Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Sexagesima, 23. Februar 2003
Predigt über Lukas 8,4-15, verfaßt von Jürgen Berghaus
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Liebe Gemeinde !

„Hört, ihr Leut´, und laßt euch sagen: unsre Glock´ hat vier geschlagen!
Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“

Wer mag diese Worte wohl gehört haben damals, als der Nachtwächter seine Runden zog und zu jeder Stunde mit Versen von erheblichem Tiefgang die Zeit ansagte? Vier Uhr nachts – da findet sich kaum noch jemand auf den Straßen, und allenfalls der Bäcker beginnt schon wieder mit seiner Arbeit. Im Ferienjob als Student hatte ich auch Nachtschicht zu leisten, und gegen vier Uhr war so ziemlich der absolute Nullpunkt erreicht: bereits etliche Stunden geschuftet, aber noch lange 120 Minuten bis zum Feierabend. Und wer nicht einschlafen kann, der ahnt jetzt bitter, daß er bis zum Morgengrauen kaum mehr Erholung finden wird.

„Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“ Hören wir als Predigttext nun Jesu Gleichnis vom Sämann mit anschließender Erklärung; es ist der biblische Hintergrund für die Worte des Nachtwächters. (Lk 8, 4 – 15 verlesen)

Liebe Gemeinde, drei Enttäuschungen muß der Sämann im Gleichnis Jesu erfahren: Die Körner auf dem Weg werden von Vögeln weggepickt; der felsige Boden hat nicht genug Muttererde; und was unter die Dornen gefallen ist, wird vom Unkraut erstickt.

Eigentlich keine sonderlich spektakulären Ereignisse, die hier eine Kette von Enttäuschungen bilden. So ist es eben in unserer Welt, daß nicht alles so glatt läuft wie erhofft, daß nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen. Gewiß könnte jede und jeder von uns eine ganz persönliche Reihe von Enttäuschungen aufzählen: Spannungen innerhalb der eigenen Familie; Verletzungen durch Menschen, auf die man sich meinte verlassen zu können; politische Entscheidungen, die ich für durch und durch falsch halte; Kriege, die an verschiedenen Ecken unserer Welt Zerstörung und Tod verursachen.

Schon viele Menschen sind unter der drückenden Last ihrer Enttäuschungen zusammengebrochen. Vielleicht kann es uns da ein wenig trösten, daß nach Jesu Worten auch dem Reich Gottes Enttäuschungen nicht erspart bleiben. Ja, selbst Gott erlebt Enttäuschungen bei der Durchsetzung seines heilsamen Willens auf Erden. Gottes Wort hat es schwer, sich als machtvoll zu erweisen gegen all jene anderen Mächte und Gewalten, die in der Politik und in der Wirtschaft, die zwischen Volksgruppen und ganzen Völkern wirksam sind.

Schauen wir uns noch etwas genauer die Erklärung des Sämann-Gleichnisses an: Die auf dem Weg – wohl nicht so sehr Menschen, die wir als „oberflächlich“ abtun, sondern es geht vielmehr um die tatsächliche Macht des Bösen. Sie steckt in uns allen und trägt zerstörerische Züge. So wird uns das gehörte Gute wieder weggenommen, ehe es seine heilsame Wirkung entfalten kann. Die auf dem Felsen – Menschen, die eine gehörte Botschaft mit Freuden aufnehmen; doch bloß für den Augenblick, ohne auch nur einen Hauch nachhaltiger Wirkung; ein Strohfeuer, das bald wieder verlöscht. Das unter die Dornen Gefallene – Menschen, bei denen die Frucht des guten Anfangs nicht zur Reife gelangt, sondern erstickt wird; Sorgen und Freuden des Alltags machen sich bisweilen so breit im Leben, daß es neben ihnen nichts Anderes mehr zu geben scheint. Eigentlich ein Wunder, daß es bei all diesen Gefährdungen das auf dem guten Land gibt – Schönheit und Güte des menschlichen Daseins kommen erst dort wirklich zur Vollendung, wo Gottes Wort im Leben eines Menschen zum Ziel kommt; hier folgt auf das Hören ein ganz persönliches Behalten.

Liebe Gemeinde, das Gleichnis vom Sämann ist eine Rede gegen Mutlosigkeit und Verzweiflung. Viele sehen ihr Leben als endlosen Fall von einer Niederlage zur nächsten; es will nichts Rechtes werden, weder im Großen noch im Kleinen kommt etwas Gutes heraus. Doch es gibt eben auch das Andere: Menschen, die schon alles verloren glaubten, gewinnen neue Zuversicht; sie spüren auf einmal wieder Vertrauen in sich, und über den Fortgang der Dinge kann man nur staunen.

Was hält uns am Leben? Was läßt uns die Hoffnung auf ein gutes Ende festhalten? Wir wissen von Niederlagen, Zerstörung und Ungerechtigkeit – was bleibt da überhaupt noch? In solche Fragen hinein ist Jesu Gleichniserzählung geredet; sie richtet sich an Menschen, die zutiefst entmutigt sind. Wo können sie verläßlichen Halt finden ?

„Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen.“ Das ist das erste und wichtigste Bild unseres Gleichnisses. Da geht einer seines Weges mit sicheren Schritten, und er verteilt mit vollen Händen aus der Fülle seiner Samenkörner. Sein Blick läßt sich nicht schrecken von den Gefährdungen des Wegs, des Felsens und der Dornen. Er sieht es schon wachsen und blühen und Frucht tragen aus dem guten Boden heraus – ein hundertfacher Gewinn.

Wer diesem Sämann über die Schulter blickt, gewinnt eine neue Sicht der Dinge: Statt Enttäuschungen an allen Ecken und Enden sehen wir auf einmal eine Reihe sich steigernder Erfolge: Auf dem felsigen Boden kommt immerhin ein kleines Pflänzchen zum Vorschein. Unter den Dornen kann der Same aufgehen und blühen, er bringt bloß noch keine Frucht. Doch auf dem guten Land ist sogar die Fruchtbarkeit gewährleistet, in überreicher Fülle.

Ach, ließen wir uns doch mitreißen von dieser freudigen Steigerung, liebe Gemeinde! Gottes Reich setzt sich letztendlich durch, und wir dürfen durchaus die erfreulichen Kleinigkeiten unseres Alltags ins Licht jenes wachsenden Gottesreiches stellen: Wenn ich es schaffe, ein gutes Gespräch mit Menschen zu führen, die mir eigentlich unsympatisch sind; wenn mich nach erfolgreicher Reparatur eines Spielzeugs zwei strahlende Kinderaugen belohnen; wenn ein Tag voller Termindruck auf einmal Spaß macht statt Verdruß.

Daß Gottes Reich sich durchsetzt, diese Hoffnung will Jesu Saämann-Gleichnis in uns entzünden. Zugleich werden wir eingeladen, uns nicht durch Rückschläge entmutigen zu lassen, sondern sorgfältig Ausschau zu halten nach positiven Anzeichen. Wir Menschen können Gottes Reich weder verhindern noch selbst aufbauen. Aber wir können und sollen dem sich durchsetzenden Reich Gottes in unserer Lebensführung entsprechen – auf daß unter uns schon jetzt Wirklichkeit werde, was wir in herrlicher Vollendung erst für die Zukunft erwarten!

„Vierfach ist das Ackerfeld – Mensch, wie ist dein Herz bestellt?“
Gönnen wir unserem Nachtwächter mit seiner knappen, aber treffenden Zusammenfassung des Sämann-Gleichnisses seine wohl verdiente Ruhe. Und vertrauen wir auf die Wahrheit seiner die ganze Nacht hindurch wiederholten Worte: „Menschenwachen kann nichts nützen. Gott muß wachen. Gott wird schützen!“ Amen.

Pfarrer Jürgen Berghaus
51377 Leverkusen-Manfort
Scharnhorststraße 38
Tel./Fax : 0214 / 8707091
berghaus@ekir.de



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