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Ostersonntag,
20. April 2003
Predigt über Markus 16,1-8, verfaßt von Wolfgang Ratzmann (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
Liebe Gemeinde, I „
mors certa, hora incerta“ – so steht es geheimnisvoll in lateinischer
Sprache an der Uhr des Neuen Rathauses zu Leipzig: „Der Tod ist gewiss,
nur die Stunde ist ungewiss.“ Oder: Nichts ist gewisser im Leben als
der Tod. Der kommt ganz bestimmt. Wir erleben die Todesverfallenheit allen Lebens nicht nur individuell und biologisch im Altern und Sterben des Menschen. Sie kann sich auch ausdrücken in gescheiterten Hoffnungen, in einer Haltung der fehlenden Ehrfurcht gegenüber der Schöpfung oder gegenüber den Mitmenschen. Wir spüren den Atem des Todes dort, wo blind zerstört und vergiftet und verwüstet wird. Wir erleben ihn auf den Schlachtfeldern der Erde, in den vergangenen Wochen vor allem im Irak. Überall scheint es oft keine andere Perspektive zu geben als den Tod. Nichts anderes, nur er ist gewiss. Da sind die drei Frauen auf ihrem Gang zum Grab. Gerade noch haben die den Triumph des Todes erlebt. Der, den sie lieb hatten, der, der ihnen Gott als den liebevollen Vater nahegebracht hatte, ist brutal hingerichtet worden. Sie sehen die Bilder noch vor sich: die aufgehetzte Menge, die „kreuzige ihn“ schreit; der gefühllose römische Statthalter mit seinen routinierten Henkern; Golgatha mit den drei Kreuzen ... Tot und begraben ist der, auf dem ihre Hoffnungen ruhten. Mit einem riesigen Stein bedeckt der Traum von einem anderen Leben in der Freiheit der Kinder Gottes. Vorbei ihre Zuversicht, dass dieser Jesus Israel erlösen würde. Der Tod, nichts anderes ist gewiss. Was bleibt, ist die liebevolle Treue zu ihm, die pietätvolle Verehrung: wohlriechende Öle, die auf den Leichnam geträufelt werden sollen; Trauerarbeit, um sich auch selbst wieder zurecht zu finden in der eigenen Welt des Todes, aus der es eben doch kein Entkommen gibt. II Und nun kommt doch alles anders. Man muss die Ostergeschichten nicht
nur oberflächlich als Protokolle eines Ereignisses betrachten. Zu
unterschiedlich sind sie in ihren Einzelheiten. Wie sollte sich auch
protokollieren lassen, was alles Begriffe, alles Vorstellungsvermögen
von Menschen sprengt? Wir sollten sie eher betrachten wie kostbare Bilder,
die uns hinter der Oberfläche des Erzählten eine tiefere Wahrheit
mitteilen wollen: Die Frauen kommen – und der Stein, Symbol der
Hoffnungslosigkeit, ist weggewälzt. Sie kommen zum Grab, zur immerwährenden
Wohnung des Todes. Aber sie finden nicht den Tod in ihm, sondern einen „Jüngling
zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an“.
Die Wohnung des Todes ist besetzt von einem Boten des Lebens. Wo es nach
Leichentüchern und Verwesung zu riechen hat, dort breitet sich der
Geruch des Lebens aus. Dort sitzt der in der Pose eines Regenten, der
das Leben selbst ist. Dort herrscht jetzt der Gott des Lebens. Es ist ganz sicher schwer, dem zu vertrauen. Zu massiv sind unsere Erfahrungen
in der Welt des Todes. Sollen wir auf einen alten Text setzen, auf eine
alte wundersame Erzählung, wo unsere Vernunft, wo alle unsere Erfahrungen
dagegen sprechen? Aber stimmt das eigentlich: alle unsere Erfahrungen?
Könnte es sein, dass uns die Ostergeschichte die Augen öffnen
hilft für Gegenerfahrungen, für österliches Geschehen
auch in unserem Leben? III Doch noch einmal zurück zu den Frauen. Mit Furcht und Entsetzen
fliehen sie aus dem Grab. Nicht einmal des Gottesboten gelingt es, sie
zu beruhigen. Ob sie es überhaupt wahrnehmen, was er sagt: „Entsetzt
euch nicht. Jesus ist auferstanden. Geht und sagt es seinen Jüngern.
Er wird euch vorausgehen nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen...“?
Es ist schwer, in Furcht und Entsetzen zuzuhören. Ostern entsetzt uns nicht mehr. Wir haben uns an seine Botschaft gewöhnt. Sie umgibt uns in der Form schöner Lieder, kostbarer Gemälde und vertrauter Texte: Jesus ist auferstanden. Mit Entsetzen reagieren wir nicht, eher mit skeptischem Zweifel – oder auch mit der Langeweile der Selbstverständlichkeit. Das Entsetzen der Frauen ist der angemessenere erste Schritt auf das hin, was sie erleben. Es zeigt, dass sie registrieren, was sich hier ereignet hat: Der Tod ist nicht mehr gewiss. Die alte Ordnung der Welt gerät aus den Fugen. Es braucht viel Zeit, bis man das ein wenig verstehen kann und bis man die Konsequenzen sieht, die sich daraus ergeben. IV In der Tat: Ostern ist ein Fest mit Konsequenzen. Wenn es stimmt, dass
nicht der Tod das letzte Wort hat, sondern das Leben, Christus, der Auferstandene,
Gott selbst, dann könnte sich manches ändern, was in der Todesordnung
selbstverständlich ist: „Der Tod ist gewiss, nur die Stunde ist ungewiss“, so heißt
es. Seit Ostern ist der Tod nicht mehr die letzte Gewissheit, sondern
das Leben aus Gott, die Auferstehungskraft Jesu Christi. Es wäre
gut, wenn wir unsere skeptischen Zweifel hinter uns ließen oder
unsere Langeweile und wenn uns ein wenig von dem Entsetzen der Frauen überkäme.
Wir fingen dann an zu ahnen, was das heißt: Auferstehung. Wir spürten
dann etwas von Gottes neuer Ordnung des Lebens hinter unseren Ordnungen
des Todes. Wir könnten dann beginnen, schon aus dieser neuen Gewissheit
des Lebens heraus zu denken, zu hoffen und zu handeln. Lied: EG 107 Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann, Theologische Fakultät Leipzig |
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