Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Sexagesimae, 23. Februar 2003
Predigt über Lukas 8, 4-15, verfaßt von Doris Gräb
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen....

Liebe Gemeinde!

Was bewegt uns heute morgen nicht alles! Welche Gedanken treiben uns um!

Gedanken des Friedens, und nicht des Leides. – Wie sehr sehnen wir uns nach Frieden, wollen wir Frieden. Wollen wir ein Ende von Leid und Not, von Bedrohung und globalen Gefahren.

Aber da ist die Angst, die zunehmende Angst vor dem drohenden Krieg in der Golfregion, aber womöglich nicht nur dort.

Und: was können wir tun? Worauf sollen wir hören? Was kann uns trösten?

Kann uns der Predigttext für diesen Sonntag weiter helfen? Ein Gleichnis Jesu ist es, wir haben es gehört.

”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen”.

So klingt´s doch noch in unseren Ohren. Der wunderbare sprachliche Rhythmus, von Martin Luther 1545 fast als Melodie ”komponiert”- und in der jüngsten Bibelrevision glücklicherweise beibehalten, dringt geradezu ins Herz.

”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen”. Hören sie es auch? Spüren Sie es? Klingt die Melodie mit, trotz aller dunklen und bedrohlichen Gedanken?

Und: sehen wir ihn vor uns, den Sämann, wie er gleichmäßig über das Land schreitet – austeilt, verstreut, mit weit ausgeholtem Arm aus dem umgebundenen Tuch das Gute herausholt und wahllos verschenkt?

Ich denke zuallererst an van Goghs Sämann. Diese unwirkliche, gesichtslose Gestalt vor der gewaltigen Sonne am Horizont. Mit dem linken Arm hält er das Tuch mit dem Saatgut fest, der rechte ist ausgestreckt, um auszustreuen, um zu verschenken. Über ihm einen vom Wind gebeugten, unwirklichen Baum. –

Ich habe dieses Bild früher oft für die Konfirmationsurkunden ausgesucht, die ich meinen Konfirmanden mitgab auf ihren Weg ins Leben.

”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen”...

Warum wohl? Warum beeindruckt mich dieser Sämann so, daß ich seine Gestalt den Jugendlichen weitergeben, ins Herz schreiben wollte?

Vielleicht deswegen. Vielleicht, weil ich mir dieses dabei gedacht habe:

Da liegt doch noch so vieles vor den Jugendlichen; fast ihr ganzes Leben: wie ein noch unbeackertes Feld.

Sie werden einen Beruf ergreifen müssen, hoffentlich ergreifen können.

Sie werden Schönes und weniger Schönes erleben. Sie werden, hoffentlich, Erfolg haben. Sie werden, hoffentlich, ihr Glück wachsen sehen. –

Aber das andere, das Bedrohliche, das Scheitern, wird ihnen nicht erspart bleiben.

Sie werden ihre Begabungen, das, was sie gelernt haben, was sie mitbekommen haben in Schule und Elternhaus und Kirche, ausstreuen: auf den Weg. Unter die Dornen. Auf felsigen Boden, und auch auf fruchtbares Land.

Nein, Jugendliche sehen das nicht so, wenn ich ihnen das Bild vom Sämann erkläre.

Ihr Konfirmanden werdet das im Blick auf euer künftiges Leben nicht so deuten, wie ich es jetzt versuche.

Aber wir, die wir im Leben schon erfahrener sind. Die wir schon einiges hinter uns haben. Die wir schon viel gesät – und mehr oder weniger viel geerntet haben. Vergeblich uns gemüht haben. Enttäuschungen eingesteckt, weggesteckt haben, oder auch nicht. Uns um Frieden gemüht, und Gewalt geerntet haben.

Wie vieles von dem, was wir wollten, ist unter die Dornen gefallen. Wie viele Pläne sind auf steinigem Weg zerschlagen worden. Wie viele Hoffnungen auf Gelingen, auf fruchtbringendes Tun, sind zertreten worden, von Menschen, nicht von Vögeln, aufgefressen, vernichtet, zerstört.

Aber: so ist eben das Leben. So ist es mit unserem Säen und Ernten, unseren Hoffnungen auf das Gute, und den Erfahrungen des Scheiterns. So ist es mit unserem Tun und Machen. – ”Mit unserer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren” – singt Martin Luther.

Und, dieses so weiterdenkend, so zu Ende denkend, gilt es dann ja auch noch, jene allerletzte und abgründigste Niederlage unseres Lebens zu begreifen: nämlich daß wir alle sterben müssen.

Was nützen uns auf jenem absoluten Hintergrund dann unsere möglichen Erfolge und Großtaten? Was helfen uns dann die mehr oder weniger fetten Ernten unseres Lebens? Die Früchte, die wir eingefahren haben? Der Friede, den wir gewollt, und nicht bewirkt haben?

Was bleibt denn? Bleibt überhaupt etwas? Wenn die Erfolge vergänglich sind – und die Mißerfolge, die Mißernten erst recht? Was bleibt, wenn unsere Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit in Gewalt und Unfrieden umschlägt?

”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen”...

In solches Fragen hinein ist wohl das Gleichnis Jesu geredet. Damals, zuallererst, an Menschen gerichtet, die zutiefst entmutigt waren. Die nur noch wenig Hoffnung hatten. Die mutlos geworden waren angesichts der erlittenen Enttäuschungen. Die nicht mehr wußten, ob ihnen irgendwann doch wieder eine glückliche Stunde schlagen würde. Deren gute Bemühungen um Gerechtigkeit und Recht durch und durch fehlgeschlagen waren.

Seht doch hin, so höre ich Jesus sagen, seht ihr ihn nicht?

”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen...”

Er ist doch da, immer noch ist er da. Bleibend da. Die übergroße Gestalt, in wiegendem Gang, den Arm weit ausgeholt, um Gutes auszustreuen, um Leben zu verschenken. Um das Recht und die Gerechtigkeit wirken zu lassen. Um euch Mut zu einem neuen Anfang, zum nächsten Schritt zu machen. Die leuchtende Sonne van Goghs strahlt im Hintergrund und weist ins Helle.

Nein, die Konfirmanden werden´s am Konfirmationstag so gewiß nicht begreifen. Wie sollten sie auch. Aber irgend wann dann, so, wie wir Erwachsenen heute. Im Rückblick auf unser Säen und Ernten, unser Gelingen und unser Scheitern. Im Rückblick auf das Unrecht, das wir erleben, und angesichts der zerstörerischen Kräfte, die unsere Saat zunichte machen. Dennoch, dennoch gilt:

Seht hin, er ist da, der Sämann. Er bleibt da. Er schenkt in verschwenderischer Fülle immer wieder neues Leben. Geht weiter! Lernt das Laufen wieder, auch wenn ihr eben noch gestrauchelt, oder über euren Mißerfolgen schon gefallen seid. Auch wenn ihr verzweifeln möchtet an der Friedlosigkeit in der Welt. Auch wenn ihr dem Kriegswahn vergeblich entgegen getreten seid. Er ist da. Er bleibt da.

”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen.” Und er geht immer noch, geht weiter, auch heute, unentwegt. Will Leben schenken, will Gerechtigkeit schenken, will Frieden schenken.

Euch Konfirmanden, die ihr heute hier seid, aber auch Ihnen, den Erwachsenen, möchte ich nun aber noch ein anderes, ein modernes Gleichnis erzählen. Vielleicht merkt Ihr, merken Sie bald, daß es mit dem Sämann in Jesu Gleichnis nicht wenig zu tun hat.

Vielleicht kennt ihr es sogar, als Film.

”Lola rennt” heißt der Film. Von Tom Tykwer, mit Franka Potente. – Und darum geht´s:

In Lolas Wohnung klingelt das Telefon. Am Apparat ist Manni. Lolas Freund. Er hat gerade seinen Job als Geldkurier bei einer Autoschieberei vermasselt, und auf der Flucht vor Fahrkartenkontrolleuren eine Plastiktüte mit 100000 DM in der U-Bahn liegen lassen. Ein Obdachloser hat sich die Tüte mit dem Geld geschnappt und irrt nun damit durch die Stadt. Manni braucht das Geld. Sonst ist er ein toter Mann. In 20 Minuten kommt der Boss, um es abzuholen. Manni ist ratlos. Hunderttausend Mark in 20 Minuten. Woher nehmen?

Er heult in den Hörer: ”Siehste, ich wußte, daß dir da auch nix mehr einfällt, ich hab´s dir ja gesagt, eines Tages passiert was, da weißt auch du keinen Ausweg mehr, und nicht erst, wenn du stirbst, das kommt viel früher, du wolltest mir ja nicht glauben, und jetzt stehste da, von wegen die Liebe kann alles, aber nicht in 20 Minuten 100000 Mark herzaubern.”

Lola ruft: ”Du wartest da. Ich komme. Ich helf´dir.” Lola rennt los. Dreimal startet dieses Rennen von neuem, dreimal nimmt das Leben seinen Lauf, jedes Mal mit einem anderen Ausgang.

In der ersten Erzählung versucht Lola erfolglos, das Geld bei ihrem Vater aufzutreiben, der eine Bankfiliale leitet. Als sie um 12 Uhr bei Manni eintrifft, ist dieser schon damit befasst, einen Supermarkt zu überfallen. Lola kommt ihm zu Hilfe. Polizei trifft ein. Die Episode endet mit Lolas Tod durch den Schuß eines Polizisten. Eine Rückblende zeigt Lola und Manni. Sie sprechen über ihre Liebe. – Schnitt.

Da startet die Geschichte erneut

Und auch die zweite Geschichte endet negativ. Zunächst kann Lola das notwendige Geld in der Bank ihres Vaters mit Hilfe einer Pistole erbeuten. Doch es nützt Manni nichts mehr. Als Lola eintrifft, wird Manni Opfer des Zusammenstoßes mit einem Krankenwagen und stirbt. Wieder: Schnitt.

Erst die dritte Geschichte nimmt einen glücklichen Verlauf. Lola rennt, trifft Manni, und sieht, aus der Telefonzelle kommend, den vorbeiradelnden Penner mit der Geldtüte im Fahrradkorb. Manni erkennt die Tüte, und rennt. Der Obdachlose tritt in die Pedale. Währenddessen läuft Lola weiter und führt verzweifelte Selbstgespräche, die in ein Gebet übergehen: ”Komm schon. Hilf mir. Bitte. Nur dieses eine Mal.”

Ihr Gebet wird offenbar erhört. In einem Spiel-Casino gewinnt sie hunderttausend Mark. Auch Manni ist erfolgreich. Er erreicht den Penner und kann das Geld zurückholen. Als Lola am Treffpunkt ankommt, hat Manni das Geld bereits an seinen Boss übergeben. Das Paar hat es geschafft – und noch hunderttausend Mark dazu gewonnen.

Lola rennt – und rennt – und rennt – aus Liebe zu Manni und im Vertrauen, daß irgendwann doch alles gut wird. Ihre Liebe zu Manni und ihr Vertrauen in eine letztlich gute Macht lassen sie nicht aufgeben.

Trotz der katastrophalen Niederlagen. Trotz des Scheiterns. Lola rennt weiter. Sie rennt und rennt. Darf ich sagen: Sie rennt, weil sie an den Gott der Liebe und der Menschenfreundlichkeit und der Hoffnung unbeirrt glaubt?

Ob das die Botschaft des Films, dieses modernen Gleichnisses ist?

Es ist eben nicht wahr, daß am Ende alles umsonst ist. Nein, es ist eben nicht wahr, daß zuletzt immer nur die verlorene Mühe, das Scheitern zu erkennen sind. Es ist eben nicht wahr, daß Ende immer nur unser hoffnungsloser Kampf gegen die Gewalt und den Krieg stehen. Lolas Geschichten beweisen das Gegenteil.

Und: Jesu Gleichnis beweist es doch auch.

Seht hin: ”Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen...” Seht ihr ihn, wie er Leben verschenkt, wie er Hoffnung verschenkt, wie er in unbändiger Liebe darauf vertraut, daß einiges auf guten Boden fällt? Damit ihr wieder laufen könnt, wieder hoffen könnt, und sei es nur für den nächsten Tag?

Ein tätiger, sich in unermüdlicher Liebe verströmender Gott, der nicht will, daß wir müde werden. Der nicht will, daß wir resignieren angesichts widriger Verhältnisse. Der nicht will, daß wir uns unseren Glauben an das Gute im Menschen nehmen lassen. Der nicht will, daß wir uns unsere Hoffnung auf Frieden zertreten lassen.

Nein, eben das nicht

Vielmehr gilt, bleibt gültig, was der Prophet Jesaja in Gottes Namen verspricht:

Die auf diesen tätigen, verschwenderisch tätigen Gott hoffen, die kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden. Amen

Pfarrerin Doris Gräb,
Burgfrauenstraße 79a, 13465 Berlin'
Tel 030/40585890
e-mail: dorisgraeb@aol.com

 


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