Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Invokavit, 9. März 2003
Predigt über Matthäus 4, 1-11, verfaßt von Friedrich Wintzer
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Zur Predigt

Mit dem Sonntag Invokavit beginnt im Kirchenjahr die Passionszeit. Jesus ist auf dem langen Weg nach Jerusalem bis zur Karwoche und Ostern. Im Anschluß an die Taufe durch Johannes d. T. war Jesus vergewissert worden, daß er von Gott erwählt und zum „Sohn Gottes“ berufen sei. Wird Jesus bereit sein, den damit gegebenen Auftrag anzunehmen, auszuführen, auch zu erleiden? Der Bericht von der dreifachen Versuchung Jesu beantwortet die Frage, ob Jesus die Erprobung so verstanden hat, daß er seine Lebensaufgabe nach dem Willen Gottes erfüllen möge. Insofern ist diese dramatische Erzählung von der Versuchung Jesu die Schwelle zur kirchlichen Passionszeit. Die Reihenfolge der Versuchungen unterscheidet sich bei Mt und Lk. Mt. setzt einen theologischen Akzent auf das erste Gebot.- Das Fürbittengebet wird hier nicht im voraus formuliert. Es sollte an Invokavit die dann herrschende Situation der politischen Weltlage berücksichtigen.

Predigt

I.

Mit dem Aschermittwoch hat vor einigen Tagen die Passionszeit begonnen. Es sind seitdem noch 40 Tage bis Karfreitag und Ostern. Die ältere Kirche hat diese knapp sechs Wochen als eine Zeit angesehen, in der Christen sich durch Fasten vorbereiten sollen. Diese Wochen dienten der Besinnung auf den christlichen Glauben. Bei der täglichen Nahrungsaufnahme sollte Verzicht geübt werden. Christen wollten sich nicht ablenken lassen durch weltliche Genüsse. Auch in unserer evangelischen Kirche gibt es Mitchristen, die in den kommenden Wochen sich ein Sparprogramm für Essen und Trinken vornehmen; zumal solche Formen des Verzichts für die Gesundheit förderlich sind.

In früheren Jahrhunderten wurden denjenigen Menschen, die stark gegen einige der 10 Gebote verstoßen hatten, Kirchenbußen auferlegt. Sie wurden z.B. in Gallien aus der Versammlung der christlichen Gemeinde für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen und erhielten zu Beginn der vorösterlichen Fastenzeit ein Bußgewand. Später schlossen sich andere Christen 40 Tage vor Ostern diesem Bußakt an. Als Zeichen der Buße und der Selbsterniedrigung vor dem heiligen Gott ließen sie sich mit Asche bestreuen oder ein Aschenkreuz auf die Stirn zeichnen. Der Name Aschermittwoch zu Beginn der Passionszeit erinnert daran. Der lateinische Name des heutigen Sonntags, der Invokavit lautet, bringt diese Ausrichtung von Menschen auf Gott ebenfalls zum Ausdruck. In dem 91. Psalm (V.15) sagt Gott: „Der Mensch, der auf mich traut, ruft mich an (Invokavit) und ich werde ihn erhören.“

Der biblische Text für die heutige Predigt ist bezogen auf die Anfänge von Jesu Wirken. Dieses hat ein wichtiges ´Vorspiel´.. Zu den Anfängen von Jesu Wirken zählt nämlich der Bericht über seine Taufe im Jordanfluß durch Johannes den Täufer. Der bekannte Bußprediger lebte am Rande der Wüste und rief die Menschen dazu auf, umzukehren und in ihrem Leben nach den Geboten Gottes zu leben. Er forderte die sündigen Menschen auf, die Ausrichtung ihres Lebens zu ändern. Das Kommen des Reiches Gottes stehe nahe bevor, damit verbunden werde das göttliche Endgericht sein.

Jesus hat sich von diesem Bußprediger Johannes d. T. taufen lassen. Er ist solidarisch geworden mit den sündigen Menschen und hat sich an deren Seite gestellt. Inmitten der sündigen Menschen ging er zur Taufe, die durch Untertauchen vollzogen wurde.- Nach der Taufe hörte er für sich eine Himmelstimme. Ihr Inhalt ist, wie das Matthäusevangelium berichtet, Zuspruch und Anspruch zugleich gewesen. Jesus vernahm eine himmlische Stimme mit den Worten: “Du bist mein geliebter Sohn“. Jesus wurde durch diesen Ehrentitel darin vergewissert, daß er von dem heiligen Gott einen Auftrag an die Menschen habe. Die Taufe war dadurch für ihn mit einem Berufungserlebnis verbunden.-

Wie war dieser Auftrag von dem zum Sohn Gottes erhobenen Menschen Jesus zu erfüllen? Was sagt dieser geheimnisvolle Begriff vom geliebten Sohn Gottes? Was wurde von ihm erwartet? Johannes d. T., der von dem König Herodes wegen seiner Kritik an dessen Lebenswandel inhaftiert worden war, ließ Jesus aus dem Gefängnis heraus später durch seine Jünger fragen, ob er der erwartete Retter, ob er der Messias sei. Er erhielt die verheißungsvolle Antwort, daß jetzt den Armen das Evangelium verkündet werde. War Jesus der Mann, den Johannes der Täufer erwartete? Wie würde sein Geschick sich gestalten und aussehen? Für Jesus selbst stand nach der Taufe die Prüfung und Erprobung bevor, welchen Weg er gehen werde. Welche Erwartungen waren in seinem Leben nach der Taufe des Johannes an ihn von Gott her gestellt? Diese Fragen stehen auch im Hintergrund von dem Bericht über Jesu Versuchung, den der heutige Predigttext zum Inhalt hat. Mt. 4,1-11 heißt es: (1) Da (nach der Taufe) wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. (2) Und da er 40 Tage und 40 Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. (3) Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden. (4) Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ (5) Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels (6) und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11.12): „Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehle geben; und sie werden dich auf den Händen tragen – damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“

(7) Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ (8) Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit (9) und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. (10) Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“ (11) Da verließ ihn der Teufel und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm.

II.

Nach der Taufe wurde Jesus, wie Matthäus berichtet, vom Geist Gottes in die Wüste geführt. Die Wüste nimmt auch im heutigen Staat Israel einen großen Raum ein. Es gibt dort keine Sträucher mit Früchten. Nattern, also Schlangen und Skorpione, sind nicht fern. Wer sich in der Wüste aufhält, muß Entbehrungen ertragen und mit Gefahren rechnen. In solcher Einsamkeit begegnen Menschen sich selbst. Zerstreuung und Abwechslung stehen nicht auf der Tagesordnung. Für manche Menschen wird diese Stille in der freien Natur zu einem Ort der Gottesbegegnung. Nicht wenige fangen an zu fragen, wer sie denn selbst sind; ob ihr Leben unverändert weitergehen solle. Und für andere stellt sich die Frage, welche Gottesbeziehung sie eigentlich haben. Ist ihnen Gott nahe oder fern?

Von Jesus heißt es, daß die Zeit in der Wüste eine Zeit des Gebetes für ihn war. Er stammelte keine kurzen Stoßgebete, wie sie viele Menschen unter uns kennen. Er war, wie ein frommer Jude, im Gebet versunken. Er überdachte seine Lebenssituation vor Gott und wollte ihn mit ganzem Herzen und in Ehrfurcht anbeten.- Nachdem er 40 Tage in der Wüste, wie einst Mose und Elia gefastet hatte, hungerte ihn. Im biblischen Text heißt es weiter: Und der Versucher trat zu ihm und sprach: "Bist Du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steine Brot werden.“

Jesus sieht sich beim Nachdenken über diese Anforderung vor ein Entweder – Oder gestellt. Wird er als ein von Gott Berufener auf dieser Erde seinen Auftrag ausführen und ganz im Dienst vor Gott stehen, wie gefahrvoll dieser Weg auch sein wird? Oder wird er sich durch eine Wundertat selbst in den Mittelpunkt stellen? Auf diese Weise würde er den Beifall der Menschen bekommen.- Jesus entscheidet sich für den Weg, Gott zu dienen. Sein Leben soll ein Gottes-Dienst sein. Er besteht damit die erste Erprobung nach der Taufe. Er antwortet mit einem Zitat aus der Heiligen Schrift. (5. Buch Mose): „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“. Diese Bibelwort war für Jesus eindeutig. Er trat damit dafür ein, daß das Gotteswort ihn auf seinem Lebensweg leiten soll. Seine Beziehung zu dem heiligen Gott wollte er nicht durch die Sorge um das tägliche Brot eingeschränkt sehen.- Diese Antwort ist manchmal falsch verstanden worden. Manche Menschen waren der Meinung, daß Jesus den Hunger nach Brot unterschätzt und die Not der Hungrigen übersehen habe. Wer so urteilt, übersieht, daß Jesus immer ein Fürsprecher der Notleidenden war. In Kap.7 (V. 9) des Matthäus-Ev.s, ist er dafür eingetreten, daß dem bittenden Sohn Brot, nicht ein Stein, gegeben werden darf. Die Kinder sollen satt zu essen haben.

Nach der ersten Versuchung setzt sich Jesus mit einer zweiten Erprobung auseinander. Sie sollte ihm ebenfalls vom gottgewollten Weg abbringen. Sie zielte auf einen Mißbrauch des Gottvertrauens. Jesus sollte wie ein Superstar handeln, der seine Stärke demonstrieren will. Ein Bibelvers aus Psalm 91 sollte der Ausgangspunkt sein. Die Szene, die Jesus vor Augen gestellt wird, spielt auf der Spitze des Tempels. Die Stimme des Versuchers sagte: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht in (Psalm 91) geschrieben: Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“

Wieder geht es um die Frage, ob Jesus seinem gottgegebenen Auftrag treu bleibt. Wird er auf seinem Lebensweg der Gesandte Gottes sein, wozu er nach der Taufe berufen wurde. Wird er hinabspringen von der Spitze des Tempels und mit einem übersteigerten Gottvertrauen Gott selbst versuchen? Soll und darf ein solcher Sprung eine Art Erpressung sein? Zum Beispiel in dem Sinn: Ich habe soviel Gottvertrauen, daß Gott auch einen unsinnigen Sprung gelingen lassen muß. Und wenn der Sprung nach Menschenermessen tödlich endet, so hat Gott die Schau verhindert. So hat er nicht das getan, wozu der Mensch Jesus ihn drängen wollte.- Jesus durchschaut die teuflische Versuchung des angeblich grenzenlosen Gottvertrauens. Er antwortet demütig aus der Perspektive des Menschen vor Gott. Er weiß sich als Mensch, der in dem Dienst Gottes steht. Er antwortet mit einem Bibelwort (5. Buch Mose): Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht versuchen.“ Oder anders: Du sollst nicht unsinnige Taten als Gottvertrauen ausgeben, mit denen du auf dich selbst die Aufmerksamkeit ziehen willst. Wenn wir heute den Namen Jesus Christus nennen, gebrauchen wir keinen normalen Doppelnamen. Sondern Christus ist das griechische Wort für den mehrdeutigen hebräischen Titel Messias. Dieser wurde z.Z. Jesu erwartet als einer, der als ein politischer Führer die Befreiung von der politischen Besatzungsmacht bringen und das messianische Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichten werde. Jesus hat seinen Auftrag zu begreifen versucht. Sollte er seinen Weg als ein dem Frieden verpflichteter ´Sohn Gottes´ gehen – oder den menschlich-politischen Erwartungen folgen, und sich Macht, Ehre und Reichtum verschaffen. Auf diese Weise kann einer Ruhm für sich erlangen. Er müßte sich brutal in den Mittelpunkt stellen. In dem hungrigen Streben nach Macht wird aber oft die Menschlichkeit vergessen und es entstehen immer wieder schreckliche Kriege. Diese Vergötzung irdischer Macht wird deshalb in unserem Bibeltext als eine teuflische Sache bezeichnet. Jesus erteilt diesem Verständnis seiner Aufgabe eine Absage. Er bezieht sich auf das erste Gebot: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen. Jesus wollte als Mensch vor Gott seinen Weg gehen, auch wenn er Ohnmacht erleiden sollte. Er wollte sich nicht selbst groß machen. Er wußte, daß sein Weg keine Straße des Sonnenscheins sein werde. Gott hatte sich seiner bemächtigt.

III.

In der Passionszeit kommen - wie heute - biblische Texte zur Geltung, die für das Reden und Handeln Jesu aussagekräftig sind oder aus seiner letzten Wegmeile stammen. In den zwei bis drei Jahren seines Wirkens nach der Begegnung mit Johannes dem Täufer hat Jesus den Anbruch des Reiches Gottes in Bildreden und Seligpreisungen angesagt. In dieser Zeit hat er in Gleichnissen das Verhältnis des barmherzigen und gerechten Gottes zu den Menschen einprägsam und sprachkräftig beschrieben. Sodann hat er Streitgespräche mit den Schriftgelehrten und Pharisäern gehalten und Kranke geheilt. Der Ernst und die Vollmacht seines Redens von Gott hat Menschen bewegt und ergriffen. Zugleich hat Jesus Widersprüche erfahren und die Armut eines Wanderpredigers kennengelernt. Aber er hat auch fröhliche Mahlzeiten gehalten mit wenig angesehenen Menschen, wie z.B. den damaligen Zöllnern. Grundsätzlich war sein Lebensweg kein Weg äußerer triumphierender Erfolge. Die Menschen merkten: Jesu Denken und Reden war von einem neuen Geist geprägt. Dieser war nicht der Geist des Hochmuts, der Feindseligkeit und der Lüge. Jesus handelte vielmehr aus dem Geist der Demut vor Gott heraus und mit der aufrichtigen Frage nach dem Willen Gottes.

Die Evangelien schildern Jesus auf dem Weg nach Jerusalem als einen, der von der Liebe zu dem heiligen Gott und zu den Menschen geprägt ist. Ihn konnte aber auch der Zorn packen, als er aus dem Tempel die dort tätigen Händler vertrieb. Der heutige Predigttext von der Versuchung Jesu schildert, wie Jesus seine eigene Identität findet. Bevor Jesus zu den Menschen ging, kommt er zu sich selber; verschafft er sich Klarheit über seine eigene Aufgabe. Mit welcher Orientierung wird er seinen Weg gehen? Das ganze Leben wollte er als Gottes-Dienst führen, nicht nur in Abständen zum Gottesdienst gehen. Mit der Leidenschaft für Gott machte er sich auf den Weg, der ihn am Ende nach Jerusalem führte, wo die Entscheidung fallen sollte. Der Wille Gottes sollte ihn leiten. Er hat sich mit teuflischen Gedanken der Erprobung auseinandergesetzt. Diese Welt war für ihn nicht frei von dämonischen Mächten.

Die Bitte des Vater-Unsers „Dein Wille geschehe“ verstand Jesus für sich in dem radikalen Sinn, daß er alles eigene Sicherheitsstreben aufgab. Sein Lebensprogramm hieß: Du sollst Gott, den Herrn, anbeten und ihm allein dienen. Kurz bevor die Leidensgeschichte Jesu in das Endstadium kam, rang er im Garten Gethsemane bei Jerusalem im Gebet mit Gott: Herr, laß den Kelch des Leidens an mir vorübergehen. Dieses Ringen endete mit der Gebetsbitte, die seinen ganzen Lebensweg begleitet hatte: Dein Wille geschehe. Er stellte damit sein Geschick endgültig in die Hand des heiligen Gottes.

Liedvorschlag nach der Predigt: EG 343,1.4-5

Prof. Dr. Friedrich Wintzer
53340 Meckenheim/Bonn
Stettiner Weg 12
FWintzer@t-online.de



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