Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Karfreitag, 18. April 2003
Predigt über Johannes 19,16-30, verfaßt von Jan Ulrik Dyrkjøb (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Wie viele andere habe ich von Kind auf Pfarrer und andere immer wieder sagen hören: Jesus ist für unsere Sünden gestorben. Das gilt sicher auch für viele von Euch. Wir haben es oft gehört. Für viele muß das so etwas wie der Kernsatz des Christentums gewesen sein: Jesus starb für unsere Sünden.

Ich habe es immer wieder gehört. Und ich habe oft - halb bewußt, halb unbewußt - mich selbst gefragt: Wie ist das zu verstehen? Und viele Jahre lang habe ich es nicht verstanden, nicht richtig jedenfalls.

Wenn der Sinn der war, daß Gott ein sehr großes Opfer forderte, um den Menschen vergeben zu können, und daß Jesus dieses Opfer war, dann kann da etwas nicht stimmen. Gott ist doch kein Gott, der blutige Opfer fordert. So ist Gott nicht.

Nein, und das ist auch nicht die richtige Erklärung. Diese Erklärung übersieht u.a., daß der Vater eins ist mit dem Sohn. Wenn der Sohn leidet, leidet auch der Vater. Gott selbst offenbart sich am Kreuz Karfreitag, im Schmerz und im Tod eines Menschen.

Das gehört jedenfalls dazu. Und es gibt auch andere Methoden, den Tod und das Opfer am Kreuz zu erklären. An Erklärungen fehlt es uns in der Theologie nicht, und vieles von dem, was gesagt und geschrieben ist, ist auch klug und tiefsinnig und kann uns Einsicht in unseren Glauben geben.

Aber man kann auch fragen, ob wir nicht lieber alle die theologischen Erklärungen beiseite lassen sollen und einfach dem evangelischen Bericht folgen sollen, um gleichsam erneut zu erfahren, was damals geschah.

Die Evangelisten bieten ja auch keine Erklärung. Sie erzählen nur. Sie erzählen, daß ein Mensch gefangen genommen wurde, daß er vor den Hohen Rat geführt wurde und dann vor den römischen Statthalter Pontius Pilatus. Sie erzählen, daß er ausgepeitscht und zum Tode verurteilt wurde, daß er zur Stätte der Hinrichtung geführt wurde, und daß er dort an einem Kreuz starb.

Ganz ohne Erklärung sind die Berichte der Evangelisten nicht. An mehreren Stellen schieben sie Hinweise auf die Schriften des alten Bundes ein. Und das ist ja auch eine Form der Erklärung.

Auch der Evangelist Johannes hat solche Hinweise. Wir sollen verstehen, daß das, was auf Golgatha geschah, die Erfüllung von Worten ist, die einmal gesagt wurden. Der Sinn ist gerade, daß es so geschehen muß, wie es tatsächlich geschieht.

Und schließlich hören wir, daß die Soldaten die Gebeine Jesu nicht zerbrechen, weil er bereits tot ist, und der Evangelist zitiert aus dem zweiten Buch Mose: "Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen."

In dem ursprünglichen Zusammenhang ist die Aussage ein Teil der Anordnung über das Osterlamm und die Ostermahlzeit. Das ist die Mahlzeit, die alle israelitischen Familien essen sollen unmittelbar bevor Gott der Herr die Israeliten aus Ägypten führt. Vom Osterlamm wird ihnen gesagt, daß sie ihm keine Knochen brechen sollen.

Der Evangelist hat außer diesem Schriftwort ein anderes Wort aus den Propheten: "Sie werden sehen auf den, in welchen sie gestochen haben".

Was sagen diese Worte? Sie sagen ja schlicht und einfach, daß der Tod dieses Menschen Befreiung und Heil bringt.

So wie das Osterlamm und die Ostermahlzeit zum Zeichen für die bevorstehende Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten wurde, so wird der Tod Jesu zu einer neuen und umfassenden Befreiung. Ja sein Tod bewirkt diese Befreiung.

Auf ihn sollen wir sehen. Von ihm sollen wir das Heil erwarten, von ihm, den wir Menschen durchbohrt und getötet haben.

In der Apostelgeschichte haben wir eine Wiedergabe der Verkündigung der ältesten Christen. Schon am ersten Pfingsttag predigt Petrus zu den versammelten Juden.

Er erzählt einfach, was geschehen ist und was er und die anderen Apostel erfahren haben. Jesus hat Zeichen und Wunder vollbracht. Er wurde ans Kreuz geschlagen und umgebracht. "Den hat Gott auferweckt und aufgelöst die Schmerzen des Todes, wie es denn unmöglich war, daß er sollte von ihm gehalten werden."

Petrus und die anderen Apostel bezeugen das. Petrus stellt den Juden gegenüber fest, daß Gott diesen Christus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat", und er fordert sie auf, sich taufen zu lassen im Namen Jesu zur Vergebung der Sünden.

Aber er erklärt an sich nichts! Jesus hat gelitten und ist gestorben. Er ist auferstanden. Er ist Herr und Christus. Und durch die Taufe in seinem Namen können die Menschen die Vergebung der Sünde empfangen. In diesem Menschen, in seinem Tod und seiner Auferstehung ist Heil.

Petrus sagt dies später ganz deutlich: "In keinem anderen ist das Heil, ist auch kein Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden".

So ist es. Keine Erklärungen! Die Apostel legen Zeugnis ab von etwas, dessen sie gewiß sind, daß es geschehen ist. Aber sie haben nicht etwas, was wir Theologie nennen können und keine Lehrsätze.

Die Sache ist vielleicht die, daß es letztlich unmöglich ist, zu erklären, warum der Tod dieses Menschen ein versöhnender und heilbringender Tod ist. Das kann man nicht erklären, das soll auch nicht erklärt werden.

Christus stirbt einen menschlichen Tod. Er geht zugrunde im größten Schmerz. Er erfährt die tiefste Ohnmacht. Ja, er erlebt die tiefe Einsamkeit und Gottverlassenheit des Menschen. Er wird gepeinigt und stirbt am Kreuz.

Und von diesem Tod, von diesem toten Menschen kommt das Heil. Von diesem toten Menschen geht unvergängliches Leben aus. Durch ihn wird alles wieder neu. Gott hat Frieden geschlossen durch das Blut an seinem Kreuz. Das ist eine ganz neue Wirklichkeit.

Das ist wie der erste Morgen der Schöpfung, wo der Geist Gottes über der Urtiefe schwebte und Gott durch sein Wort Licht schuf. Wie, das ist das Geheimnis Gottes.

Die Erzählung ist die Botschaft. Und mehr ist im Grunde nicht zu sagen. Wenn alles wirklich wieder neu werden soll, wenn wir wirklich von Dämonie und Bosheit und von unseren eigenen Süden und von dem Tod befreit werden sollen, der über uns wie ein Verbannung schwebt, dann kann dies nur durch den tiefen Schmerz eines unschuldigen und reinen Menschen geschehen. Dann muß gerade er in die tiefste Tiefe stürzen und wieder auferweckt werden und zur Rechten des Vaters sitzen.

Aber wir meinen vielleicht nicht, daß wir Erlösung brauchen? Hier ist vielleicht der Grund, warum wir nichts verstehen.

Wir können nicht das Reden von Sünde und Dämonie und Verdammnis verstehen, und wir können uns nicht darauf besinnen, daß wir der Erlösung bedürfen, ja daß wirt nicht leben können ohne die gnädige Vergebung unserer Süden.

Merkwürdig, denn ist die Welt nicht voll von Sünde und Dämonie, und kann man sich nicht in Wirklichkeit leicht vorstellen, daß alles zugrunde gehen muß und dem Untergang und der Verdammnis entgegengeht? Wie können wir uns vorstellen, daß irgendetwas oder irgend jemand vor dem Gericht Gottes bestehen kann? Wohl kaum!

Und wir können wohl auch gut sehen, daß die Erlösung, deren wir so sehr bedürfen, keine einfache Sache ist. Wie soll diese elende und sündige Welt erlöst werden, ohne daß es weh tut? Wie sollte Gott die Finsternis, das Böse und die Zerstörung überwinden, wie soll selbst der Tod überwunden werden ohne Kampf und Konfrontation und Schmerz?

Nein, eben nicht! "Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt."

Gott will nichts anderes als Gemeinschaft mit uns. Er weigert sich, uns aufzugeben. Er will bei uns bleiben trotz Aufruhr und Abfall und Sünde und Tod. Und das kann er nur in Ohnmacht tun. Er kann sich nur dazu leiden. Er kann nur den Schmerz und die Gottverlassenheit und den Tod tragen. Er kann nur in das hineingehen, was ihm am meisten fremd ist - eben um es zu überwinden und alle an sich zu ziehen.

Und das hat er durch einen einzigen Menschen getan, durch ihn, der ans Kreuz genagelt wurde und Begraben in Finsternis und Kälte, und der danach zum höchsten Leben auferweckt und in den Himmel aufgenommen wurde. Das ist das Heil! Und es gibt kein Heil in einem anderen. Es ist den Menschen kein anderer Name gegeben unter dem Himmel, durch den wir erlöst werden können. Amen.

Jan Ulrik Dyrkjøb
Knud Hjortsøvej
DK-3500 Værløse
Tel.: ++ 45 - 44 48 06 04
E-Mail: jukd@vaerloesesogn.dk

 


(zurück zum Seitenanfang)