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Karfreitag,
18. April 2003
Predigt über Johannes 19,16-30, verfaßt von Friedrich Weber (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
Liebe Gemeinde! Am liebsten würden wir ohne den Karfreitag leben. Um uns herum
ist es ja ohnehin so: Zwischen Weihnachten und Ostern scheint kein anderes
wichtiges Ereignis im Festkalender zu liegen. Dem Weihnachtsbraten folgt
der Osterspaziergang. Das Kreuz eher ein Schmuckstück, als ein Zeichen,
das auf das Leiden Jesu verweist. Und auch in der Kirche wird das Kreuz
mitunter als dunkles und Angst machendes Bild von Gott bezeichnet. Nicht
selten wird der Karfreitag in einem kühnen Sprung von Ostern überholt,
aber ganz neu ist das nicht, denn die Karfreitagsgeschichte nach Johannes
klingt ein wenig anders als die der anderen Evangelisten. Jesu letzten
Worte lauten bei ihm: „Es ist vollbracht“ und nicht „Mein
Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Nur diesem „Es
ist vollbracht“ geht das ganze Erleben und Erleiden des Karfreitags
voraus. Und für manche in unserer Mitte sind die Karfreitagserfahrungen ihres Lebens noch näher. Sie verkehren das Leben einer schwangeren Frau, die vom Freund oder Mann, von Familie oder Gesellschaft alleingelassen, weil sie alle ihr versichern, wir haben keinen Platz, wir haben kein Geld, wir haben keine Nerven mehr, um noch ein Kind aufzuziehen, den Weg zur Abtreibungsklinik auf sich nimmt. Belastet lebt sie fortan. Karfreitag - in unserem Land? Karfreitag, wenn Sterbende nicht mehr in ihrer Not begleitet, ihnen durch palliative Medizin geholfen, Hospize eingerichtet, sondern Euthanasie - wie in den Niederlanden - angedacht wird? Karfreitag, wenn durch ein technisches oder ein menschliches Versagen auf unsern Straßen Menschen verletzt getötet werden, wenn sie Opfer werden. Karfreitag - immer dann wird es Karfreitag für unser Denken und Fühlen, unser Leben, wenn Gewalt, Sterben und Tod hervorruft. Geplante Gewalt, gewollte Gewalt, aber auch freigesetzte Gewalt neben der Gewalt, die Technik und Fortschritt werden lassen. Es wird immer wieder Karfreitag - es werden immer wieder Menschen zu Opfern. Es werden immer wieder Menschen an anderen Menschen schuldig, bewusst oder unbewusst. Und vielen Opfern sieht man von außen nicht an, daß sie Opfer sind. Sie tragen keine Wunden, sie sind nicht zerrissen oder verbrannt, sie sind nicht erstickt an den Schwaden des Gases und keine Kugel hat sie ums Leben gebracht. Sie leben weiter - vielleicht sogar heute, hier mitten unter uns im Gottesdienst: Sie leben weiter - die Opfer in unserer Mitte -, die mit Worten Geschlagenen, die um ihre Ehre Gebrachten, die an Menschen Zerbrochenen, sie leben weiter - aber anders als zuvor. Karfreitag - Tag der Opfer? Wäre das eine zeitgemäße Übersetzung? Tag der Opfer auch ihrer eigenen Gewalt. Tag auch eines Pontius Pilatus einen Herodes eines Kaiphas, eines Judas und Petrus. Eines Diktators im Irak, eines hetzenden Mullahs in Palästina, der eines gewalttätigen jüdischen Siedlers in den besetzten Gebieten. Tag auch des die Frau und Kinder schlagenden Ehemannes. Tag also derer auch, die zwar Opfer erzeugen, die schlagen und morden, die zugleich aber auch Opfer sind, weil sich ihr Gesicht und Geist verdüstert haben. Sie sind nicht mehr die Menschen, die Gott gewollt hat. Karfreitag - Tag der Opfer. Tag der Schuldiggewordenen, der unter Schuld Leidenden, Tag derer, um die es düster wurde, die kein Licht mehr sehen, die in ihren Depressionen erstarren und untergehen, an deren Ohr kein Wort mehr dringt. Ich glaube wir alle haben eine Vorstellung von Menschen des Karfreitags, wenn wir dem Gesagten nachsinnen. Ich habe einige Szenen, einige Ereignisse, einige Erinnerungen genannt, und erinnere mich an einen jungen Mann, der eine ganze Weile mit uns im Pfarrhaus lebte. Willig und freundlich, vielleicht ein wenig unsicher, weltfremd, ein junger Künstler, der einmal etwas anderes erleben sollte: Er hat die Kirche nach Weihnachten aufgeräumt, hat die Stühle gestapelt, auf denen die Gemeinde am Gründonnerstagabend in der Vierung der Kirche sich zum Abendmahlsgottesdienst versammeln sollte, hat Gemeindebriefe verteilt. Alles ein wenig still, zu still, aber nicht bedrohlich still. Und dann kamen die ersten Tage im neuen Jahr, ruhige Tage, Urlaubszeiten - er bleibt bei seinen Verwandten. Als wir wieder mit ihm rechneten, blieb er aus. Zurückgefallen in das dunkle Loch seiner Seele, eingewiesen. Gefragt wann er das letzte Mal gelacht habe, kann er nur noch sagen: vor 5 Jahren an jenem Tag zu jener Stunde. Ein junger Mann, hochbegabter Künstler, einziges Kind seiner Eltern, selbstmordgefährdet. Ein Karfreitagsleben - und all unser Bemühen, prallt ab, nicht weil er oder sie - und es gibt so viele dieser Menschen in unserer Mitte - bösartig wäre, sondern weil sie wie tot sind, innerlich wie tot, keine Emotion mehr fähig. Opfer - auch sie Opfer, Opfer vielleicht einer krankhaften Entwicklung. Die Karfreitagserfahrung bestimmt in diesen Tagen unsere Welt, aber auch unser ganz persönliches Leben. Das ganze Elend des Krieges im Irak, das Sterben von Kindern, von Alten und Kranken, wir haben es vor Augen. Unschuldige, aber wer will hier unterscheiden: Haben denn Schuldige den Tod verdient? Die Karfreitagserfahrung ist zugleich aber auch die Erfahrung unserer
Distanz zu Gott. Von ihm sind wir getrennt, zwischen ihm und uns liegt
ein breiter Graben. Und doch - der Graben bleibt, aus dem Opfer des Lebens für die gute Sache wird der Krampf und die Mühe , wird Enttäuschung und nicht selten Krankheit, die dann den Opferbereiten wieder zum Opfer werden läßt. Zum Opfer seiner selbst. Wissen, Sie, ich will das heute einmal ganz schlicht, ganz einfach sagen: Es gibt nur eine Brücke, es gibt nur einen Weg über diesen Graben, es gibt nur einen Weg aus den Opferungen und dem Geopfertwerden hinaus, und das ist der Weg, der den Namen Jesus Christus trägt. All unserer Karfreitagserfahrung ist doch hineingebunden in seinen Karfreitag, All unser Leiden und Verzweifeln, unser Verzagen und Klagen ist doch hineingenommen in sein Leiden am Kreuz. All unser Opfer bringen und Opfer sein und werden ist doch umfangen von ihm, von dem es heißt: So ist auch Christus einmal geopfert werden, die Sünden vieler wegzunehmen, zum zweitenmal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten zum Heil. (Hebr. 9) Das ist gemeint, wenn es im Johannesevangelium heißt: "Es ist vollbracht". Ja, er hat es vollbracht, was uns Karfreitagsmenschen, uns mit unseren Gewalttaten und Sünden wieder zum Leben bringen kann. Christus , das Opfer, nimmt diesen Weg durch die Abgründe auf sich,
um bei uns zu sein, um uns indem er bei uns ist, zurückzubringen
zu unserem Ursprung zu unserem Vater. Durch sein freiwilliges Opfer durchbricht
er diesen entsetzlichen Teufelskreis, der der Namen Beit Jala, Ramallah
oder Bagdad trägt, er durchbricht den Teufelskreis, der Familie,
Sucht und Krankheit heißen kann. Den Teufelskreis, in den die Welt
und unser Leben gefangen sind. Ob ich es noch einmal erklären muss? Der Schatten, das ist die Schuld des Menschen, alles was ihn von Gott und seiner Menschlichkeit trennt, seine Karfreitagserfahrungen und seine Karfreitagsexistenz. Die Erfahrung von opfern und geopfert werden, die Erfahrung des Abstands zu Gott. Wir wissen, wie uns das zusetzen kann. Was sagt jener Weise? "Du brauchst Dich nur in den Schatten des Baumes zu stellen." Wir brauchen uns nur in den Schatten des Baumes, des Kreuzes Jesu stellen,
dann werden wir die Schuld los. Vom Kreuz geht Trost aus. Und im Schatten
dieses Kreuzes werden wir nicht alleine stehen. Dort stoßen wir
auf die anderen Opfer und Täter. Dort stoßen wir auf die Soldaten,
die um seinen Rock würfeln, dort stoßen wir auch auf die Frauen,
den Jünger und Maria, Jesu Mutter. Wir stoßen auf die Täter
und Opfer des Unrechts im Großen und im Kleinen. Miteinander sollen
und können wir buchstabieren und sprechen und darüber dann
wieder leben lernen: Der sich für uns opferte, der befreit uns!
Er weist uns neu in unsere Welt, führt uns zueinander, sendet uns
auf Wege des Friedens und nicht des Krieges. Amen Landesbischof Dr. Friedrich Weber, Braunschweig |
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