Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Sonntag nach Weihnachten, 5. Januar 2003
Predigt über Lukas 2, 41-52, verfaßt von Wolfgang Petrak
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde,

in der Wohnung ist noch der weihnachtliche Schmuck. Das Licht des Baumes erinnert warm an diese Tage: schön waren sie, wenn gleich nicht spannungsfrei, in welcher Familie gibt es das schon. Doch nun sind die Eltern schon längst wieder abgereist an ihren heimatlichen Ort, die Kinder haben mit ihren Freunden Silvester gefeiert, das neue Jahr hat begonnen. So soll es eben sein. Zusammen sein können, loslassen können, den Blick nach vorn richten, ohne das Gewesene zu vergessen. Wenn es doch nur so einfach wäre. Doch die Zeit setzt Aufgaben.

Der Kanzler hat zum Jahreswechsel Reformen angekündigt und einen Mentalitätswechsel eingefordert, mehr Eigenverantwortung jedes einzelnen. Dass wir am Beginn eines harten Weges stehen. Und dass dieses für Betroffene schmerzlich sein kann. Jedoch: "Niemand darf blockieren oder hindern. Jeder sollte mit seinen Möglichkeiten vorangehen, damit das Ganze vorankommt". Da ist es wieder: Appell zur Einsicht in die Zeit, Bewusstwerden des Schmerzes, Einwilligen -Müssen in Wege, die vor uns liegen, ohne jemals wissen zu können, was kommen wird; ohne genau gesagt zu bekommen, was "das Ganze" bedeutet.

Es ist kein Zufall, dass die Sprache der Politik Begriffe aus der religiösen Deutung aufnimmt, wenn es um das gemeinsame Handeln in der vor uns liegenden Zeit geht. Denn wir wissen, dass Zukunft letztlich nicht von uns selbstständig verfügt werden kann. Das "Ganze", das einen Zusammenhang in der Vielzahl der Einzelheiten und der partikularen, oft genug auch widersprüchlichen Interessenswelten bezeichnen will, drückt die Hoffnung aus, dass es ein Ganz-Sein, ein Heil- Sein gibt. In der Sprache der Bibel wird dieses mit "Shalom" angesagt. Der "harte Weg", der gegangen werden muss, meint, dass Richtungen einzuschlagen sind, die der persönlichen Freiheit und ihren Wünschen nicht unbedingt entsprechen müssen. Mit dem "Weg" kann in der Schrift der Wille Gottes angesprochen werden, das Verstehen und Befolgen seines Gesetzes für unsere Zeit. Der Weg der Gerechtigkeit meint aber auch die Passion Jesu, die Schmerzen, das Verlieren und: sein Gewinnen des Lebens. Ist es ein Gegensatz, dass wir aber in diesen Tagen noch vom Licht des Weihnachtsfestes herkommen, um die Geschichte des Kindes wissen, geboren zu Bethlehem, vielleicht noch die Lieder im Ohr haben, und um unsere Zeit wissen? Hören wir aus der Bibel die Geschichte vom Kind, die kein Lied in unserem Gesangbuch so richtig zu besingen weiß.

(Verlesen von Lk.2,41-50)

Ach es ist so schwer zu verstehen, denn Gottes Zeit ist anders. Drei Tage in Jerusalem, zum Passafest. Wie die Zeit des Auferstandenen sich mit der Zeit des Kindes berühren. Und wer damit konfrontiert wird, dem ist nicht nach Jubeln zu Mut, sondern zum Fürchten. Der Dank bezieht sich immer auf das, was in der Vergangenheit gegeben , widerfahren und erwiesen worden ist. Die Begegnung mit der Zeit Gottes lässt die Menschen jedoch außer sich sein. Nach unseren Maßstäben war damals Samuel ein Kind, als er zum Propheten erwählt wurde und dem Eli die Wahrheit über die Taten seiner Söhne ins Gesicht sagte. Und Salomo war wohl 12 Jahre alt, als er König wurde. Genauso ist Jesus. Prophet und König. Und der Tempel, der Ort des Lernens und Disputierens, vermittelt zugleich die Nähe seines priesterlichen Amtes. Denn es geht um die Zeit Gottes, die in die Zeit des Menschen hineinbricht.

Wir sagen so gern: "Nein, wie die Zeit vergeht", weil man am liebsten die Zeit festhalten willen. "Was bist du aber groß geworden", weil man im Bewundern von Wachstum und Entwicklung eigentlich etwas anderes hätte: bleib doch so wie früher, ein Kind. Doch Jesus bleibt nicht, sondern geht. Oder besser umgekehrt: seine Eltern gehen und er muss bleiben, in Jerusalem. Deshalb suchen seine Eltern ihn mit Schmerzen solange, wie die Zeit seines Sterbens in das neue Leben führt. Drei Tage .Zu verstehen ist das nicht. Deshalb muss seine Mutter nach dem Warum fragen, vielleicht so ähnlich, wie die Mutter fragte, wenn ich beim Fußball oder beim Rodeln auf den Trümmergrundstücken, wo man sich überdies so gut verstecken konnte, - wenn sie dann kam und sagte: "Kind, wie kannst du nur", mir dann auch eine langte: ach in der Kinderkirche des sonntags drauf konnte ich den zwölfjährigen so gut verstehen, denn er war so nah, doch heute... "Seine Mutter aber sprach: Mein Sohn". Sie spricht damit an (ohne es auszusprechen-), dass der Sohn einen anderen zum Vater hat. Sie spricht sein Können an und unserer Fragen, das sich immer wieder daran aufwirft. Sie benennt schließlich die Schmerzen; als Antwort erhält sie nur Fragen: "Was ist's, dass ihr mich gesucht habt? Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist"? Die Richtung ist zu ahnen, doch offen bleibt der Ort; wir werden immer weiter fragen müssen..

In unserer Zeit haben es Einrichtungen wie Vereine und Verbände, Kirchen und Gewerkschaften schwer. Konnte früher Max Weber sagen, dass die Werte, die wir zum gemeinsamen Leben brauchen, an die Bedeutung der Institutionen gebunden sind, so gilt heute die Verwirklichung eigener Lebensvorstellungen als erstrebenswertes Ziel. Dieses schließt Eigenverantwortung nicht aus, schwächt aber die Mitverantwortung an den Lebenszusammenhängen ab. Es schmerzt deshalb, wenn im Zusammenhang mit nötigen Reformen Einschnitte im sozialen Netz gefordert werden und Solidarität zum altmodischen Fremdwort zu werden droht. Dennoch werden wir danach suchen müssen, nach dem Christus, der als Richtender sagt: " Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan". Die Suche nach dem Christus ist immer die Suche nach dem Menschen, der uns braucht.

Es schmerzt zu sehen, dass in unserer Zeit aus der Geschichte nichts gelernt worden ist. Wie selbstverständlich die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak weiter laufen und zur gleichen Zeit Nordkorea seine Atomreaktoren wieder in Betrieb nimmt. Sagte nicht Christus, der Prophet: "Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen". So hart ist es uns gesagt, damit wir endlich Christus suchen: damit der Weg des Friedens nicht verloren geht. Sicherlich muss Recht durchgesetzt werden können. Der Weg der Gerechtigkeit darf aber nicht vom Weg des Friedens getrennt werden, weil dann Christus selbst zerteilt wird.

Die Eltern suchen Jesus, damit die Einheit des gemeinsamen Lebens nicht verloren ist. Sie finden ihn zuletzt im Tempel. Das Heilige ist der Ort für eine Antwort, die das Leben in der profanen Welt nicht zu geben vermag. Das mag das säkulare Bewusstsein, das sich wie ein Kind über seine Autonomie zu freuen vermag, schmerzen und kränken. Doch priesterlich, mütterlich sagt dieser Christus: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken." Denn er gibt, was kein anderer geben kann, sich selbst. Auf ihn zu sehen heißt: nicht zurückzusehen, sondern teilzuhaben an einer neuen Zeit.

Lied: Such, wer da will (EG 346

Wolfgang Petrak
St.Petri Göttingen-Weende
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen
Tel: 0551/31838
e-mail: W.Petrak@gmx.de


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