Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Palmsonntag, 13. April 2003
Predigt über Johannes 12, 12-19, verfaßt von Jørgen Demant (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Neulich konnte man im dänischen Radio "Klassik am Morgen" Musik hören, die mit Ostern zu tun hatte. Eines der Stücke war Passionsmusik und wurde vom Moderator etwa so angekündigt: "Vor einem Tor auf einem großen Platz sind viele Leute zusammengekommen. Ein Umzug kommt vorbei. Ein Mann auf einem ärmlich aussehenden Zugtier - ein abgemagerter Esel - kommt geritten. Er selbst ist einfach und unansehnlich. Die Beine schlenkern an den Seiten des Reittiers, sie berühren fast die Erde. Die umherstehenden Leute haben Palmenzweige abgeschnitten und sie vor ihm hingeworfen, sie jubeln dem Mann zu, der ganz ruhig und langsam durch das Tor reitet ...".

Ohne eine Erklärung wirkte diese Schilderung in meinen Ohren ein wenig komisch. Irgendwie war die Art und Weise, wie der Moderator den Einzug Jesu in Jerusalem darstellte, ein wenig lächerlich und komisch. Und ich weiß nicht, wie ihr euch den Einzug vorstellt. Aber als ich mir die Bilder anschaute, Darstellungen des Einzuges, die ich selbst gesehen habe, tauchten allmählich mehrere Szenen auf, die einem lächerlich vorkommen. Man sieht die Szene vor sich: Die unverhältnismäßig große Gestalt eines Mannes, der durch ein kleines Reittier befördert wird, und dann all die Aufregung. Warum lächelt man nachsichtig, findet das komisch, ja parodistisch?

Wohl nicht nur wegen der Szenerie? Wohl doch auch weil wir hier zweitausend Jahre danach mit dem Wissen sitzen, daß wir das Ende des Einzugs kennen und zynisch denken: Er hätte es besser wissen müssen! Aber wir üben auch lächelnde Nachsicht, weil wir selbst so viele Umzüge gesehen haben - entweder in Wirklichkeit oder im Film, wo wir auch mit gemischten Gefühlen dasitzen, Gefühlen, die schwanken zwischen Ehrfurcht, Respekt, Ernst auf der einen Seite und distanzierte Nachsicht auf der anderen Seite, ein kleiner Zynismus, der flüstert: Wir wissen es besser!

Ein Gott reitet durch ein Tor - ein Zeichen der Krönung, der Erhöhung, auf einem kleinen trippelnden Esel. Und dann denke ich an die Kinder, die 'Esel' spielen: Wer Esel wird, ist der Dumme, über den die Klugen lachen oder den sie auslachen dürfen. Und man kann störrisch sein wie ein Esel, das ist im Grunde auch komisch.

Das Lächerliche, das Komische und das Christentum stehen einander nicht so fern! In der Geschichte der Kirche hat es Feste gegeben, bei denen die Komödie im Mittelpunkt stand. Bei diesen Komödienfesten war der Clown oder der Narr die Hauptfigur. Man macht die Macht lächerlich. So als finde das Erhabene seinen Ausdruck nur in seinem Gegensatz, in umgekehrter Weise. Unter den Bedingungen der Ironie und des Humors. Mit der hintergründigen Bemerkung, dem lustigen Kostüm, dem dreisten und erfinderischen Gedanken hat man die Macht entwaffnet, die religiöse wie die politische.

Die erste Darstellung Christi ist auch ein Bild, das das Erhabene verzerrt, nämlich ein Grafitti, das den Gekreuzigten als einen Esel darstellt, der am Kreuz hängt. So war der Gott der Christen, sagten die Heiden, ein "Eselsgott". Der Esel, das niedrige Tier, das kurzbeinige Tier, das sanftmütige Tier, das Tier, das der Erde verhaftet ist. Erde heißt auf lateinisch humilis - irdisch.

Wir lachen über den Merkwürdigen. Über den Außenseiter. Den Unangepaßten. Wir lachen über den Dummen, der anders ist, der verkehrt aussieht. Im Lachen und im Grinsen distanzieren wir uns von dem, was wir nicht sein wollen. Wir sind nicht die Dummen, wir sind nicht anders, wir sind nicht außen vor. Nein, wir sind die Klugen, die Richtigen, wir gehören dazu. Das Lachen ist der Ort des Spotts. Es trägt dazu bei, die Gemeinschaft der Klugen zu festigen. Mit einer ironischen Bemerkung oder einem sarkastischen Grinsen haben wir schnell einen Trennungslinie geschaffen zwischen uns und den andern, zwischen drinnen und draußen.

Aber das Lachen kann auch ein schallendes Echo der Hoffnungslosigkeit sein, man gibt auf angesichts der Finsternis, inder wir uns plötzlich befinden. Wir lachen schallend und etwas hysterisch, wenn uns plötzlich klar wird, daß aus dem, was wir von der Zukunft erwarteten, nichts wird. Daß das, was wir hofften, in Hoffnungslosigkeit endete. Das Lachen ist dem Weinen verwandt. Wir erleben plötzlich die Sinnlosigkeit oder Absurdität des Daseins, und wir weinen, aber manchmal geht es uns auch so, daß wir selber über all das lachen müssen. Gleichsam als eine schwache Wehr gegen den Abgrund. Kennen wir das nicht von uns selbst und unseren eigenen Erfahrungen, so kennen wir es jedenfalls aus Büchern oder Filmen. Man denke nur an Charlie Chaplin oder Dick und Doof (Stan und Laurel) oder die dänische Olsen-Bande: Es geht ihnen schlecht, alles geht schief - und wir sitzen da und schlagen uns auf die Schenkel vor Lachen. Eigentlich lachen wir über uns selber - unsere unerträglichen Irrtümer, unsere eigene Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit.

Aber es gibt auch eine dritte Art von Lachen. Nicht das höhnische und spöttische Gelächter. Das Lachen, das vor Freude und Lebensfreude überquillt. Das Lachen, das bei allem durch die Finger sieht. Das Lachen, das trotz aller Zukunftsaussichten dennoch glaubt und hofft. Das utopische Lachen. Das ist das Lachen, das nach vorne sieht und daraus geboren ist, daß es furchtbar viel durchgemacht hat.

Wir sollten den Einzug in Jerusalem vielleicht von dieser Seite her sehen. Nicht mit dem besserwisserischen und herablassenden Lachen. Nicht mit der Grimasse der Illusionslosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Sondern mit dem dritten Lachen. Der Einzug appelliert an das Lachen, das entsteht, wenn ein Mensch, ganz auf einmal, nach einer großen Krise, nach Zweifel oder unüberschaubaren Widrigkeiten wahrnimmt, daß ein Licht am Ende des Karfreitagstunnels zu sehen ist. Vielleicht ist das Evangelium im Bunde mit dem befreienden Lachen, das einen durchrütteln kann, wenn sich alles umkehrt. Das göttliche Lachen, das seine Bestimmung kennt, seinen Überschuß - seine Freiheit, auch wo der Widerstand, das Leiden und der Tod einen treffen. Das göttliche Lachen weiß von einem größeren Zusammenhang angesichts der dämonischen Kräfte des Daseins.

Zu Weihnachten begegnen wir dem Bild vom Jesuskind in der Krippe. Das ist das Fest für den guten Anfang, es handelt vom Paradies auf Erden. Es ist die Zeit der Unschuld und des Kindes. Und wir überlassen uns leicht und voller Hingabe der kindlichen Freude und dem kindlichen Glück. Oder wir fühlen uns ausgeschlossen und weinen darüber, daß wir die naive und einfältige Freude nicht mehr finden können. Aber der Kindheitstraum und die Sehnsucht nach dem Paradies sind da.

Zu Ostern wird nicht von der Kindheit erzählt, hier gibt es keine Träumereien vom verlorenen Paradies, keine Seufzer der Sehnsucht, die sich in der Vergangenheit versüßen. Ostern ist für die Erwachsenen, und zwar für die Erwachsenen, die angesichts von Not, Leiden und Tod den Blick nicht auf die verlorenen Tage der kindlichen Geborgenheit richten, sondern die die Erwartung bewahren können, daß es letztlich nicht auf mich ankommt, sondern auf Gott, der mir in meiner Verlorenheit entgegenkommt. Es geht sozusagen darum, sich selbst loszulassen, daran zu glauben, daß Erlösung und Befreiung von wo anders her kommt, von Gott. Das befreite und befreiende Lachen oder der Humor kommen gerade dort, wo ich glaube, alles verloren zu haben, und doch alles gewonnen habe.

Ostern wird von einem merkwürdigen Einzug erzählt, der, wie wir alle wissen, in Tumult, Chaos, Hölle endet, der aber dennoch Erwartung und eine alles überschreitende Hoffnung in sich birgt: Es kommt zu einem anderen Zeitpunkt, es wird kommen. Die Erwartung wird nicht enttäuscht werden. Und das ist eben zum Lachen! Es ist das Lachen des Glaubens - das Lachen der Hoffnung, das Lachen der starken Erwartung. Der Glaube, der imstande ist, den Verrat von Gründonnerstag, die Finsternis von Karfreitag und die Höllenfart von Karsamstag zu ertragen. Dieser Glaube ist das Pfand für das befreiende Lachen der Auferstehung. Er trägt ja die Botschaft der Hoffnung.

Auf seinem kleinen Esel reitet Gott also hinein in die große Stadt. Dort ergeht es ihm übel. Aber er will es so - um Menschen seinen Weg in die Finsternis zu zeigen, aber auch aus der Finsternis hin zum Ostermorgen, wo sich alles zum Guten wendet - das heißt zu Befreiung und damit zum erlösenden Lachen der Befreiung aus der Finsternis, die der Tod mitten im Leben ist.

So reiten wir alle auf Eseln vor dem Herrn. Aber das ist nun wohl nicht das Schlechteste, was uns passieren kann, wenn man bedenkt, daß der Herr selbst, so sanftmütig, auf seinem Esel voranreitet:

"Für ewig wir reden fröhlich dort
mit Freuden im Licht beim Mahle"

(aus Grundtvigs Lied "Den signede dag", dt. "Den seligen Tag voll Freud wir sehn", dän. Gesangbuch Nr. 367, V. 7)

Amen.

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 - 45 88 40 75
E-Mail: j.demant@wanadoo.dk


(zurück zum Seitenanfang)