist die Grenze? Jesu Worte, seine Handlungen sind es.

Die Frauen, die am Ostermorgen Jesum als erste sahen, folgen Jesus, glauben ihm. Die Jünger, die ihn sahen und hören, vertrauen und glauben ihm. Die Bibel enthält 4 Evangelien. Sie alle erzählen, bezeugen die Auferstehung Jesu, wie sie auch seinen Tod berichten. Die übrigen Schriften des NT gehen von Jesus Auferstehung aus. Es sind zusammen mit den Evangelien 27 Schriften.

Später gab es immer wieder Menschen, die von Jesus Auferstehung reden, überzeugt sind. Fast 2000 Jahre lang feiern wir Ostern! Nazis, Kommunisten kamen und gingen. Sie brachten Unfrieden, Streit, Gefängnis und Tod.

Jesus tritt ein mit dem Frieden: "Friede sei mit euch" ruft er den Jüngern zu. Die Reaktion der Jünger ist Freude. "Da wurden die Jünger froh, als sie den Herrn sahen," schreibt Johannes in unserem Predigttext.

Glaube ist Freude. "Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben!" Selig bedeutet: Freude, Glückseligkeit. Ein Wort für "selig" haben wir nicht in unserem Alltag. Das, was "selig" meint, ist singulär, einmalig. Nur Gott kann es uns schenken. Wir umschreiben "selig" mit Freude, Friede. Glück ist zu wenig. Die Iraker haben Glück, dass Erdöl, viel Erdöl in ihrem Boden liegt. Sind sie glücklich? Es ginge ihnen viel besser, wenn sie weniger, am besten gar kein Öl hätten. Ein Krieg wäre um Sand nicht geführt worden.

Glaube, der Glaube an Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen ist Seligkeit, Freude und Friede.

Davon spricht Psalm 116, den wir eingangs des Gottesdienstes gemeinsam gebeten haben (EG 746). Dieser Psalm, vor Jesu Auferstehung gedichtet, wendet sich an Gott, der Jesum nicht im Tode ließ. Darum wollen wir diesen Psalm nun singen. Heinrich Vogel dichtete den Psalm im Deutschen nach. Heinrich Vogel hat als Pfarrer unter den Nazis gelitten. Er lebte 1948 in Berlin, als er den Psalm nachdichtete. Lassen Sie uns diesen Psalm nun singen, Lied 292, EG.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, behüte und bewahre euch. Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
E-Mail: ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de


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