Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Weihnachtstag, 26. Dezember 2002
Predigt über Johannes 1, 1-5. 9-14, verfaßt von Heribert Arens
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Peinlich war's! Man sprach von der Fernseh-Panne des Jahres! Silvester1986: Die ARD hatte das falsche Band aus dem Magazin geholt und die Silvesteransprache des Bundeskanzlers Helmut Kohl vom Vorjahr ausgestrahlt. Die Partei des Kanzlers war empört, viele Deutsche hingegen - und ich gehöre zu ihnen - haben geschmunzelt. So was passiert eben.

Überraschend war für mich, dass die wenigsten Zuschauer bzw. Zuhörer das überhaupt gemerkt haben. Das spricht entweder für die Zeitlosigkeit der Rede oder für die mangelnde Aufmerksamkeit auf den Inhalt. Und nun kommt es noch überraschender: Ein Großteil der Zuschauer, die die Rede zweimal gehört haben, einmal beim ZDF und einmal bei der ARD haben nicht gemerkt, dass sie eine andere Rede gehört haben, sondern nur, dass der Kanzler einen anderen Anzug und eine andere Krawatte trug.

So geht das also: da bereitet sich jemand auf eine Ansprache gründlich vor, er will den Menschen Wichtiges sagen, und sie erinnern sich nachher nur an seinen Anzug oder die Farbe seiner Krawatte. Auch wenn er wortgewaltig sein mag, sein Wort ist nicht gewaltig, nicht eindrucksvoll, nicht nachhaltig.

Wenn das das Schicksal des Wortes ist, wenn Menschen mehr auf die Verpackung achten als auf den Inhalt, dann hat es das Wort nicht leicht, von dem heute das Evangelium spricht:
"Im Anfang war das Wort,/und das Wort war bei Gott,/ und das Wort war Gott./ Alles ist durch das Wort geworden,/ und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist./ ... Und das Wort ist Fleischgeworden/ und hat unter uns gewohnt."

Wie ergeht es dem Wort Gottes bei uns Menschen? Wenn das Wort Fleisch geworden ist, hat es - im Bild gesprochen - eine "Verpackung angenommen, die Gestalt des Jesus von Nazareth. Und in der Tat, im Leben Jesu war es oft so, dass Menschen an dieser "Verpackung" Anstoß nahmen; das Menschsein Jesu - "Den kennen wir doch! Das ist doch der Sohn des Zimmermanns!" "Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen!?" - hinderte immer wieder Menschen daran, das Wort und seine Botschaft zu verstehen. Bei ihnen kam das Wort nicht an, weil sie sich durch den "Menschen" Jesus daran hindern ließen, sein Wort und seine Botschaft zu hören und anzunehmen. Der Konflikt, dass der Bote der Botschaft bei den Menschen im Wege stand, dass sie "Anstoß an ihm nahmen" führte zu seinem Tod am Kreuz; mit zwei weiteren Bildern sagt das der Schrifttext dieses Tages:
"Das wahre Licht... kam in die Welt. ...aber die Welt erkannte ihn nicht. ... "Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst." "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf."

Denen aber, die das Licht begriffen haben, denen, die das Wort aufgenommen haben, wurde dieses Wort zur Quelle des Lebens. Sie bekamen für ihr ganz persönliches Leben Anteil an der Lebenskraft, die dieses Wort vom Anfang der Schöpfung an für den gesamten Kosmos hat: "Alles ist durch das Wort geworden!" Das in Jesus von Nazareth Fleisch gewordene Wort konnte und kann bis auf den heutigen Tag Quelle des Lebens werden für die, die sich ihm öffnen: Das Wort von der Liebe Gottes, das Wort von der Verzeihung Gottes, das Wort vom Zutrauen Gottes zu seinen Menschen, zu mir. Selbst am Ende eines verpfuschten Lebens kann dieses Wort Leben erschließen, wie es nach dem Evangelium des Lukas der Schächer am Kreuz erleben durfte: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein."

Bei allen Gefahren, die auf das Wort lauern, um es wirkungslos zu machen: Viele kennen aus ihren alltäglichen Lebenssituationen, wie belebend und befreiend ein Wort sein kann. Da sind etwa Menschen in einer Familie stumm geworden, leben, obwohl sie zusammengehören, nicht mehr miteinander. Oder zu den Nachbarn hin herrscht schweigender Kriegszustand. Und dann durchbricht einer das Schweigen, sagt das erlösende Wort, eröffnet das Gespräch wieder. Das lässt aufatmen, schafft Raum, dass Menschen neu miteinander anfangen. Oder ich bin an einem Menschen schuldig geworden. Er kommt und spricht das verzeihende Wort - oder ich gehe zu ihm und spreche das um Verzeihung bittende Wort: Das ist oft der Anfang einer neuen Lebendigkeit; eine Lähmung weicht. So ist es auch, wenn ich dem verzeihenden Wort Gottes in der Beichte - die ja auch von immer mehr evangelischen Christen gesucht und geschätzt wird - begegne: ins Wort bringen, was mich belastet und darauf das Verzeihung zusagende Wort hören, das lässt leben. In einer Liedstrophe drückt Huub Oosterhuis diese befreiende Kraft des Wortes aus:

"Sprich du das wort, das tröstet und befreit und das mich führt in deinen großen Frieden. Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt, und laß mich unter deinen Kindern leben. Sei du mein Täglich Brot, so wahr du lebst. Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete."

Entscheidend ist, dass das Wort "Fleisch wird", "Hand und Fuß" bekommt, sich verleiblicht in mein Leben mit seinen unterschiedlichen Situationen. Die Wege, die ich dazu bereiten kann, haben nicht nur mit der Wahrnehmungsfähigkeit meiner Sinne, beim Wort insbesondere der Ohren, zu tun. Das Wort kann Fleisch werden, wenn in mir die Sehnsucht nach diesem Wort lebt: die Sehnsucht nach dem liebenden Wort, nach dem befreienden Wort, nach dem verzeihenden Wort, nach dem beglückenden Wort, nach dem verbindenden Wort. Wenn da schon das menschliche Wort Wunder wirken kann, um wie viel mehr das Wort, das von Anfang an war und das in Jesus Mensch wurde, das Wort Gottes.

Gestern haben wir in den Gottesdiensten - und hoffentlich auch in den Herzen - die Menschwerdung des Wortes festlich begangen. Heute klingt dieses Festgeheimnis nach und will vertieft werden. Zur Vertiefung hören wir nicht mehr eine Erzählung von Maria, Josef, Krippe, Hirten, Engeln und Tieren, sondern einen Hymnus, der in den Bildern vom Wort und vom Licht das Geheimnis der Menschwerdung vertieft. Ich wünsche Ihnen offene Sinne und ein offenes Herz, damit es dem Weihnachtsgeheimnis nicht ergeht wie der Kanzlerrede von 1986, sondern damit das Wort in Ihnen und für Sie Fleisch werden kann.

Heribert Arens ofm
Franziskanerkloster Hülfensberg
37308 Geismar OT Bebendorf
heribert_arens@huelfensberg.de


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