Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Epiphanias, 12. Januar 2003
Predigt über Matthäus 3, 13-17, verfaßt von Christoph Dinkel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

"Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.
Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen.
Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."

Liebe Gemeinde,

(1) unser heutiger Predigttext macht uns zu Zeugen eines göttlichen Gefühlsausbruchs. Göttliche Gefühlsausbrüche stellen wir uns im Allgemeinen ja eher vernichtend und zerstörend vor. Wir denken vielleicht an den griechischen Göttervater und Obergott Zeus, der seine Blitze vom Olymp schleudert, oder wir erinnern uns an den alttestamentlichen Gott Jahwe, der am Berg Sinai im Donner erscheint und der auch sonst im Umgang mit seinem Volk nicht immer zimperlich ist.

Der Gefühlsausbruch, um den es heute geht, ist aber ganz anderer Art. Er ist sehr persönlich, ganz und gar positiv und in keiner Weise bedrohlich: Zu dem aus dem Jordan steigenden Jesus von Nazareth und zu allen, die dabei stehen, sagt Gott: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. In diesem Satz schwingt eine große Zärtlichkeit mit. Fast bildlich steht einem der göttliche Vater vor Augen, der mit geneigtem Haupt seinen frisch getauften Sohn liebevoll anschaut und dann diesen unglaublich gefühlvollen Satz spricht. "Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." Vielleicht hat Gott, so kann man überlegen, den Satz am Ende gar nicht für die Umstehenden oder für Jesus gesagt. Vielleicht ist er einfach so aus ihm herausgebrochen und er hat ihn nur für sich gesagt: Die Umstehenden und mit ihnen auch wir sind nur zufällig Zeugen dieser höchst intimen Szene geworden. Fast möchte man verschämt beiseite blicken, um die beiden nicht zu stören.

Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. - Nicht nur die Worte in dieser Szene sind voller Zärtlichkeit. Auch die Taube als Symbol des Heiligen Geistes ist ein Zeichen göttlicher Zuneigung und Liebe. Die Taube war in der Antike das Symbol der Liebesgöttinnen Aphrodite und Venus. Bis heute ist die Taube ein Zeichen für Frieden, Verständigung und Versöhnung geblieben, auch wenn die real existierenden Tauben in unseren Innenstädten eher eine Plage sind. Die Taube vom Himmel bestätigt also, dass wir bei der Taufe Jesu Zeugen eines göttlichen Gefühlsausbruchs werden: Gottes Zärtlichkeit wird anschaulich in der Taube und hörbar in jenem Satz: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

(2) Die Taufe Jesu steht im Matthäusevangelium am Beginn der Tätigkeit Jesu. Am Ende dieser Tätigkeit steht erneut die Taufe im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der auferstandene Christus gibt seinen auf der Erde zurückbleibenden Jüngerinnen und Jüngern den Auftrag, den die meisten von uns als Taufbefehl im Konfirmandenunterricht einmal auswendig gelernt haben:

"Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.
Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker:
Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.
Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Die Taufe Jesu und die Taufe der christlichen Kirche bilden eine Klammer um das Wirken Jesu auf Erden. Ist die Taufe Jesu der Auftakt zur Tätigkeit Jesu, so ist der Taufauftrag an die Jüngerinnen und Jünger der Auftakt zur Fortsetzung der Mission Jesu. Doch die Verbindung zwischen der Taufe Jesu und der Taufe der Kirche, unserer Taufe, ist noch enger: Was Gott bei der Taufe Jesu zu seinem einen Sohn sagt, das sagt er in der Taufe zu jeder und jedem Getauften: Dies ist mein liebes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe. Die Taufe, mit der wir getauft sind, ist sozusagen die institutionalisierte Liebeserklärung Gottes an seine Kinder, an uns. Ob dabei jede Taufe zu einem göttlichen Gefühlsausbruch führt, mag man bezweifeln. Zumeist kommt ja weder eine Taube noch eine göttliche Stimme vom Himmel. Aber ernst gemeint ist die Liebeserklärung Gottes in der Taufe an uns dennoch. Die Taufe ist das sichtbare Zeichen für das, was der Apostel Paulus so beschrieben hat: "ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn." (Röm 8,38f) Jede Getaufte ist eine Tochter Gottes, jeder Getaufte ist ein Sohn Gottes, auf ihnen ruht Gottes Wohlgefallen. Nichts kann sie von Gottes Liebe trennen.

(3) Nichts kann uns als Getaufte von Gottes Liebe trennen - das ist ein großer Satz, so könnten Sie einwenden. Wie passt das zusammen mit dem, dass doch auch Getaufte nicht von Schmerz und Kummer und Leiden verschont werden? Richtig, kann man da nur antworten. Die Taufe ist keine Glücksgarantie für unser Leben. Wer sie so versteht, der hat die Taufe missverstanden. Der Apostel Paulus, der so vollmundig sagt, dass uns nichts von Gottes Liebe scheiden kann, zählt zugleich vieles auf, was den Eindruck erwecken könnte, dass wir von Gottes Liebe geschieden sind: "Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?" - Paulus verkündet die Liebe Gottes gerade angesichts zahlloser Übel und Leiden, die die Getauften genauso betreffen wie die Nichtgetauften. Und auch Jesus wird sofort nach seiner Taufe und direkt nach der göttlichen Liebeserklärung einem brutalen Härtetest ausgesetzt. 40 Tage ist Jesus in der Wüste und am Ende wird er vom Satan versucht: Wenn er doch Gottes Sohn ist, dann soll er aus Steinen Brot machen, damit er nicht mehr Hunger leiden muss; wenn er Gottes Sohn ist, dann soll er sich doch von der Zinne des Tempels stürzen, weil Gott ja versprochen hat, dass er seine Kinder auf Engelsflügeln tragen wird und sie sich nicht stoßen werden; er soll den Satan anbeten, dann wird er die ganze Welt beherrschen.

Jesus besteht den Härtetest mit Wüstenaufenthalt und Satansbegegnung. Dass er Gottes Sohn ist, macht ihn weder leichtsinnig noch größenwahnsinnig. Auch wir sollten also daraus, dass wir Kinder Gottes sind, nicht schließen, dass uns im Leben nichts passieren kann. Das Bewusstsein, Gottes Kind zu sein, darf nicht zu Größenwahn, zu Leichtsinn oder zu falschen Erwartungen führen.
Das Beten und die Frömmigkeit ersetzten nicht den Gang zum Arzt, wenn man krank ist.
Gottes Kinder müssen in Geschäftsangelegenheit die Regeln des Marktes und die Gesetze des Staates genauso beachten wie alle anderen.
Die kirchliche Eheschließung ist keine Garantie für das Gelingen der Beziehung. Auch manche Ehe frommer Christen muss geschieden werden, so schmerzvoll das ist.
Die Taufe von kleinen Kindern und das Bemühen um ihre christliche Erziehung durch Eltern und Paten enthalten keinen Automatismus, dass aus den Kindern etwas wird und sie mit ihrem Leben und ihrer Umwelt zu Recht kommen.

(4) Die Taufe bewahrt nicht vor dem Scheitern, die Taufe ist keine Garantie für ein gelingendes Leben und sie schützt nicht vor Krankheit, nicht vor Schmerz, nicht vor Unfall und vor frühem Tod. Oder in Anlehnung an Paulus gesagt: Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert gehören auch zum Leben eines Christenmenschen. Aber, so fragt man sich, was nützt dann die Taufe, was ist die göttliche Liebeserklärung wert?

Die Taufe ist ein Zeichen dafür, dass wir Kinder Gottes sind, gerade dann, wenn dies für uns in Frage steht und wir daran zweifeln. Die Taufe ist ein Zeichen der Zärtlichkeit Gottes, ein Zeichen seiner Zuwendung, seiner Liebe, seiner Begleitung inmitten auch alles Schlimmen und Bösen, was uns im Leben widerfährt. Die Taufe versichert uns der Nähe Gottes gerade dann, wenn wir in Gefahr geraten. Die Taufe erinnert uns daran, dass wir im Leben und im Sterben, in guten und in schlechten Tagen von Gottes guten Mächten umfangen und getragen werden: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende - diese Zusage Christi steht am Ende seines Auftrags zur Taufe.

Martin Luther hat wenn er mit Zweifeln oder mit Traurigkeit kämpfte, ein Stück Kreide genommen und vor sich auf den Tisch geschrieben: Ich bin getauft. - Sich an seine Taufe erinnern hieß für Luther, sich an die Treue Gottes, an seine guten Gaben, sich an Jesus Christus selbst zu erinnern. Die Erinnerung an seine Taufe machte Luther in allen Zweifeln gewiss, dass er als Getaufter ein Kind Gottes ist, dass Gott selbst auf seiner Seite steht und er deshalb allem, was ihm Angst und Sorgen macht, widerstehen kann.

Gerade wenn wir an Gottes Nähe zweifeln, wenn wir uns verloren und verlassen fühlen, wenn wir unser eigenes Ende oder gar das Ende der Welt nahe meinen, gerade dann kann uns die Erinnerung an unsere Taufe darin gewiss machen, dass wir allen Widerwärtigkeiten des Lebens zum Trotz Gottes Kinder sind, dass wir bei Gott nicht verloren gehen und unser Leben von Gottes fürsorgender Zärtlichkeit und Liebe umfangen ist. Denn in der Taufe sagt Gott zu uns das, was er bei der Taufe im Jordan zu Jesus gesagt hat: Du bist mein lieber Sohn, du bist meine liebe Tochter, an dir habe ich wohlgefallen. - Amen.

Predigtlied: EG 66, 1-3+7, Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude

Schriftlesung: Römer 8, 35-39

Dr. Christoph Dinkel
Pfarrer, Privatdozent
Gänsheidestraße 29
70184 Stuttgart
christoph.dinkel@arcor.de


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