Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Weihnachtstag, 25. Dezember 2002
Predigt über Lukas 2, 1-14, verfaßt von Asta Gyldenkærne (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Als der Sohn Gottes auf die Welt kam, registrierte der Evangelist sorgsam, wann dies geschah: "Und es begab sich zu der Zeit, als ein Befehl vom Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt sich schätzen ließe", schrieb er. Damit erzählte Lukas, daß die Geschichte Gottes eng verbunden ist mit der Geschichte der Menschen, ja daß die beiden Geschichten miteinander verschmelzen. Aber Lukas erzählte noch mehr, denn er konnte mit seinem Evangelium zeigen, daß der machtvolle Kaiser in Rom nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt für den Gang der Geschichte im römischen Reich sein sollte. Der Dreh- und Angelpunkt war nun ein anderer. Etwas Neues war gekommen, sagte Lukas, und deshalb erzählte er, wie die Geschichte der Weltmacht in den Hintergrund gedrängt wird von der Geschichte der Liebe. Und Lukas gestattete es sich sogar, die Ironie in seine Erzählung einzubauen, daß der mächtige Kaiser Augustus, der Weltherrscher, der von seinen Untertanen wie ein Gott verehrt wurde und der nun große Landstriche und Völkerschaften in sein Reich einverleibt hatte, daß dieser Herrscher nur eine Zeitangabe in der eigentlichen Geschichte ist. Die Geschichte, die Lukas erzählen will.

Lukas stellt also der Geschichte der Macht die Geschichte der Liebe gegenüber. Kaiser Augustus mit seinem gut organisierten Heer gegen ein neugeborenes, ohnmächtiges Kind in der fernen Provinz Juda. Aber Lukas erhält in seiner Weise Recht, die Geschichte des Augustus fiel dem Vergessen anheim. Zwar stehen noch Säulen und Trumphbögen für ihn und die Siege, die ihm seine Heere errungen haben. Aber für die Nachwelt schrumpfte er zu etwas, was nur in den Geschichtsbüchern erscheint.

Aber die Geschichte der Liebe dauerte an, sie war zählebiger als es unmittelbar den Anschein hatte, und sie hat die Nachwelt geprägt, sie wurde Teil unseres Denkens.

Der Monat Dezember ist eine umtriebige Zeit, viel ist zu erledigen. Es erfordert große Teile der wachen Zeit und der Aufmerksamkeit eines Kindes, allein all das wahrzunehmen, was im Fernsehen gezeigt wird an Weihnachtssendungen und Weihnachtsfilemen, während sich die Erwachsenen in das Weihnachtsgeschäft werfen, die Weihnachtsfeiern, alle Weihnachtsvorbereitungen und all das, was sonst noch die Zeit vor Weihnachten füllt. Jedes Jahr nehmen sich die meisten von uns in dieser Weise die Zeit eines Monats, allein, um das Weihnachtsfest vorzubereiten. Das allein dürfte zu denken geben, daß Weihnachten in unserem Bewußtsein einen so großen Raum einnimmt. Denn wozu das alles eigentlich? Das bedeutet denn auch, daß jedes Jahr besorgte Stimmen zu hören sind, die sagen, daß das Weihnachtsfest nun wohl endgültig ertrunken ist in Geschenkerausch, verlogener Gemütlichkeit und Streß. Denn wieviel bedeutet Weihnachten eigentlich im Grunde für uns, welchen Wert hat dieses Fest für uns? Wenn man einmal von den 1½ Milliarden Euros absieht, die allein die Dänen in einem Jahr für dieses Fest aufwenden. Vor einigen Jahren mischte sich Nikolaj Cederholm, ein Theatermann in Dänemark, der wesentlich zur Erneuerung des Theaters in Dänemark in den letzten Jahren beigetragen hat, in diese Diskussion ein und behauptete, daß Weihnachten für die meisten Dänen ein wesentlich größeres Fest sei, als die meisten es sich eingestehen wollten. Es mag sein, daß die meisten Leute heute nur wenig vom Christentum wissen und auch kein enges Verhältnis zum Glauben haben, aber Weihnachten ist zweifellos das größte Fest für die Dänen, wo wir merkwürdige Dinge tun mit großartigem Symbolwert: "Wir flechten Herzen ineinander und hängen sie auf. Wir setzen einen Stern an die Spitze eines Baumes. Wir nehmen unsere Familie an die Hand, gehen um den Weihnachtsbaum und singen von Erlösung, Vergebung und Freude über das Leben und mehr als das". So weit Nikalaj Cederholm. Und dann kann man sich ja darüber wundern, warum das so ist.

Die Erklärung, die Nikolaj Cederholm gibt, und darin hat er meines Erachtens Recht, ist die, daß wir in einem solchen Maße von der Weihnachtsgeschichte ergriffen sind, von der Geschichte der Liebe, daß es uns schwer fällt, uns selbst ohne sie zu verstehen. Sie ist so grundlegend für uns, behauptet er, daß wir nicht einmal etwas so Einfaches wie einen gewöhnlichen amerikanischen Film verstehen könnten, wenn wir nicht die christliche Geschichte kennten und uns in sie eingelebt hätten. Denn in solchen Filmen wird gerade die Geschichte lebendig vom Sieg der Liebe und des Guten über die bösen und lebensbedrohenden Mächte.

"Weihnachten ist", schließt Nikolaj Cederholm, "vor allem das Fest, an dem wir feiern, daß die Liebe in der Welt ist. Sie wird als ein Kind geboren, und die Liebe nimmt trotz aller Widrigkeiten den Kampf auf gegen die Kräfte, die das Leben bedrohen. Es gibt deshalb nicht nur gemütliche und sentimentale Gründe dafür, daß wir Weihnachten feiern. Wir feiern das Weihnachtsfest auch, weil die Geschichte der Liebe ihre eigene Macht über uns gewonnen hat. Sie hat uns geprägt, in unserer Auffassung von uns selbst und in unserem Verhältnis zu anderen Menschen."

Das ist sicher wahr, aber man könnte auch einwenden, daß man unterscheiden muß zwischen der Geschichte auf der einen Seite und der Liebe selbst auf der anderen Seite - die hat es schwer in der Welt, wo die Macht sich immer bedrohlich breit macht und wo menschliche Hoffnungslosigkeit oft bis zur Selbstaufgabe zu wachsen scheint. Der Gegensatz zwischen der Weltmacht und dem Kind in der Krippe ist denn auch menschliche gesehen genauso hoffnungslos, wie er aussieht. Es endet ja auch in den Evangelien mit Verrat, einer furchtbaren Niederlage und bitterer Verzweiflung am Karfreitag. Aber das Weihnachtsevangelium erzählt ja mit dem Bericht von Maria, Joseph und dem Kind im Stall von Bethlehem und dem ganzen Aufgebot von Engeln und armen Hirten auf dem Felde seinen Teil der Geschichte der Liebe: Dort, wo die Hoffnungslosigkeit am größten ist, wo menschlich gesehen nichts zu erwarten ist als die Macht, die das Leben zerstört, gerade dort spricht Gott in unsere Herzen von seiner Liebe, die keine unmenschliche Weltmacht aus der Welt schaffen kann, weil sie die Liebe Gottes ist, ja, weil sie Gott selbst ist.

Deshalb konnte Lukas eine neue Geschichte schreiben, und wir können diese Geschichte zu der unsrigen machen. Denn mit dem, was in der Heiligen Nacht in einem ansonsten von der Macht und der Ehre übersehen alltäglichen Ereignis geschehen ist, beginnt eine neue Geschichte, die nach Lukas eigentliche Geschichte, und dies ist nicht die Geschichte der Macht, es ist die Geschichte der Liebe. Es ist die göttliche Geschichte von einem Licht, das angezündet wurde. Ein Licht, mit dem eine Hoffnung in die Welt gesetzt wurde und eine Freude in jedes - menschlich gesehen - hoffnungslose Leben hineingeboren wurde, mitten in einer der Macht verfallenen Welt. Das ist unsere Freude, das ist die Freude der Weihnacht. Das ist die frohe Geschichte, an der wir alle teilhaben - und das ist wohl wert gefeiert zu werden. Frohe Weihnachen!

Asta Gyldenkærne
Skoven
DK-Jærgerspris
Tel: ++ 45 - 47 53 00 33
E-mail: agy@km.dk


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