Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

2. Advent, 8. Dezember 2002
Predigt über Matthäus 25, 1-13, verfaßt von Hanne Sander (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Die Adventszeit ist nicht nur Wartezeit. Die Adventszeit ist auch Übergangszeit. Übergang von einem Kirchenjahr zu einem neuen, vom alten zum neuen Jahr. Advent ist der Schnittpunkt und Treffpunkt zwischen etwas, was ist, und etwas, was kommt, zwischen Zeit, die ist, und dem Ende der Zeit, zwischen Augenblick und Ewigkeit, zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch.

Im Vaterunser gibt einen entsprechenden Schnittpunkt in der Wendung: Wie im Himmel, so auf Erden. "Im Schnittpunkt zwischen den Gebeten, die vom Reich Gottes reden, und den Gebeten, die vom Menschenleben reden, stehen die Worte: Wie im Himmel, so auf Erden", heißt es in einem neueren dänischen Katechismus von Bischof Niels Henrik Arendt aus Hadersleben. Die Worte beziehen sich auf die ersten drei Bitten: Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe - und in der Perspektive, daß der Name Gottes geheiligt wird, daß sein Reich kommt und der Wille Gottes geschieht, wird dann das Menschenleben gesehen, der Alltag, den wir miteinander leben, in dem wir das tägliche Brot brauchen und um es bitten, wie auch Vergebung, Fürsorge und Schutz.

Wie im Himmel so auf Erden, das bringt so in einer Weise deutlich den Gedanken des Advent zum Ausdruck, daß die Erde und wir als Menschen der Erde für etwas bestimmt sind, das noch nicht voll verwirklicht, aber auf dem Wege ist: "Der Name Gottes ist nicht heilig auf Erden, das Reich Gottes ist nicht hier auf Erden gekommen, der Wille Gottes geschieht nicht hier auf Erden - noch nicht" (Niels Henrik Arendt). Der dänische Lyriker Benny Andersen wendet an einer Stelle, wenn ich mich recht erinnere, das Wort noch nicht hin und her (dänisch "endnu", wörtlich "als jetzt"). Wenn man das "nicht" betont, kann man hier Mutlosigkeit, Aufgabe und Ungeduld hören: Warum wird die Welt nicht bald zu einem besseren Ort? Es gibt immer noch zuviel Finsternis, zuviel Böses und zuviel Not. Wie lange sollen wir noch immer darauf warten, daß sich etwas ändert. Die Ungeduld klingt in dem "nicht" an. Legt man aber den Ton auf das "noch", klingt es anders und hoffnungsvoll. Gewiß ist unser Leben unsicher. Es ist stets bedroht. Die Erde ist kein sicherer Ort und das Menschenleben kein sicheres Leben ... noch nicht. Dann spürt man, daß etwas im Kommen ist, dann macht es Sinn zu warten, zu hoffen und für Veränderung zu arbeiten.

In diesem Schnittpunkt oder Brennpunkt kann man das Gleichnis von den Jungfrauen sehen. Das Gleichnis wird zu einem Bild, das um diesen Punkt kreist bzw. pendelt: Schon und noch nicht. Sie sind schon zur Hochzeit eingeladen. Die Geladenen haben lange in der Erwartung gelebt und gemerkt, was Erwartung an einem tut. Man bereitet sich vor, denkt nach und überlegt, wie das Fest wohl werden wird, und durch die Festvorbereitungen - wenn Kleidung besorgt wird, Geschenke eingekauft werden, Reden und Lieder geschrieben werden, sind die Geladenen schon dabei, das Fest zu verwirklichen und dazu beizutragen, daß es wirklich ein fest wird. Die Freude kann schon Wurzeln schlagen, wenn die Einladung kommt, sie kann wachsen und sich ausbreiten, lange bevor das Fest stattfindet, um dann am Tage selbst vollendet und verwirklicht zu werden.

Aber so glücklich ist dieses Bild nicht. Das Fest verzögert sich so lange, daß sich zeigt, daß fünf der Brautjungfrauen nicht so voll von Erwartung waren, daß dies ihre Vorbereitung, ihr Leben geprägt hätte - sie werden allmählich beleidigt.

Sie sind beleidigt, weil sie das Gefühl haben, betrogen zu werden: Wie konnten wir wissen, daß alles so schwierig ist? Es ist jedenfalls nicht unsere Schuld, wenn das Fest, das Leben nicht gelingt. Sie sind beleidigt und verlangen umgehend, daß die anderen dafür sorgen sollen, daß die Dinge in Ordnung gebracht werden.

Aber die fünf, die wir die klugen nennen, können sich über die Einladung zur Hochzeit freuen, das gibt ihnen Lebensfreude und, möchte ich meinen, auch Heiterkeit bei ihren Vorbereitungen. Auch wenn sie dem Fest entgegensehen, verliert der Augenblick für sie nicht seine Bedeutung, im Gegenteil: Wie im Himmel, so auf Erden. Die Hoffnung und die Erwartung auf das, was kommen wird, gibt Kräfte, Freude und Heiterkeit in all dem, was jetzt ist.

Im Bild der Brautjungfrauen spiegelt sich in diesem Gleichnis unser Leben, und es wird deutlich, daß wir unser Leben leben müssen bzw. dürfen in der Spannung zwischen dem, was jetzt ist, und dem, was kommen wird.

Das Gleichnis zeigt, daß wir weder den Augenblick zugunsten der Ewigkeit verraten noch umgekehrt die Perspektive der Ewigkeit zugunsten des Augenblicks verlieren dürfen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem intensiven Leben im Jetzt, dem Ausfüllen des Augenblicks, und der Freude auf die Fülle der Zeit.

Das wird auch in dem alten dänischen Lied aus dem dänischen Gesangbuch zum Ausdruck gebracht:

Laß die Lampe meines Herzens brennen bereit,
in Glaube, Hoffnung und Liebe.
Ich schlafe oder wache, da bin ich dein,
ich lebe oder sterbe, da bist du mein.
Und wenn du kommst, komm mild und gut,
und mach mich selig in Ewigkeit.

Amen

Pfarrer Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk


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