Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Weihnachtstag, 26. Dezember 2002
Predigt über Johannes 1, 1-5.9-14, verfaßt von Johannes Neukirch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Liebe Gemeinde,

Weihnachten, das muss man doch irgendwie in den Griff bekommen. Immerhin - wir haben schon mal die Heilige Nacht - mehr oder weniger gut - hinbekommen, sonst wären wir nicht hier. Der Tannenbaum, der Stall, die Krippe, das Jesuskind, die Weihnachtslieder, gesungen und gehört, die Weihnachtsgeschichte - das hat schon was. Ich kenne Familien, die darf man zwar nicht auf Kirche und Glauben ansprechen, aber für den Heiligen Abend üben sie mit ihren Kindern ein Krippenspiel ein, singen wie entfesselt Weihnachtslieder und lesen - natürlich - die Weihnachtsgeschichte. Sie inszenieren Weihnachten, sie führen Weihnachten auf der Familienbühne auf.

Weihnachten, das muss man doch irgendwie in den Griff bekommen. Die Gefühle, die Rührung, die Erinnerung, besonders wenn man nicht von Kindern abgelenkt wird und alles für die Kinder inszeniert, die sind oft am schwierigsten. "Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben; ich komme, bring und schenke dir, war du mir hast gegeben. Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und laß dir's wohlgefallen." Ich wünsche wirklich allen Menschen, dass ihnen bei diesem Lied ein paar Tränen in die Augen schießen. So viel Gefühl und Rührung muss sein.

Von den Evangelisten Matthäus und Lukas haben wir das Vokabular für Weihnachten. "Es begab sich aber zu der Zeit....". Und die Hirten und die Engel und Maria und Josef und die Krippe und die drei Weisen aus dem Morgenland und alles was so dazugehört.

Der Evangelist Johannes hat dieses Vokabular nicht. Er fängt ganz anders an als Matthäus und Lukas, nämlich so:

"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit."

Geht es mit diesen Worten besser, bekommen wir Weihnachten so in den Griff? Ein Krippenspiel kann man daraus jedenfalls nicht machen. Rührselig sind diese Verse auch nicht. Weihnachtlich sind sie aber schon. Denn ohne Drumherum kommen sie direkt zur Sache: Gott ist richtiger Mensch geworden. In der Krippe liegt nicht ein besonderer Mensch, besonders barmherzig, besonders lieb, sondern Gott selbst. Aber nicht verkleidet, sondern als richtiges Fleisch. Deshalb haben wir es nicht nur mit dem süßen Jesuskind zu tun, sondern mit Gott selbst und mit seinem Wort.

Was ist das für ein Wort? Nicht irgendein Wort aus unserem Sprachschatz, sondern das Wort mit der Kraft, die etwas aus dem Nichts erschaffen kann. Das Wort, wie wir es aus der Schöpfungsgeschichte kennen: "Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!".

Wort - Leben - Licht, das ist der weihnachtliche Akkord. "In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.... Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit".

Bekommen wir so Weihnachten besser in den Griff? Ich weiß nicht so recht, denn diese Weihnachtsbotschaft sagt ganz klar: Du kannst mich nicht in den Griff bekommen, ich bin nicht nur für den 24.-26. Dezember gemacht. Denn in der Krippe liegt das lebendige, Leben-schaffende Wort, so mächtig, dass es aus dem Nichts die Welt erschaffen konnte.

Es sagt: Ich bleibe nicht in der Krippe liegen. Ich bin da, um Licht in die Finsternis der Welt, um Klarheit und Wahrheit zu bringen. Ich bin schon immer da und werde am Ende immer noch da sein.

Es sagt: Ich greife dich, ich packe dich, ich halte dich fest, wenn Du an der Krippe stehst. Ich mache dich zu einem Kind Gottes. Du stehst in meinem Lichtkegel und nimmst die Worte Jesu in dich auf, der sagt: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben."

Weihnachten - das muss man doch irgendwie in den Griff bekommen. Möglich ist das, wir können es abfeiern. Wir können aber auch sagen: Weihnachten ist unberechenbar. Denn wenn ich mich an die Krippe stelle, sehe ich die Herrlichkeit des lebendigen Wortes. Ich werde in die Krippe hineingezogen und mein Leben wird durch das mächtige Wort neu, nämlich von Gott geboren. "Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben."

Wenn die Kostüme der Krippenspiele eingepackt sind, wenn die letzten Weihnachtsengel wieder im Karton liegen, wenn die verdorrten Tannenbäume abgeholt sind - dann lasst uns daran denken: Weihnachten hat uns im Griff, Weihnachten ist unberechenbar. Gott ist richtig Fleisch geworden, damit das Licht in der Finsternis der Welt ununterbrochen leuchtet und wir seine Herrlichkeit sehen und damit wir anfangen, selbst zu leuchten! "Wer an mich glaubt", sagt Jesus, "von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen."

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Hannover
johannes.neukirch@evlka.de


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