Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Septuagesimae, 16. Februar 2003
Predigt über Matthäus 20, 1-16a, verfaßt von Gertrud Yde Iversen (Dänemark)
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Dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg handelt von zwei Dingen. Zum einen liefert es Worte und Bilder für eine der wichtigsten Dinge für die christliche Auffassung vom Menschen: Der Mensch ist immer jemand, der Gott alles schuldig ist, er wird dies immer sein. In allem, was wir haben und wollen, leben wir nur von der Güte Gottes. Und dann handelt das Gleichnis davon, wie erfreulich es in Wirklichkeit ist, daß wir uns nicht mit dem begnügen müssen, was uns eigentlich rechtmäßig zukommt.

Das ist ein Gleichnis, das in unseren Alltag hineinbricht, in unsere Auffassung von dem, was die Welt regiert, was Gerechtigkeit ist, und unsere Vorstellung davon, wie Gott die Menschen sieht.

I

Gerechtigkeit heißt Gleiches für Gleiches, sagen wir. Früher hatten die Leute ein Prinzip, das hieß: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben für Leben. Das sitzt noch immer tief in den meisten Menschen.

In einem Buch über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Dänemark aus den 30ger Jahren steht als Motto des Buches: Jede Humanität gegenüber dem Verbrecher ist ein Verbrechen am Opfer! Gleiches für Gleiches! Das ist ein strenges Prinzip. Dennoch finden die meisten, daß es das beste ist. So soll gerichtet werden. Das ist nur gerecht. Alle sollen wissen, daß wir von seitens der Gesellschaft nicht die grobe Gewalt tolerieren, sagte ein dänischer Ministerpräsident einmal in seiner Neujahrsansprache. Und dem stimmen viele zu. Das war gut und richtig gesprochen. Niemand darf daran zweifeln, daß wir auf der Seite der Opfer sind, sagt der Justizminister. Anders kann es nicht sein. Das ist nur gerecht. Was soll denn sonst gelten?

Wie aber sieht es mit der Gerechtigkeit außerhalb der Welt der Politiker und der Gerichte aus, in der Welt, in der wir selbst die Hauptpersonen sind? Hier richten wir ja so überaus schnell nach dem, was die Augen sehen und die Ohren hören. Zuweilen genügt schon ein Gerücht. Eine Geschichte in der Zeitung. Das kann ein Mensch sein, der nur in Verdacht geraten ist, vielleicht einmal später angeklagt wird in einer Sache, und wir haben ihn schon verurteilt. Und zeigt sich dann, daß der Betreffende gar schuldig ist, dann sehen wir in diesem Menschen nur einen Schuldigen. Du hast so und so gehandelt, deshalb kannst du damit rechnen, daß du so und so behandelt wirst. Du hast nur so und so lange gearbeitet, also hast du auch nur so und so viel verdient. Anders kann es nicht sein. Das ist nur gerecht.

So dachten auch die Tagelöhner, die früh am Morgen angestellt waren. Sie einigten sich mit dem Besitzer des Weinbergs auf einen Denar für den Tag. Damit waren sie zufrieden. Als der Tag vorbei ist, erhalten sie den versprochenen Lohn. Und damit wären sie sicher auch zufrieden gewesen, wenn sie als die letzten in der Schlange der Lohnempfänger nicht gesehen hätte, daß kein Unterschied gemacht wurde. Das ist wichtig zu beobachten. Sie murrten nicht, weil ein Unterschied gemacht wurde, sondern weil kein Unterschied gemacht wurde. Alle bekommen denselben Lohn. Diese Tagelöhner sind unzufrieden, weil sie nicht meinen, daß die anderen das verdient haben, was sie bekommen. Das ist ungerecht.

Ist das nun auch ungerecht? Oder ist es nur gerecht? Ist die einzige Gerechtigkeit die, wonach jeder das bekommt, was ihm bzw. ihr streng genommen zukommt?

II

Mit der Reaktion der Tagelöhner berührt das Gleichnis etwas vom Tiefsten im Menschenleben. Ein Trieb mit ungeahnter Kraft, mit dem wir oft nichts anzufangen wissen und der uns immer wieder ins Unglück führt: den Neid.

Der ist auch ein immer wiederkehrendes Thema in der biblischen Literatur. Schon in der ersten biblischen Erzählung vom Paradies und vom Sündenfall taucht der Neid auf im Munde der Schlange als ein unbestimmter, aber verbotener Versuch, so zu werden wie Gott. Der Baum der Erkenntnis ist der Baum Gottes. Aber wir wollen auch mitessen. Hier wird der Neid als die Wurzel alles Bösen entlarvt. Durch den Neid fällt der Mensch aus dem Paradies. Durch den Neid wird er heimatlos, verstoßen.

Weiter in der biblischen Erzählung macht der Neid den Menschen zum Mörder seines Bruders. Kain sah, daß Abels Opfer zum Himmel stieg, während seines nur jämmerlich am Boden kroch. Kain wurde neidisch. Kain erschlug Abel. Und der Sinn der Erzählung ist ja der: In jedem Menschen ist ein Kain und ein Abel. Wenn wir durch den neidischen Blick gesehen werden oder wenn wie selbst mit dem Blick des Neides sehen. Dann werden wir wie Menschen, die verstoßen sind und übersehen. Letztlich ist es eben auch der Neid, der die Auffassung der Tagelöhner von dem bestimmt, was Gerechtigkeit ist. Warum sollen die, die wenig gearbeitet haben, genauso viel bekommen wie wir.

III

Gegen unsere Auffassung von Gerechtigkeit: Gleiches für Gleiches, Auge um Auge und gegen die Einäugigkeit des Neides stellt Jesus das Gleichnis die Liebe. Sie ist die stärkere Kraft. Es wird einer kommen, der richtet nicht nach dem, was das Auge sieht, und nach dem, was das Ohr hört. Und er, Jesus von Nazareth, führt hier das Wort mit seinem Gleichnis darüber, wie es sich mit dem Himmelreich verhält und mit Gottes Sicht der Menschen. Kann Gott als ein solcher Weinbergbesitzer denn nicht zählen und die Arbeitsstunden ausrechnen? Ja, aber er richtet nicht nach Verdienst. Er sieht diese Menschen nicht nur als Tagelöhner, die etwas verdient haben oder auch nicht verdient haben. Gott sieht sie in erster Linie als die Menschen, mit denen er eine Verabredung getroffen hat, einen Bund geschlossen hat, wie die Bibel sagt. Der handelt nicht vom Verhältnis des Arbeiters zum Arbeitgeber, sondern vom Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer. Er richtet nicht nach dem, was das Auge sieht oder das Ohr hört, sondern nach seiner eigenen Gerechtigkeit. Gott ist also der, der wie der Weinbergbesitzer allen den gleichen Tagelohn gibt. Sie bekommen nicht nach Verdienst - und darüber sollen sie sich alle freuen. Das ist ein wichtiger Gedanke in dem Gleichnis, daß sie alle darüber froh sein sollen, daß sie nicht nach Verdienst entlohnt werden: sowohl die, die am Ende des Tages angestellt wurden, als auch die aufgebrachten Tagelöhner, die zwar fleißig den ganzen Tag gearbeitet hatten und deshalb je das Ihre für den Lohn geleistet hatten, die aber dennoch der Macht des Neides verfallen und damit genauso schuldig werden wie die anderen.

Gott gibt also nicht nach dem, was das Auge sieht und das Ohr hört. Warum? Weil er es so will. Kann ich nicht tun, was ich will, mit dem was mein ist? So spricht der Besitzer des Weinberges.

Das ist das Evangelium in diesem Gleichnis. Wir sollen uns nicht mit dem begnügen, was uns streng genommen und gerecht zukommt. Denn die Gerechtigkeit Gottes ist an die Liebe gebunden, die das Verlorene findet. Weil er es so will. Amen.

Dr. theol. Gertrud Yde Iversen
Fasanvej 21
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