Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Epiphanias, 12. Januar 2003
Predigt über Matthäus 3, 13-17, verfaßt von Birte Andersen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

(In der dänischen Perikopenordnung gehört dieser Text an den Beginn der Fastenzeit, wo er vielleicht genauso gut hinpaßt wie an den Beginn des Jahres und der Epiphaniaszeit)

Vielleicht wissen wir nicht so viel darüber heute, was Fasten bedeutet. Das bedeutet, etwas auslassen, damit anderes wachsen oder deutlicher hervortreten kann - und das ist ja nicht gerade modern. Aber wir kennen fasten aus der Natur, dem Wetter. Die Fastenzeit ist die Zeit, in der der Winter mit den Kräften des Frühlings streitet. Das können selbst Städte merken, und dann fällt es uns leichter, als wir vielleicht glauben, uns auf Fasten einzustellen.

Die Fastenzeit ist die Zeit, in der Licht und Finsternis, Leben und Tod, Gut und Böse, Liebe und Haß, Wahrheit und Lüge miteinander streiten, und wo es lange Zeit - wie bei dem langsamen Durchbruch des Frühjahrs in unseren Breitengraden - lange Zeit ungewiß ist, wer gewinnt.

In dieser Kampfzeit hören wir von der Taufe Jesu. Der Bericht darüber ist voller Verwunderung darüber, daß es notwendig sein soll, Jesus zu taufen. Er war ja der, der er war, und bedurfte der Taufe nicht. Zugleich wissen wir aber, wenn wir die Erzählung zu Ende gehört haben, sehr wohl, welchen Sinn die Taufe hatte.

Das Leben Jesu war so groß, daß es einer Einweihung bedurfte, damit das Gute siegen konnte. Er hatte ein Menschenleben zu leben. Ein Leben wie das unsere mit menschlichen Bedürfnissen: Essen und Schlaf. Und doch ein ganz ungewöhnliches Leben, weil es in ganz besonderer Weise den Willen Gottes mit dem Menschen ausdrücken sollte. Nun steht er vor seinem öffentlichen Auftreten, und da muß er getauft werden.

Die Taufe, mit der ihn Johannes tauft, ist zugleich eine ganz gewöhnliche Taufe, die die göttliche, geistliche Seite der menschlichen Identität hervorhebt. Zugleich ist sie ein Ereignis, bei dem sich der Himmel öffnet und Gott sich zu ihm als seinem Angesicht bekennt. Seitdem ist die Taufe eines der wichtigsten Ereignisse im Leben eines Christen, eine Weise, in der man das göttliche Leben Jesu in das eines jeden Menschen einschreibt. So wie Fasten eine Art und Weise ist, das Leben Jesu in dein und mein Leben einzuüben.

Aber was kann denn die Taufe geben, was der Mensch nicht von sich aus hat? Sie kann dem Menschen eine Identität geben. Nun werden wir zwar einwenden, daß jeder Mensch so eine Identität schon hat. Jeder Mensch ist in einen Zusammenhang hineingeboren. Die Familie, die Verwandten, das Volk, die Heimat, in der ein Mensch aufwächst und lebt - all das trägt dazu bei, dem Menschen eine Identität zu geben. Der Platz eines Menschen in seiner Familie, im Volk setzt immer schon eine Identität. Dazu kommt dann die andere Seite der Identität, die Art und Weise, wie der einzelne Mensch mit einem Ausgangspunkt umgeht, wie er die Herausforderungen, Ansprüche und Möglichkeiten aufnimmt, die ihm im Laufe seines Lebens gegeben werden. Das ist bestimmt durch Erbmasse, die Gene, durch Bedürfnisse, aber auch durch die Einstellung zum Leben.

Es macht einen Unterschied, ob du eine Wirklichkeit anerkennst, die größer ist als du, oder ob du meinst, deine eigene Wirklichkeit neu erschaffen zu müssen. Es macht einen Unterschied, ob du mit dem Begriff der Pflicht arbeitest oder ob du dich ausschließlich vom Lustprinzip leiten läßt. Mit deinen Ausgangspunkt erhältst du die eine Seite deiner Identität, die andere Seite ist dann das, was du aus deinem Leben machst.

Aber was ist, wenn die Identität nicht mehr zu tragen ist? Wenn du Dinge mit dir herumschleppst, zu denen du nicht mehr stehen willst, die dich behindern und die dem im Wege stehen bei dem, was du mit deinem Leben willst? Worin besteht dann deine Identität? Die Lebensgeschichte, die wir abgerundet vor uns sehen, ist in der Regel ein Leben, dessen Phasen harmonisch der Wanderung des Körpers zwischen Geburt und Tod folgt. Aber in Wirklichkeit löst sich unser Leben in Einzelsituationen auf, in unzusammenhängende Stücke und Fragmente in direktem Widerspruch mit dem Zusammenhang, den wir gerne haben möchten.

Dies ist der Fall in H.C. Andersens Märchen: "Die Tochter des Moorkönigs". Das Mädchen Helga ist ein Doppelwesen, das in sich zwei Naturen hat. In der Nacht ist sie ein häßlicher Frosch, aber gut und mild und traurig, und am Tage ist sie die Wildheit und Bosheit selbst, aber in der Gestalt eines schönen jungen Mädchens. Sie ist nämlich die Tochter einer ägyptischen Prinzessin, die, um ihren kranken Vater zu retten, in den hohen Norden geflogen ist um die Moorwurzel zu finden, die Lotusblume, das einzige, was ihn retten kann.

Aber böse Kräfte haben sie in das Moor hinabgerissen zum Moorkönig, dem Vater des Mädchens. Nichts Menschliches kann Helga erreichen, auch nicht ihre gute Wikinger-Pflegemutter. Aber eines Tages raubt ihr Wikinger-Vater, ein Häuptling, einen jungen christlichen Priester und nimmt ihn mit nach Hause als Beute. Er wäre eine besonders gutes Opfer für Odin und Thor, aber während der nächtlichen Vorbereitungen entdeckt Helga in der Gestalt einer Kröte, was vor sich geht. Mit großer Mühe befreit sie den Priester aus seinen Fesseln, er sieht ihre Güte, vergißt, daß sie häßlich ist, und gemeinsam reiten sie fort über die Heide hin zu einer Quelle, wo der Priester sie tauft unter den ersten Strahlen der Sonne, als sie wieder die böse, schöne Helga wird.

Aber Wasser allein tut's freilich nicht. Das Wasser der Taufe ist kein Zaubermittel. Die Bedeutung der Taufe muß ins Herz gehen und sie verändern.

Die Natur hilft dem Priester dabei, ihre Füße mit Zweigen zu binden, damit sie nicht weglaufen kann. Und langsam verliert die Dämonie ihre Macht über sie, so daß sie wenigstens einen Tag lang zur Ruhe kommt.

Gegen Abend kommen Räuber vorbei an ihrem Versteck, sie sind angetan von dem Mädchen und töten den Priester. Und nach dem Sonnenuntergang ist da nur noch ein häßlicher Frosch. Dieser Frosch versucht, der Priester zu begraben, was schwer ist, wenn man eine Kröte ist, und sie ist mit ihrem Vorhaben nicht fertig, als die Sonne aufgeht und wieder zu dem schönen Mädchen verwandelt wird. Da kämpfen ihre beiden Naturen furchtbar in ihr, und den ganzen Tag verhält sie sich passiv und tut nichts - auf dem Gipfel eines Baumes.

Als sie wieder eine Kröte wird, entdeckt sie ein Kreuz aus zusammengebundenen Zweigen, das der Priester immer bei sich trug. Als sie dieses Zeichen auf sein Grab einritzt, fällt die Schwimmhaut von ihr ab. Sie wird Mensch, und sie behält ihre Menschengestalt. Später wird sie zur Lotusblume für ihren alten Großvater in Ägypten, aber das ist eine andere Geschichte in der Geschichte.

"Liebe bringt Leben in die Welt. Die höchste Liebe bringt das höchste Leben! Nur durch die Liebe geht die Erlösung des Lebens", schreibt ein Dichter. Als Helga die Bedeutung der Taufe in sich aufnahm, wurde sie zu dem, was sie war: ein Mensch.

Aber warum hat denn die Taufe diese Macht, wenn es nicht auf die Zauberkraft des Wassers ankommt? Sie hat sie, weil sie unsere dritte Identität ist - neben der ersten, uns gegebenen, und die, die in unserer Antwort liegt. Das ist die Geschichte, in die wir hineingestellt werden, die nicht unsere eigene ist und die nicht uns zum Subjekt hat. Die Geschichte, die die Geschichte Gottes ist und die Gott zum Subjekt hat, die aber durch unser Leben geht.

Daß wir nicht Subjekt unseres eigenen Lebens sind, sondern einer Macht überlassen sind, die größer ist als wir, gibt uns eine ungeheure Freiheit. Wir sind nicht mehr eingeklemmt zwischen unseren eigenen und anderer Erwartungen an unser Leben und das, was aus ihm wird. Du kannst dich statt dessen auf die Zukunft Gottes einstellen und auf das, was Gott dir in diesem Augenblick bringen will. Denn die Taufe ist die Verheißung, die sagt, daß Gott eben dein Herz gebraucht, in das er schreibt, wenn er handelt, und er zählt die Geschichten zusammen an der Vollendung deines Lebens. Das kann nur der, dessen Klarheit Gnade ist.

"Dein Rufen aus der Tiefe vor der Welt
hat die Finsternis mit deinem Geist erfüllt
und mich gerufen mit dem Namen, den ich trage,
und deshalb weiß ich, wer ich bin.
Und deine Augen sehen mich".
(Oluf Hartmann: Den korsfæstade skapelsen [Die gekreuzigte Schöpfung])

Amen.

Pfarrer Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 - 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk


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