Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Ostermontag, 21. April 2003
Predigt über Lukas 24, 13-35, verfaßt von Birte Andersen (Dänemark)
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Als Adam und Eva im Garten Eden vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, so betont die Erzählung, "öffneten sich ihre Augen". Von da an waren sie nicht mehr dieselben. Sie waren nicht mehr unschuldig und wurden sich bewußt, daß sie nackt waren. Und sie konnten den Unterschied zwischen gut und böse erkennen. Eine teure Bekanntschaft, wie sich zeigen sollte. Denn das Böse war am sichtbarsten. Der Brudermord Kains - und was darauf folgte.

Die Geschichte heute handelt auch von Augen, die sich öffneten, und von Menschen, die nicht mehr dasselbe sahen. Aber es handelt sich um eine Gegengeschichte gegen den Sündenfall. Von dem entscheidenden Wendepunkt in der Erzählung heißt es, daß sich "ihre Augen öffneten". Das geschah, als sie Jesus in der Handlung wiedererkannten, die er mit ihnen zusammen vornahm: Er brach das Brot.

Aber wo Adam und Eva aus dem lichten Paradies vertrieben wurden, kamen die beiden Jünger aus der dunkelsten Finsternis und der größten Trauer. Denn wenn selbst der gute Mensch - er, der die Welt erlösen sollte, getötet wurde, dann hatte das Böse endgültig gesiegt.

Aber ihre Augen öffneten sich. Unterwegs war diese Augenöffnung vorbereitet worden. Denn der auferstandene Jesus hatte unterwegs die Vorhersagen mit dem verbunden, was geschehen war. Aber das Geschehen der Öffnung der Augen selbst findet statt, als sich das Gespräch zwischen den dreien darin ausdrückt, daß Jesus das Brot bricht.

Das ist ganz offenbar eine göttliche Tat - jemand öffnete ihre Augen. Selbst konnten sie das nicht. Auch wenn sie hörten und sahen. Wir können uns vorstellen, wie sie z.B. in ihrer eigenen Welt gefangen waren, oder daß ihr Gehör und ihr Blick durch die gewaltigen Ereignisse geschärft waren, so wie Menschen, die in extreme Situationen geraten und besser als gewöhnlich hören und sehen.

Sie sahen ihn helllebendig auf dem Wege, aber sie sahen ihn dennoch nicht. Sie hörten ihn die Schriften auslegen, aber sie hörten ihn dennoch nicht. Aber als sie mit ihren Sinnen die Begegnung mit ihm hautnah erlebten, als sie das Brot spürten, schmeckten und rochen, da öffneten sich ihre Augen.

So wie es uns erzählt wird, wird betont, daß der Gott, der Fleisch wurde, leiblich wurde und in das Innerste der Materie einging - daß dieser Gott ihnen die Augen öffnet. Und daß er sich der notwendigen Dinge des Alltags bedient: Brot und Wein - als den Orten, an denen er sich zeigt. Und sein Reich offenbart.

Wenn man etwas berührt, und noch deutlicher wenn man etwas schmeckt und riecht, dann wird die Grenze verwischt zwischen mir und dem, was ich wahrnehme. Indem ich etwas esse, werde ich eins mit dem, was ich verzehre. Du bist, was du ißt. Und wenn Auferstehung bedeutet, daß sich Gott mit unserem Brot und Alltag vereint hat, dann widerfährt eben dies den beiden Jüngern: Ihre Herzen werden mit seinem Leben gefüllt.

Sie 'brennen', heißt es - so ist es, wenn man mit dem Magen oder dem Herzen sieht, was in diesem Zusammenhang dasselbe ist. Im Gegensatz zu Adam und Eva, die aus dem Licht kommen, deren Augen aber für die Finsternis geöffnet werden, kommen diese beiden Jünger aus der Finsternis ins Licht. Und das auf eine ganz besondere Weise.

Wo die Welt zuvor in gut oder böse aufgeteilt war, sehen diese beiden Menschen nun den Sieg im Leiden oder durch das Leiden, daß das Gute das Böse durchdringt - so wie die Hefe oder die Kraft Gottes das Brot durchsäuert.

Und wenn das Böse nicht mehr seinen eigenen Spiralen überlassen ist, und wenn das Gute seinen Bereich erhält, Form und Leib erhält, dann beginnt eine neue Geschichte. So wie man neue Lebensenergie erlangen kann, indem man Brot verzehrt, kann neuer Lebensmut nun durch Leiden und Verlust kommen - nicht dadurch, daß man Verlust und Leiden vermeidet.

Mit dem Herzen sehen heißt in den Blick bekommen, daß wir nach der Auferstehung Jesu das Gute an den Orten des Bösen und des Leidens aufsuchen müssen - nicht an dem Ort der hehren Ideale, sondern in den Kämpfen des Alltags. Denn der, dem die Augen aufgehen, sieht die Spuren Gottes dort, wo er es am wenigsten erwartet. Mit dem Herzen sehen heißt selbst auferstehen.

Ostern ist der Tag der Auferstehung Jesu - der Ostermontag der Tag meiner Auferstehung und der Auferstehung der Welt. Die Welt, das Bild der Wirklichkeit hat sich denn auch geändert und schreibt eine andere Geschichte als die, die die Menschen vorher kannten.

Mit dem Herzen sehen, das ist nicht die Stärke unserer Kultur. Wir sind vielmehr gewöhnt, mit dem Kopf zu sehen. Die Sprache des Kopfes ist oft eine Sprache des Entweder-Oder. Deshalb geht jeder Mensch und jeder Bereich auch den eigenen Weg, und wenige denken quer - gegen den Strich oder in Spannungen.

Die Sprache des Herzens dagegen kann sowohl als auch sagen. Oder die schärfsten Gegensätze stehen lassen und zusammenhalten und gemeinsam eine Wahrheit bilden lassen. Die Sprache des Herzens denkt in Ganzheiten, vielleicht gebrochene Ganzheiten, aber alle Worte der Sprache des Herzens weisen über sich selbst hinaus und sind in sich Einladungen zu neuen Öffnungen.

Gebrauchen wir aber diese Sprache des Herzens nicht oder mißbrauchen wir sie, dann schließt sich unser Herz. Es wird ein Stein davor gewälzt, und das Herz wird zu einer Grabkammer. Auferstehung ist, daß sich die Augen des Herzens wieder öffnen und sich öffnen lassen. Dann können wir eine neue Welt und uns selbst mit einem neuen Blick sehen. Einem Blick, der daher kommt, daß der Verwundete und Auferstandene in unseren Herzen lebt. Den Blick, den unsere Auferstehung gibt, können wir einen Doppelblick nennen. Eine neue Sicht auf unsere Umwelt, die bewirkt, daß wir immer - wenn ich so sagen darf - doppelt sehen.

Wo wir zuvor nur ein Brot als Nahrungsmittel sahen, ist dies nun zugleich das Brot des Lebens, Nähe, etwas Heiliges. Wo wir zuvor unseren Mitmenschen nur als einen Arbeitskollegen, einen Nachbarn, einen Freund oder eine schwierige Herausforderung sahen, können wir nun niemals anders als das Bild Gottes in ihm oder ihr sehen. Wo wir zuvor nur Leiden sahen, wenn Unglück und Trauer uns überwältigen, sind wir nun ewig der Hoffnung im Leiden verbunden. Wo wir zuvor nur Glück sahen, wenn es bei uns einzog, erblicken wir nun das Leiden, das nur das Glück aufdecken kann. Wo wir am liebsten das Unglück zu einem Bruch machen wollen - ein Bruch, der dann oft das ganze Leben umfaßt, meldet sich das leben nun als Kontinuität und Zusammenhang. Und wo wir in der Kontinuität Brüche übersehen und uns daran machen, zu harmonisieren uns vom Glück zu träumen, da meldet sich der Blick der Wirklichkeit als Bruch mitten im Zusammenhang.

Ich glaube, daß sich viele darüber wundern, warum Jesus unsichtbar wird - gleich nachdem er sich offenbart hat. Mit einem inneren Auge gesehen könnte die Antwort auf diese Frage sein: Weil es nun nicht mehr um seine Auferstehung - sie haben wir gesehen - sondern um unsere Auferstehung geht. Unsere Augen und unser Herz werden nun geöffnet. Es gibt keine unsichtbaren Auferstehungen. Alle Auferstehungen haben etwas mit Stoff, Körper und Erde zu tun: ein Brot, das gebrochen wird, eine Tür, die sich öffnet, einige Schritte, die gegangen werden, eine Hand, die greift, ein Fuß, der feststeht, ein Gesang, das sich nicht unterdrücken läßt.

So singt der schwedisch-finnische Dichter Bo Carpelan:

In dem Gesehenen verbirgt sich immer etwas mehr,
zwischen vergessenen Häusern mehr als Stille.
Ö ffne ich eine Tür, die vor mir ist,
jemandem, der vorher den harten Weg gegangen ist -
in einem einsamen Raum ist stets etwas mehr.
Was vor allem Trauer war, wird Partner des Glücks,
zwischen Stein und Stein gab es stumme Gespräche,
frühlingshaft leuchtete ein herbstlicher Tod
dort in der Finsternis, Licht und etwas mehr.

Amen

Pfarrer Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 - 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk



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