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Christnacht,
24. Dezember 2002
Predigt über Matthäus 1, 1.18-25, verfaßt von Hinrich Buß (-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de) |
Liebe Gemeinde in der heiligen Nacht, 1. "Ausgerechnet mich", hat Anna gesagt. Geburtsgeschichten werden erzählt, um die Bedeutung einer Person herauszustreichen. Es wird eine Beziehung hergestellt zwischen der Geburt und späteren kleinen oder größeren Taten, mitunter auch zu Ereignissen. Doch nicht historische Einzelheiten sind wichtig, die Person steht im Mittelpunkt. Auf .sie ist alles zugeschnitten. Am Heiligabend feiern wir die Geburt Jesu Christi, jenes Ereignis, mit
dem eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Es ist das größte
Fest im Jahr, von den meisten Menschen in unseren Breiten erwünscht
und ersehnt. Wir haben die Geburtsgeschichte bereits im Ohr: "Es
begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus
ausging, daß alle Welt geschätzt würde..." So von
Lukas erzählt. Um diese mitternächtliche Stunde steht freilich
eine andere Version der Geburt Jesu im Vordergrund, die vom Evangelisten
Matthäus berichtete. Ich lese sie in Ausschnitten vor: 2. Josef ist in diesem Bericht die handelnde Person. Er überlegt sich, ob er Maria heimlich verlassen soll, als er ihre Schwangerschaft bemerkt. Auf heute übertragen: Es gibt manchen modernen Josef, der aus der Familie abhaut oder auch weggeschickt wird, und sei es wenige Tage vor Weihnachten, dann wenn der Erwartungsdruck besonders groß ist. Es sieht so aus, als sei auch die heilige Familie durchaus keine heile gewesen. Bleibt eine allein erziehende Maria zurück? Da sei Gott vor! Er ist in dieser Geschichte längst im Spiel. Das Matthäusevangelium geht selbstverständlich davon aus, daß Gottes Geist von Anfang an in diesem Jesus war. Ob die Jungfrauengeburt uns hilft, dies besser zu verstehen, darf bezweifelt werden. In der Antike war sie eine geläufige Vorstellung, die durchaus akzeptiert war. Aber heute? "Gott ist im Fleische: wer kann dies Geheimnis verstehen?", heißt es bereits in einem Weihnachtslied von 1731. Daß Gott Mensch wird, ist die ungeheuerliche und zugleich wunderbare Aussage der Weihnacht. Uns zugute geschieht dies. Wir werden so sehr wertgeschätzt, daß Gott einer von uns wird. Ausgerechnet von uns, die wir ständig zwischen Gutem und Bösen schwanken und der Sünde längst erlegen sind. 3. Er hat nun nicht mehr die Neigung, Maria heimlich zu verlassen. Er bleibt, wo er ist, an ihrer Seite. Als das Kind geboren ist, schreitet er zur Tat: Er gibt ihm einen Namen. Er muß nicht lange überlegen, wie er heißen soll. Wie das bei jungen Eltern heutzutage ist. Namen sind eben nicht Schall und Rauch, sie sagen viel über das Kind und womöglich noch mehr über Mutter und Vater aus. Hat er einen guten Klang? Paßt er zu unserer Familie oder wollen wir darauf keine Rücksicht nehmen? Mit wem möchte wir uns identifizieren? Es kann auch sein, daß der ausgesuchte Namen in letzter Minute verworfen wird. Mein Vater hat, so erzählt die Familienmär, auf dem Weg zum Standesamt meinen bereits festgelegten Namen von sich aus noch geändert. Da habe ich nun die Bescherung, eine, die mir durchaus gefällt. Joseph brauchte sich solche Überlegungen nicht zu machen. Der Name des Erstgeborenen stand fest: Jesus. Oder aramäisch ausgesprochen: Jeschua. Was bedeutet: Er ist meine Hilfe und mein Heil. Oder auch was Josef als Begründung gesagt bekommt: "Er wird sein Volk erretten von ihren Sünden." Der Name ist Programm. Der Evangelist Matthäus fügt ein Zitat aus dem Propheten Jesaja hinzu: "Siehe, eine junge Frau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben." Das heißt übersetzt. Gott mit uns. In diesem soeben geborenen Kind ist Gott mit uns. Eine ungemein tröstliche Aussage, die jetzt gilt und künftig. "Ich werde da sein." Auch wenn du es nicht gleich merkst. Du wirst meine Nähe erfahren. Dies steht im ersten Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Im letzten wird es wieder aufgegriffen. "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." 4. Matthäus stellt Jesus in eine lange Reihe von Generationen, gegliedert in dreimal vierzehn, also 42 Generationen. Wozu dies? Jesus wird in eine Geschichte voller Verheißungen gestellt. Über 1000 Jahre hinweg wird der Bogen zu ihm geschlagen. David wird erwähnt, jener König, der die Messiasvorstellung aus sich heraus gesetzt hat. "Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk!" Jesus wird selbstverständlich in die Geschichte seines Volkes eingeordnet. Abraham wird genannt, er steht im Stammbaum ganz am Anfang, jener Erzvater, von dem es heißt, daß in ihm alle Geschlechter auf Erden gesegnet sein sollen. Hier wird über Israel hinaus der Blick auf alle Völker gerichtet. In einem Weihnachtslied ist dies aufgegriffen: "Welt ging verloren, Christ ist geboren". Eine weitere Besonderheit: In diesem Stammbaum, in dem fast nur Namen von Männern stehen, sind neben Maria vier weitere Frauen aufgenommen worden. Auffällig ist, daß sie alle Ausländerinnen waren. Das Weltweite und Weltläufige wird hierdurch unterstrichen. Zugleich wird damit herausgestellt, daß Frauen in der Verheißungsgeschichte eine tragende Rolle haben. Damit sind wir bei Maria angekommen. Welche Bedeutung hat sie für uns, für evangelische Christinnen und Christen? 5. "Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt jetzt in Marien
Schoß; Amen 1. Ich entscheide mich dafür, über den ganzen Abschnitt (Matth. 1,1-25) zu predigen, ohne ihn ganz zu verlesen. Die matthäische Fassung der Geburt Jesu hat in Form und Inhalt einen eigenen Zuschnitt, der es verdient nachgezeichnet zu werden. 2. Geburtsgeschichten sind eine eigene Gattung, von der Antike bis zur Gegenwart, auch wenn sie sehr verschieden ausfallen können, wie man an Matthäus 1 im Vergleich zu Lukas 2 unschwer erkennen kann. Die Besonderheit der Geburtsgeschichte versuche ich an einem heutigen Beispiel darzustellen und steige gleich damit ein, um so einen Schlüssel für die Entfaltung des Predigttextes zu haben.
Dr. Hinrich Buß |
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