Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Palmsonntag, 13. April 2003
Predigt über Johannes 12, 12-19, verfaßt von Gerhard Prell
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Der Einzug in Jerusalem

(Johannes 12, 12-19; Matthäus 21,1-11; Markus 11,1-10; Lukas 19,29-40)

 

(12)Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme,

(13)nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen:  Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

(14)Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9):

(15)»Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«

(16)Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

(17)Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat.

(18)Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.

(19)Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

 

Liebe Gemeinde,

 

nun jubeln sie  doch.

Ganz so, wie es ihr selbsternannter Retter und Befreier vorausgesagt hat.

Während er selbst Tausende von Kilometern entfernt das Geschehen mitverfolgt, begrüßen die Menschenmassen mit Blumen und Palmwedeln seine Panzerdivisionen, wie sie in ihre Hauptstadt einrollen.

Nun jubeln sie also doch.

 

Angesichts solcher Jubelszenen kurz vor dem Palmsonntag 2003 – singen wir nun noch:

Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel ?

Glauben wir nun noch seinen Worten: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen ? Besitzt er noch das Erdreich, der da sanftmütig auf einem Esel in seine Hauptstadt eingeritten ist? Oder sind es nicht doch die Mächtigen und die Gewalttätigen?

Haben wir uns geirrt, die wir uns an sein Wort gehalten haben: Selig sind die Friedensstifter ?

 

Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn’ ich dir, o Jesu?

So fragen wir uns im Advent. Und so fragen wir uns nun heute, am Beginn der Karwoche.

Die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem ist ja die einzige Evangeliengeschichte, die uns im Kirchenjahr zweimal als gottesdienstliche Lesung begegnet.

In der Matthäusfassung hören wir sie zum ersten Adventssonntag. Und heute, am Palmsonntag, wird die Johannesversion gelesen.

Alle vier Evangelien schildern, dass Jesus am Beginn der Passionsgeschichte zum Passah – Fest auf einem jungen Esel in Jerusalem einreitet und dass er mit den Worten aus dem 118. Psalm als König begrüßt wird: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!

Sowohl Matthäus als auch Johannes sehen dadurch eine adventliche Messias - Prophezeiung aus dem Sacharja – Buch erfüllt: du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.

Aber dann fallen auch Unterschiede auf:

 

Bei Matthäus ist Jesus der Agierende. Bei Johannes reagiert Jesus nur und lässt mit sich geschehen.

Bei Matthäus gibt Jesus Anweisungen an seine Jünger, wo sie den Esel finden und was sie seinem Besitzer sagen sollen. Und es sind die Jünger und weitere Menschen, die mit ihm einziehen, die den königlichen Empfang inszenieren, die Zweige von den Bäumen schlagen und „Hosianna“ rufen.

Bei Johannes gibt Jesus keine Anweisung an die Jünger. Keine Inszenierung durch seine Begleiter. Schweigend nimmt Jesus wahr, welchen Empfang ihm die Festpilger bereiten. Diese sind es, die ihm jubelnd mit Palmzweigen und „Hosianna“ – Rufen entgegenziehen. Den Esel, auf dem Jesus reitet, findet er eher zufällig und setzt sich schweigend darauf.

 

Bei Matthäus stellt sich Jesus Jerusalem vor als der Sanftmütige und als der Friedenskönig. Bei Johannes wird Jesus in der Hauptstadt als mächtiger König und als Befreier empfangen.

Die Prophezeiung Sacharjas wird bei Matthäus ausführlicher und wortgetreuer zitiert, und Jerusalem wird aufgefordert zur Freude: Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze!  Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, sanftmütig und reitet auf einem Esel,  auf dem Füllen einer Eselin.

Bei Johannes jubelt das Volk von Jerusalem unaufgefordert und von sich aus.

Es jubelt keinem sanftmütigen Friedensbringer zu, sondern einem mächtigen Befreier, dem sein Ruf vorausgeeilt ist.

Es jubelt dem zu, der 5000 Hungernde satt gemacht hat mit Brot, und schon damals wollten sie ihn zu ihrem König machen.

Es jubelt dem zu, der Macht hat über Leben und Tod.

Kurz zuvor hat Jesus den toten Lazarus auferweckt – das bislang eindrucksvollste Zeichen seiner Macht. Und dass Jesus nun freilich nicht, wie einem König angemessen, auf einem stolzen Ross, sondern auf einem Eselchen reitet, das sehen die Jerusalemer Festpilger nicht als Erweis seiner Armut und Sanftmut. Es geschieht in ihren Augen nur als weiteres Zeichen dafür, dass Sacharjas Verheißung des kommenden Messias in Jesus erfüllt ist. Darum jubeln sie, in auffälliger Abänderung und Verkürzung des Sacharja – Wortes:  Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.

Kein Gedanke an Gerechtigkeit und Hilfe. Kein Gedanke an Sanftmut.

 

Nun jubeln sie doch. So, wie es vorausgesagt war.

Wer Hungernde satt machen kann, wer seine Macht über Leben und Tod vorausgesagt hat, wer den Erweis dieser Macht erbracht hat, der wird bejubelt. Dem bringt man große Erwartungen entgegen. Weitere machtvolle Taten erwartet man von ihm.

Seine Gegner werden nun beschämt und zum Schweigen gebracht werden.
Eine neue Friedensordnung wird er der Welt bringen, weit über den Nahen und Mittleren Osten hinaus.

So jubelt doch, ihr Bewohner der Hauptstadt! Siehe, dein König, dein Befreier kommt.

 

Doch Jesus schweigt in all diesem Jubel. Lasst sie doch jubeln.

Jesus schweigt – wo heute die mächtigen Befreier Fernsehreden halten.

Jesus schweigt – obwohl er nicht Tausende von Kilometern von den jubelnden Mengen entfernt ist, sondern mitten drin in der jubelnden Menge.

Jesus kommt nicht auf hohem Ross daher, nicht auf Streitwagen und gepanzerten Fahrzeugen.

Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht.

 

Doch sie jubeln.

Werden sie auch dann noch jubeln, wenn er gefesselt vor dem Militärgouverneur der Besatzungsmacht steht?

Werden sie auch dann noch jubeln, wenn dieser ihn fragt: Bist du der König der Juden?

Und wenn Jesus ihm antwortet: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen ...  ?

Werden sie auch dann noch jubeln, wenn Pilatus ihn vorführen wird, misshandelt und in Purpurmantel und Dornenkrone und sagen wird: Seht, welch ein Mensch ?

Werden sie auch dann noch jubeln, 

wenn er wie das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt, weil er nur so zum Brot des Lebens werden kann?

 

Nun jubeln sie noch.

Denn sie meinen, sein Reich sei von dieser Welt.

Sie träumen – nicht den Traum, dass die Sanftmütigen das Erdreich besitzen werden.

Sondern den Traum, dass nur die Herren und Mächtigen dieser Welt Gerechtigkeit für die Unterdrückten, Hilfe für die Notleidenden und Befriedung für die Friedlosen schaffen können. 

Auch, wenn der, der auf dem Esel sitzt, durch sein Schweigen beredt davon kündet:

Meine Herrlichkeit ist nicht die Herrlichkeit der Herren.

Meine Macht ist nicht die Macht der Mächtigen.

Meine Gerechtigkeit ist nicht die Gerechtigkeit der Selbstgerechten.

Meinen Frieden gebe ich euch – nicht wie die Welt gibt, sondern wie Gott gibt.

 

Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn’ ich dir, o Jesu?

Seine Jünger – jubeln sie auch?

Jubeln sie, als sie mit ihm in die Hauptstadt einziehen? – Nein, noch jubeln sie nicht!

Dass Jesus schweigt zu den Jubelszenen in der Hauptstadt,

dass er sich lieber auf den Esel setzt, statt auf das hohe Ross,

dass er sich nicht selbst zum Befreier ernennt und dass er dem Volk keine großen Reden hält,

das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

 

Angesichts der Jubelszenen in Jerusalem geht es den Jüngern nicht anders als es uns ergeht angesichts der Jubelszenen kurz vor dem Palmsonntag 2003.

Sie sind hin und her gerissen. 

Glauben sie angesichts der jubelnden Menschen, die einen Mächtigen begrüßen, nun noch seinen Worten: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen ? Besitzt er noch das Erdreich, der da sanftmütig auf einem Esel in seine Hauptstadt eingeritten ist? Oder sind es nicht doch die Mächtigen und die Gewalttätigen?

Haben wir uns geirrt, die wir uns an sein Wort gehalten haben: Selig sind die Friedensstifter ?

Und sie fühlen sich auch ertappt – ertappt in falschen Träumen.

 

Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn’ ich dir, o Jesu?

In einem neuen Kirchenlied von Kurt Rose aus dem Jahr 1983, das nur im Liederanhang des Gesangbuches für Niedersachsen und Bremen abgedruckt ist, da heißt es:

Ich gehöre mit dazu, zu den Dränglern und Rufern,

dass doch Gott sich erhebe mit der Macht seines Zorns,

und ich hoffe verzagt, dass ein Herrlicher stünde

dass ein Großer sich zeige vor den seufzenden Augen der Welt.

„Seht hin, welch ein Mensch!“ und ich hebe die Augen,

und ich sehe die Ohnmacht, seh’  mein elendes Selbst,

und ich hebe die Faust: Seht auch dieser ein Mensch nur,

keine Rettung vom Himmel! Kann ein Mensch uns befrei’n?

Ich gehöre dazu, zu den Rufern nach oben,

dass ein Gott sich erbarme – ich gehöre dazu,

und ich schrei mit dem Volk, ich bin blind mit den Blinden,

nicht erkenn ich die Zeichen in dem Menschengesicht.

 

Nein, die Jünger Jesu, noch jubeln sie nicht.

Und noch andere jubeln nicht an diesem Palmsonntag:

Diejenigen, die auch einen Lazarus haben im Grab und in den Lazaretten. Und noch keiner hat zu ihnen gesagt: Steh auf!

Die werden verstehen, dass der Mann auf dem Esel keinen Frieden und keine Gerechtigkeit auf Erden schaffen wird, wenn er nicht zuerst den Weg zu ihnen geht.

Wenn er sie nicht auch einfach übergeht in ihren Gräbern und auf ihren Bahren – so wie die selbsternannten Befreier sie übergehen und sich bejubeln lassen, Tausende von Kilometern von den Menschen entfernt.

Jesus ist mitten drin. Und er geht ganz weit hinunter.

Hinein ins Leid, hinein in das Grab, hinunter zu den Toten.

Darum reitet er nicht auf dem hohen Ross, sondern auf einem jungen Esel, so dass schon beim Reiten sein Füße die Erde berühren.

Niemand soll jubeln trotz ihrer oder gar ihretwegen. Nein, am Ende soll keiner sein, der nicht jubeln kann, befreit von Gewalt und Leid, befreit von der Macht des Todes, befreit auch von der Macht derer, die mit dem Tod im Bunde stehen.

Lasst die anderen jubeln - noch jubeln die Jünger und viele andere nicht. Doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

 

Noch können nicht alle jubeln.  Aber Jesus will alle jubeln machen – wie das kein Mächtiger und kein selbsternannter Befreier es je zuwege bringen kann.

Das macht die Geschichte von Jesu Einzug in Jerusalem deutlich – auch in der adventlichen Fassung des Matthäus, in der die Jünger den Jubel über Jesus anstimmen.

Wie soll ich dich empfangen, und wie begegn’ ich dir, o Jesu?

Johann Sebastian Bach hat dieses Lied eingebaut in den adventlichen Jubel seines berühmten Weihnachtsoratoriums. Auf das „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage“ hin lässt er es singen – und zwar auf die Melodie des Liedes „O Haupt, voll Blut und Wunden.“ Auch wir werden es hernach auf diese Melodie singen und wir werden den drei Strophen, die wir von diesem Lied singen, drei Strophen von dem Lied: „O Haupt voll Blut und Wunden“ anschließen.

Wir denken an die, die nicht jubeln können an diesem Palmsonntag.

Nicht über die Mächtigen und selbsternannten Befreier. Und auch nicht über den, den sie ständig selbstherrlich  im Munde führen – als habe er nie auf einem Esel gesessen.

Wir vertrauen darauf: Am Ende werden wir alle jubeln können. In österlichem Jubel. In der Freiheit von Gewalt und Tod. In der Seligkeit der Sanftmütigen, die mit diesem König auf dem Esel das Erdreich besitzen werden.

 

Amen.

 

Predigtlied: EG 11, 1-3 + EG 85, 4-6 (beides auf die Melodie von EG 85)

 

Pfr. Gerhard Prell
Martin-Luther-Str. 11
83093 Bad Endorf
E-Mail: Gary.P@t-online.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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