Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Epiphanias, 12. Januar 2003
Predigt über Matthäus 3, 13-17, verfaßt von Peter Kusenberg
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

13 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.
14 Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?
15 Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen.
16 Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen.
17 Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Liebe Gemeinde,

die Neuigkeit hatte sich rasch herumgesprochen: da ist ein Mann in die Wüste gezogen, ein Priestersohn mit Namen Johannes. Er lebt dort unter einfachsten Verhältnissen und predigt, das Himmelreich sei nahe. Er ruft die Menschen, die zu ihm kommen, zur Buße auf und tauft sie im Fluss Jordan. Und es kommen viele. Aus Jerusalem, aus der ganzen Provinz Judäa und den Ländereien am Jordan, kommen sie in Scharen, berichtet das Evangelium.

Und dann kommt auch Jesus aus Nazareth, aus den Bergen Galiläas, hinunter an den Jordan, um sich von Johannes taufen zu lassen. Zuerst wehrt Johannes ab: er sei nicht würdig genug, Jesus zu taufen - eher müsse es umgekehrt sein. Doch Jesus besteht darauf: Gottes Gerechtigkeit - mit anderen Worten: Gottes Wille - soll erfüllt werden.

So geschieht die Taufe. Und als Jesus wieder aus dem Fluss steigt, "da weitete sich der Horizont wie ein offener Himmel, und er hörte die Stimme, er sei der Mann nach dem Herzen Gottes", so hat es einmal jemand beschrieben [Zitat: Kurt Wolff, Ein Maulbeerbaum für die Übersicht].

Viele unter uns kennen diese Geschichte, liebe Gemeinde. Die Taufe Jesu ist fester Bestandteil des Kindergottesdienstes, den Konfirmandinnen und Konfirmanden begegnet sie im Unterricht wieder, und in keinem der zahlreichen Filme über das Leben Jesu fehlt die Szene.

Wie nehmen wir heute diese Geschichte auf? Als biografische Notiz aus dem Leben Jesu, der Vollständigkeit wegen vom Evangelisten überliefert? Als Erinnerung an unsere eigene Taufe? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Taufe Jesu und meiner eigenen Taufe? Und wenn ja, welchen?

Sehen wir doch ruhig noch mal näher hin. Denn Geschichten, die uns nicht neu sind, verleiten manchmal dazu, allzu rasch zu denken: Ja, kennen wir schon. Die alte Geschichte. So und so war's. Und fertig.

Das ist eine aus heutiger Sicht ganz natürliche Denkweise. Bei der Flut aus Informationen, die uns täglich überschwemmt, haben wir kaum noch die Zeit und die Möglichkeit, ein zweites Mal zu hören, zu lesen oder nachzudenken - es sei denn, es gibt überraschend Neues in einer altbekannten Angelegenheit.

Biblischen Texten werde ich so aber nicht gerecht. Wenn Matthäus die Taufe Jesu beschreibt, dann muss ich wissen, dass ich keine Reportage aus der "Jesusalemer Morgenpost" vor mir habe, sondern einen Text, der erst viele Jahre später und mit einer bestimmten Absicht verfasst wurde. Ich muss - anders ausgedrückt - die Denk- und Sichtweise der damaligen Welt berücksichtigen.

Ich nenne ein Beispiel. Johannes sagt: "Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?" Woran erkennt eigentlich der Täufer, wer da zu ihm kommt? Jesus ist bislang noch nicht öffentlich aufgetreten, es geht ihm noch kein Ruf voraus. Eine Eingebung, eine innere Stimme?

Nein. Es ist sogar die Frage, ob es den Wortwechsel zwischen Johannes und Jesus überhaupt so gegeben hat; im älteren Evangelium des Markus fehlt er nämlich. Die Lösung: Johannes weiß, wer Jesus ist, weil Matthäus es seinen Lesern bereits in den vorangegangenen Kapiteln mitgeteilt hat. Eine seltsame Logik, die aus unserer Sicht überraschen mag. Matthäus betont damit die Dramaturgie der Szene: die Überordnung Jesu zeigt sich gerade darin, dass er sich in der Taufe Johannes unterordnet und damit Gottes Willen erfüllt.

Wir finden diese Symbolik der Unterordnung später wieder, als Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, und sie erreicht den Gipfel in seinem Weg ans Kreuz, wo er, selbst ohne Schuld, die Schuld der Menschen auf sich nimmt.

Es geht in der Denk- und Sichtweise biblischer Texte weniger darum, wie etwas geschehen ist, sondern was geschehen ist und warum es geschehen ist. Für unseren Predigttext bedeutet das: Es ist bei der Taufe Jesu nicht wichtig, ob der Geist Gottes nun in Gestalt einer Taube über ihn kam, sondern dass er über ihn kommt. Es ist nicht wichtig, ob der Himmel sich in diesem Moment sichtbar auftat, sondern darum, dass er nun offen ist, weil Gott sich uneingeschränkt auf die Seite des Menschen Jesus stellt.

Und dann ist die Geschichte von der Taufe Jesu auf einmal keine "alte" Geschichte mehr, die von längst vergangenen Dingen handelt. Eine, die ich mit einem "Ach ja, das da" zurückstelle, wie ein aus dem Regal gefallenes Buch. Sondern ich beginne in dem Buch zu blättern, zu lesen, erinnere mich…

Mein erster Gedanke: Ich bin ja auch getauft. Und das heißt: ich gehöre zu Jesus Christus. Auch zu mir sagt Gott Ja. Auch mir steht der Himmel offen, ist der Weg zu Gott frei.

Doch kaum ist der Gedanke geformt, da meldet sich eine andere Stimme in mir: "Du willst zu Christus gehören? Du? Schau dich doch mal an. Deine Angst, dein Egoismus, dein Unfrieden. Glaubst du im Ernst, dass Gott etwas mit dir zu tun haben will?"

"Ja." Ich bin erstaunt, fast ein wenig erschrocken, dass ich den Mut aufbringe, dieser Stimme zu widersprechen. "Ja", sage ich. "Denn genau deshalb ist Gott in Jesus Mensch geworden. Einer, der gerade zu denen ging, die sonst immer nur hörten: Du? Du bist krank - wer weiß, was du ausgefressen hast. Gott straft dich dafür. - Du? Unmoralisch, wie du bist, sollte man dich…na ja, du weißt schon. Für diese Menschen war er da. Warum sollte er nicht auch für mich da sein?"

Die andere Stimme setzt neu an, nach kurzem Zögern: "Und warum merkst du dann nicht öfter, dass er auf deiner Seite steht? Warum misslingt dir so vieles, trotz gutem Willen? Warum bist du manchmal so niedergeschlagen und mutlos? Wenn Gott tatsächlich Ja zu dir gesagt hat, schon in deiner Taufe, woran spürst du das in deinem täglichen Leben?"

"Vielleicht achte ich zu wenig darauf", antworte ich im Stillen. "Vielleicht richte ich meine Augen und Sinne zu oft auf Dinge, die sich in den Vordergrund drängen, ohne wirklich wichtig zu sein. Aber eines weiß ich: es hat Stationen in meinem Leben gegeben, da habe ich es gespürt, dass da einer an meiner Seite geht. Wo etwas gelungen ist, unverhofft, unerwartet. Wo ich anderen Menschen helfen konnte und fühlte, wie dankbar sie sind.

Und umgekehrt: wo ich Trost, Zuspruch und Aufmunterung bekam, in Augenblicken, wo ich dachte: das schaffst du nicht. Wo ich zweifelte, unsicher war, welchen Weg ich gehen sollte, und jemand sich Zeit für mich nahm, zuhörte und mir guten Rat gab."

Und je länger ich nachdenke, desto mehr solcher Erfahrungen fallen mir wieder ein - seltsam, wie vieles davon ich schon fast vergessen hatte.

Die andere Stimme in mir, die Stimme des Zweifels, ist verstummt. Nicht für immer, das weiß ich. Sie wird sich wieder melden. Wenn Schwierigkeiten auftauchen, wenn Missverständnisse entstehen, wenn harte Worte fallen. Aber ich weiß auch: Gott bleibt an meiner Seite, wie ein wirklicher Freund, der mit mir durch Dick und Dünn geht. In nicht nachlassender Ausdauer und Geduld. Auch dann, wenn ich ihn einmal aus den Augen verliere, wenn der Zweifel mir den Blick vernebelt, verliert er mich nicht aus den Augen.

Keinen von uns.

Amen.

[Anmerkung: als alternativer Predigtschluss bietet sich auch die folgende Geschichte an (die Quelle ist mir nicht bekannt), von der ich allerdings nicht weiß, wie verbreitet sie in den Gemeinden ist:

Eines Nachts hatte ein Mensch einen Traum. Er träumte, er ginge am Strand entlang - mit Gott. Über den Himmel hin leuchteten die Szenen aus seinem Leben auf. Für jede Szene bemerkte er im Sand zwei Fußspuren. Die eine gehörte zu ihm selbst, die andere zu Gott.

Als die letzte Szene vor ihm aufgeleuchtet war, blickte er zurück auf die Fußspuren und bemerkte, dass einige Zeit den Weg entlang nur ein Paar Spuren im Sande zu sehen waren. Er merkte auch, dass dies während der schwersten und traurigsten Zeit in seinem Leben geschehen war. Und dort waren die Spuren auch besonders tief in den Sand gedrückt.

Das machte ihm ernstlich Kopfzerbrechen, und er fragte Gott: "Herr, du sagtest, als ich mich entschied, dir zu folgen, du würdest den ganzen Weg mitgehen. Aber ich bemerke, dass während der schlimmsten Zeit meines Lebens nur ein Paar Spuren da waren. Ich verstehe nicht, dass du mich verlassen hast, als ich dich am meisten brauchte." Gott antwortete: "Mein kostbares Kind, ich liebe dich und werde dich niemals verlassen. Während deiner Zeit voll Last und Leiden, als du nur ein Paar Spuren sahest, da habe ich dich getragen."]

Peter Kusenberg
Pastor und freier Journalist
37139 Adelebsen OT Erbsen
e-mail: pekusenb@aol.com


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