Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Christvesper, 24. Dezember 2002
Lukas 2, 1-20, verfaßt von Georg Kretschmar
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Liebe Gemeinde!

1.
Wir feiern Weihnachten, das Fest der Geburt unseres Herrn und Heilands Jesus Christus. Diesen Anfang des geschichtlichen Weges Jesu und den Namen seiner Mutter nennen wir jedes mal, wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen. Ähnlich kurz, wie einen Satz aus dem Katechismus, formuliert schon der Apostel Paulus: "Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen" (Galater 4,4f.)

Der Evangelist Lukas erzählt uns das Gleiche in einer Geschichte, so wie sie ihm wohl erzählt worden war, wenngleich mit eigenen Worten. Und diese Geschichte nimmt uns hinein in Gottes Wunder-Handeln. Sie erzählt, was damals wirklich geschehen ist, wie es kein Fotoreporter hätte aufnehmen können. Hätte er den Lobgesang der Engel im Himmel filmen können? Aber diese Botschaft und dieser Lobgesang sind doch der Schlüssel zur ganzen Weihnachtsgeschichte! Ohne diese Botschaft vom Himmel wäre es nur der Bericht vom Elend eines herumirrenden Paares, einer jungen Frau, die ihr erstes Kind in einem Stall zur Welt bringen muß und von menschenfreundlichen Hirten, die ihr seelischen Beistand geleistet haben.

Es ist das gleiche Geschehen, von dem der Apostel Paulus schreibt, auch wenn Lukas nicht das Wort "Sohn Gottes" gebraucht, um den zu benennen, der hier zur Welt kam. Dies Wunder aller Wunder, daß Gottes Sohn im Sohn Mariens in unsere Welt eintritt, das klang in der Zusage des Engels an das junge Mädchen in Nazareth an (Lukas 1, 12.15) und bei der Taufe im Jordan, Jahre später, wird es Gott selbst Jesus zurufen (Lukas 3, 22). Lukas kann ja erzählen. Da bleibt Raum für das Heranwachsen eines Kindes im Kreis der Familie, bis Gott ihn rufen wird, das zu sein, was er immer schon war.

Noch an einer anderen Stelle formuliert der Apostel einen theologischen Grundsatz, während der Evangelist erzählt, was in unserer Welt geschieht. Wenn der Apostel Paulus formuliert: "..unter das Gesetz getan", dann denkt er an das Gesetz des Mose, das doch Gottes Gesetz für sein Volk, das jüdische Volk ist. Das ist das Lebensthema des Apostels, wie weit dies Gesetz auch für Glaubende, an Jesus Christus Glaubende aus der Heidenwelt, gilt. Das weiß der Evangelist Lukas auch; er erzählt, daß das neugeborene Kind am 8. Tag beschnitten wurde (Lukas 2, 22).

Auch zuvor ist von einem Gesetz die Rede, aber nicht dem Gesetz Gottes, sondern von einem Erlaß des Kaisers. Er zwingt das Paar mit der hochschwangeren Frau, den weiten Weg von Galiläa bis nach Bethlehem zu gehen. Aber eben so kommt Gottes Plan zum Ziel: Josph war Davidide, Nachkomme des alten Königshauses. So wurde Jesus, der Davidssohn, in der Stadt geboren, aus der auch sein Ahnherr kam. Die Übersetzung Luthers ist hier heute etwas mißverständlich. Sie kamen in das Land Judäa. So heißt es auch in der russischen Übersetzung. Denn jüdisches Land ist Bethlehem eben heute nicht, es ist arabisches Land. Aber diese heilsgeschichtliche Bedeutung hebt doch die menschliche Realität nicht auf. Der Erlaß des Kaisers gehört zu den Zwängen unserer Welt, die Last sind: der weite Weg, die vergebliche Herbergssusche, die Geburt in einem Viehstall.

Wenn wir hinüberschauen zur Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums, hören wir noch von ganz anderen politischen Zwängen. In unserer Welt gibt es Herrscher, die nicht davor zurückschrecken, Kinder ermorden zu lassen, weil von dort möglicherweises Gefahr für ihren Thron ausgehen könnte. Die junge Familie muß ins Ausland fliehen, einen viel längeren Weg als der von Galiläa nach Bethlehem.

Auch die Hirten hatten ein hartes Leben. Sie werden die Botschaft der Engel anders gehört haben als der Apostel Paulus das Geschehen versteht. Sie hören die Proklamation eines neuen Königs, des ersehnten, verheißenen Retters, des Messias. Das erklärt die Angst des Herodes. Die Hirten mögen auf eine Änderung ihres elenden Lebens, auf Befreiung aus der Fremdherrschaft der Römer gehofft haben. Nicht so schnell, denn der neue Herrscher ist ja noch ein Kind. Aber das hindert sie nicht, ihm zu huldigen. Ein Baby in einer Futterkrippe, das fanden sie und waren bereit, der Zusage der Engel zu trauen und von diesem Kind Großes zu erhoffen.

2.
Wenn die Hirten die Engelsbotschaft so verstanden haben sollten, war das dann nicht ein großes Mißverständnis? Allerdings wäre es dann ein Mißverständnis gewesen, das dieses Kind auf seinem ganzen Lebensweg begleitet hat. Es ist wieder der Evangelist Lukas, der uns von den Emmaus-Jüngern berichtet, die nach der Kreuzigung ihres Herrn verzweifelt sind, dem Frauengeschwätz von einem leeren Grab nicht trauen und den fremden Mann, der zu ihnen tritt, nicht erkennen. Sie begründen ihm gegenüber ihren Kummer: "Wir hofften, Er sei es, der Israel erlösen werde" (Lukas 24,21). Erst danach, als Er mit ihnen zu Tische saß , als Er das Brot nahm, dankte, es brach und ihnen gab, beim heiligen Abendmahl, wurden ihnen die Augen geöffnet und sie erkannten ihren auferstandenen Herrn (24,30f.). Er hatte sich ihnen als Christus, der Herr, gezeigt, wie es der Engel in der Nacht der Geburt verkündigt hatte. Aber hat er sein Volk erlöst? Der Engel hatte von einer Freude gesprochen, die allem Volke widerfahren soll. Wer ist das, "alles Volk"? Die Ausleger denken zunächst an das jüdische Volk, was sollte auch anderes im Gesichtsfeld der Hirten zu erwarten sein. Die Emmausjünger sagen es unmißverständlich: Israel.

Nun berichtet Lukas in der Apostelgeschichte ausführlich, wie das Evangelium über die Grenzen des jüdischen Volkes hinaus auch zu den Heiden gelangt. Der Apostel Paulus wird dann für die eine Kirche aus Juden und Heiden kämpfen. In diesen Zusammenhang gehört ja dann auch seine Deutung des Kommens des Sohnes Gottes in unsere Welt, damit er die Mauer zwischen Juden und Heiden, das Gesetz des Mose, entmächtige. Erst damit wird ja die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie gehört haben, auch unsere Geschichte. Die große Freude, die der Engel den Hirten verkündigt hat, gilt damit allen Völkern, sie wird auch unsere Freude.

Aber damit ist die Frage ja nocht beantwortet: Hatten die Hirten und die Jünger sich geirrt, als sie die Rettung für ihr Volk, das jüdische Volk erhofften? Das eine ist klar: Wenn dies Kind in der Krippe der Heiland ist, dann ist dies eine Zusage nicht nur für unser Inneres, sondern an die Welt, Gottes ungehorsame Schöpfung.

Es gibt ja gerade heute wieder einmal Stimmen, die sagen, alle Zwietracht unter den Menschen, aller Terror kommt von der Religion. Das ist sicher ein schreiender Widerspruch gerade zur Weihnachtsbotschaft der Engel: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden für die Menschen, an denen er Wohlgefallen hat" (Lukas 2, 14). Und es ist auch nicht zu bestreiten, daß das Kind in der Krippe, daß das Evangelium die Welt verändert hat. Es gibt ja auch nicht nur Streit unter den Religionen und durch sie zwischen Völkern und Gruppen. Ich komme gerade aus Baku, wo unsere Gemeinde einen neuen Pastor bekommen hat. Auf Einladung des deutschen Botschafters kamen vor wenigen Tagen das für religiöse Fragen zuständige Mitglied des Ministerrates, die Leiter der religiösen Gemeinschaften in Aserbeidjan - der Scheich, das Oberhaupt der Muslime - Erzbischof Alexander von der Russischen Orthodoxen Kirche - das Oberhaupt der Bergjuden - der Vertreter der Römisch-Katholischen Gemeinde - und wir Lutheraner zusammen mit Pastor Dr. Hartmut Scheurig, um ihn in die Gemeinschaft der anderen Religionsvertreter einzuführen. Es gibt nicht nur ein Gegeneinander, sondern auch ein Miteinander. Jedenfalls gilt das für uns.

Ein Blick auf Bethlehem heute zeigt aber auch, wie weit wir noch vom Frieden auf Erden entfernt sind. Da streiten ja nicht nur andere, auch unsere lutherische, arabische Gemeinde ist zutiefst betroffen. Müssen wir deshalb die Botschaft der Engel als widerlegt ansehen? Die Hirten werden kaum eine Besserung ihres Elends erlebt haben. Die Emmaus-Jünger sind in ihrer Hoffnung auf die Erlösung Israels auch nicht bestätigt worden. Aber gerade sie haben etwas erfahren, was uns helfen kann, der Botschaft der Engel zu glauben. Der Heiland, Christus der Herr, der Gekreuzigte und Auferstandene, war bei ihnen, auch als sie ihn noch nicht erkannt hatten.

Wir Christen dürfen in dem Kind in der Krippe, dem Sohn Mariens und Sohn Gottes, den Retter der Welt erkennen und dafür Gott preisen. Solchen Glauben schenkt Gott allein im Heiligen Geist. Daß es Menschen gibt, die den gegenwärtigen Heiland nicht sehen und eben nicht glauben, bleibt Gottes Geheimnis. Aber wir dürfen uns auch darauf verlassen, daß er der Heiland allen Volkes und aller Völker ist.

Das gilt nicht nur im Blick auf eine offene Zukunft, es gilt auch heute. Er, der Auferstandene, hat verheißen: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" (Matthäus 28,20). Er ist bei uns und sammelt auch heute sein Volk aus allen Völkern und steht auch denen zur Seite, die ihn noch nicht erkennen und nicht anerkennen. "Siehe ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr". Und die Stadt Davids, Bethlehem, bleibt ein Zeichen für das unfaßbare Geschenk Gottes an uns alle: "Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau ... daß wir die Kindschaft empfangen", daß wir Kinder Gottes sein dürfen nach dem Bilde dessen, der als Kind in der Krippe lag. Das ist Weihnachten.

Amen.

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS (Ev.-luth. Kirche in Rußland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien)
St. Petersburg
Fax-Nr.: 007 812 3 10 26 65
E-Mail: kanzlei@elkras.convey.ru

 


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