Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Jahreslosung 2002
Predigt über Jesaja 12,2, verfaßt von Rudolf Schmidt

Liturgie des Gottesdienstes

"Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen."
So lautet die Losung für dieses Jahr, aus Jesaja 12 der zweite Vers.

Ja, liebe Gemeinde, das ist ein guter Anfang. Wenn man am Anfang eines neuen Jahres "Ja" sagen kann - zum alten Jahr! Wenn man das vergangene Jahr unter die Überschrift stellen kann: "Ja, Gott ist meine Rettung", ich habe es erfahren, auch im zu Ende gegangenen Jahr.

Sicher können dem nicht alle Menschen aus vollem Herzen zustimmen, manche vielleicht gar nicht, weil sie Schweres erlebt haben, hier bei uns in Deutschland und in vielen Teilen der Welt, ganz besonders im September in Amerika und jetzt in Afghanistan: Terror, Tod, Krieg, Flucht, Hunger.

In vielen Jahresrückblicken sind die politischen Ereignisse bedacht und gewürdigt worden und für das neue Jahr Prognosen abgegeben worden, politischer und wirtschaftlicher Art. Ich möchte heute den Blick auf unser ganz persönliches Leben in den Mittelpunkt stellen, denn diese Jahreslosung sollten wir ganz persönlich verstehen. Also: Lassen sich die wichtigsten Erfahrungen, die ich im vergangenen Jahr gemacht habe, in diesem Sinne deuten: "Ja, Gott ist meine Rettung."?

Für mich sehe ich das so im Rückblick. Ich bin vor schwerer Krankheit bewahrt geblieben; ich bin bei den vielen Autofahrten beschützt worden, ich wurde vor großem Leid verschont. Das ist alles nicht selbstverständlich. "Ja, Gott ist meine Rettung."

Ich habe genug Kraft bekommen, um meine Arbeit tun zu können, ich habe Wertschätzung, Ermutigung und Unterstützung erfahren, es gab Menschen, die mich lieben, die ich liebe! Nichts davon versteht sich von selbst. "Ja, Gott ist meine Rettung."

Ich habe in Frieden leben dürfen und in Freiheit! Ich habe genug zum Leben gehabt, mehr als genug! Überhaupt: Ich habe leben dürfen, ein ganzes weiteres Jahr leben dürfen! "Ja, Gott ist meine Rettung."

Und das Missglückte, mein Versagen, meine Schuld: Dass ich das alles auch vor Gott bringen durfte, um Vergebung bitten und den Zuspruch der Vergebung hören durfte, auch so habe ich erfahren: "Ja, Gott ist meine Rettung."

So lassen sich die wichtigsten Erfahrungen des vergangenen Jahres für mich in diesem ersten Satz der Losung für das neue Jahr zusammenfassen. Gott sei Dank!

Und Sie, liebe Schwestern und Brüder, können Sie das auch so sagen? Viele von den guten Erfahrungen, die ich gemacht habe, haben Sie ja auch gemacht. Manche andere gute Erfahrung mögen Sie hinzufügen.

Manche von uns haben aber auch bedrückende Erfahrungen machen müssen: vielleicht eine schwere Krankheit, die ihnen auferlegt wurde, oder ein großes Leid, das ihnen widerfuhr. Dann haben sie erfahren müssen, dass Gott nicht immer an Krankheit und Leid vorbei hilft, aber erfahren, dass er durch Krankheit und Leid hindurch hilft. "Ja, Gott ist meine Rettung", haben sie dann auf eine ganz andere Weise, oft auf eine besonders eindrückliche Weise, erfahren.

So oder so, liebe Gemeinde, wer seine wichtigsten Erfahrungen des vergangenen Jahres so deutet, der merkt zugleich, dass es sich bei alledem um "vertrauensbildende Maßnahmen" Gottes handelt. Wer sich seine Erfahrungen mit Gott so bewusst gemacht hat, der wird nicht nur danken für Wohltaten, Bewahrungen, die Kraft zum Durchhalten und die Vergebung der Schuld, sondern der kann auch dem neuen Jahr vertrauensvoll entgegensehen und entgegengehen. "Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen." So spricht die Jahreslosung diesen Zusammenhang an.

Dass wir Gott in und hinter diesen Erfahrungen ausmachen, das können wir durch Jesus glauben. Jesus zeigt mit seinem ganzen Leben diese um unser Vertrauen werbende Art Gottes: Er verkündigt sie, er lebt sie, ja er personifiziert sie. Jesus ist Gottes um unser Vertrauen werbende Art in Person. Das haben wir Weihnachten mit der Erinnerung an Jesu Geburt wieder besonders gefeiert.

Lassen wir uns das mit einigen Beispielen aus dem Leben Jesu in Erinnerung rufen.

Denken wir an Maria und Martha. Jesus nimmt die Einladung Marthas, in ihr Haus zu kommen, an. Das war anstößig genug für einen Mann in der damaligen Zeit. Auch für eine unverheiratete Frau natürlich, einen allein stehenden Mann einzuladen. Außerhalb des bis dahin Vorstellbaren aber war, dass Jesus eine Frau als Schülerin akzeptierte, Marthas Schwester Maria nämlich, die - so heißt es - "sich zu des Herrn Füßen setzte und seiner Rede zuhörte" (Lk 10,39). Gottes Art überwindet Ausgrenzungen und alle Klassifizierungen, mit denen wir Menschen einander auf- und abwerten. So wirbt Gott um das Vertrauen derer, die unter Ausgrenzungen und Benachteiligungen, Unfreiheit und Not leiden.

Oder: Erinnern wir uns an die Art, wie Jesus mit aussätzigen Menschen umgegangen ist. Sie durften sich ja gesunden Menschen wegen der Ansteckungsgefahr nur bis auf eine Sicherheitsdistanz nähern. Jesus geht zu ihnen hin, nimmt Kontakt auf - bis hin zur Berührung - und heilt sie. So wirbt Gott um das Vertrauen der Kranken und lehrt die Gesunden, dankbar zu sein.

Oder die Geschichte von dem Vater mit den beiden Söhnen, von denen der eine sich sein Erbe auszahlen lässt - ihn kümmert die Frage überhaupt nicht, was das für den Betrieb, den Vater, den Bruder bedeutet - , ins Ausland geht und das ganze Erbteil verprasst. Als er schließlich ganz unten auf der sozialen Stufenleiter angekommen ist - er hütet Schweine und muss sich von dem ernähren, was die Schweine fressen - , entschließt er sich, wenn auch bangen Herzens, nach Hause zurückzukehren. Da braucht er jedenfalls nicht zu hungern. Dann passiert das ganz und gar Unübliche. Als der Vater den Sohn von ferne sieht, läuft er ihm entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Jesus hat diese Geschichte als Gleichnis für Gottes um unser Vertrauen werbende Art erzählt, die auch dem gilt, der sich schuldig gemacht und von Gott entfernt hat.

Jesus lebt diese um unser Vertrauen werbende Art selbst dann noch, als sie ihn ins Leiden, sogar als sie ihn in den Tod führt. Und er erfährt, dass auf Gottes Art Verlass ist, selbst dann, als sein Vertrauen zutiefst angefochten ist: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen", klagt er. Gott rettet ihn durch den Tod hindurch in sein ewiges Reich.

Seit Gott seinen Sohn in die Welt sandte, wissen wir Gott, liebe Gemeinde, in und hinter allen unseren Erfahrungen der Wohltaten, der Bewahrungen, der Kraft zum Durchhalten und der Vergebung der Schuld. Damit will er unser Vertrauen wecken. Aber nicht nur das: Seitdem Gott Mensch wurde, können wir darauf vertrauen, dass er uns auch durch unsere Angst und Verlassenheitsnot hindurch retten und über alle Erfahrung hinaus vom Tod erretten wird. "Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen." Dieser Satz hat seit Jesus eine ganz neue Dimension bekommen.

Solches Vertrauen kann unserem Leben eine andere Qualität geben, liebe Gemeinde. Eine gewisse Gelassenheit, weil diesem Leben nicht alles abverlangt werden muss; eine kritische Wachsamkeit gegenüber denen, die menschliches Leben gnadenlos ausbeuten - bei sich selbst oder bei anderen - , weil ihnen die größere Perspektive fehlt; und eine entschiedene Widerständigkeit, wenn und wo der Mensch sich selbst zur letzten Perspektive macht.

Und schließlich heißt es in unserer Jahreslosung für das Jahr 2002: "Ich will nicht verzagen." Das ist nicht einfach ein guter Vorsatz, sondern eine Konsequenz aus dem zuvor Gesagten. Sie gilt auch und gerade in solch unsicherer Zeit wie der, in der wir leben. Weil ich erfahren habe: "Gott ist meine Rettung", weil ich gelernt habe, ihm zu vertrauen, und darauf vertrauen darf, dass er mich weiter retten wird, darum kann ich sagen: "Ich will nicht verzagen."

Obwohl mir manches Angst und Bange macht, mich verzagen lassen könnte. Die Auseinandersetzung im Nahen Osten, Hass und Terror im Namen Gottes, die zunehmende Zahl der Hungernden in vielen Teilen der Welt, die Schwierigkeiten, sich in einer unübersichtlichen und sich immer schneller verändernden Welt zurechtzufinden, die mit der Entwicklung der Gentechnik verbundenen Probleme, und manches mehr, was man nennen könnte.

Aber auch für all diese Probleme heute gilt wie für die früherer Jahre und Zeiten: "Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen."

Amen.

Liturgie des Gottesdienstes:
G.: Komm, Heiliger Geist EG 156 (oder andere Bitte um den Heiligen Geist)
L.: Der Friede Gottes sei mit euch allen.
(G.: Amen) oder:
L.: Der Herr sei mit euch
G.: Und mit deinem Geist.
(oder L.: Im Namen des Vaters ...
G: Amen
L.: unsere Hilfe kommt von dem Herrn,
G.: der Himmel und Erde gemacht hat.)
L.: Evtl. einleitende Worte, Begrüßung (Abkündigungen hier oder nach der Predigt oder vor dem Segen)
G.: Der du die Zeit in Händen hast, EG 64, 1,2 und 6
L: Psalm 121 /EG 749 im Wechsel mit der Gemeinde
G.: Ehr sei dem Vater
L: Herr, unser Gott, wir hängen noch am alten Jahr und denken an seine guten und bösen Tage. Was das neue Jahr bringen wird, wissen wir nicht. Und manchmal haben wir Angst vor dem anderen Tag Darum bitten wir:
G: Herre Gott, erbarme dich
L: "ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist. unserem Herrn." Darum laßt uns singen mit allen, die an ihn glauben:
G: Ehre sei Gott in der Höhe
L: Lasst uns beten:
"Dein ist das Jahr, dein ist die Zeit. Dein, Gott, ist alle Ewigkeit. Dein ist die Welt, auch wir sind dein, kann keins hier eines ändern sein. Dein ist der Tag und dein die Nacht, dein, was versäumt, dein, was vollbracht. So gehn wir, Gott, aus dem, was war, getrost hinein ins neue Jahr. Ins Jahr, dem du dich neu verheißt, Gott, Vater, Sohn und Heilger Geist."
G.: Amen
L: Schriftlesung: Lk 4,16-21 (altkirchliches Evangelium)
Spruch nach der Schriftlesung: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk. Haleluja!
G: Halleluja
L. und G.: Glaubensbekenntnis - Amen
G.: Nun lasst uns gehn und treten, EG 58,1-7
L.: Predigtüber Jes 12,2 (Jahreslosung)
G.: Jesu, geh voran, EG 391, 1-4 oder: Lass uns in deinem Namen Herr, EG 614, 1-4
L.: Lasst uns beten: Herr, du segnest unsere Anfänge. Du gehst uns voran ins Unbekannte dieses Jahres. Wir horchen auf deinen Schritt durch diese Welt. Wir vertrauen uns deinen Spuren an. Wir wagen es, alles Wichtige von dir zu erhoffen und zu erbitten. Schenke uns und denen, die zu uns gehören, in diesem Jahr Leben und Gesundheit, den Mut und die Freiheit, das Nötige zu tun, das Böse zu lassen und das Unvermeidbare zu tragen.Öffne unsere Augen und Ohren für das Leid, unter das so viele - nah und fern - gebeugt sind.
Befähige uns zu richtigen Einsichten und zu klaren Entschlüssen über das. was wir als einzelne und als Gemeinde tun können Mache uns und viele andere bereit, Verantwortung zu übernehmen und die von dir in Jesus Christus gezeigte Liebe zu uns glaubwürdig weiterzugeben. Geleite uns mit deinem guten Geist durch dieses Jahr. Und hilf uns, die Gegenwart des ewigen Heils zu erkennen, das uns verheißen ist durch deinen Sohn Jesus Christus.
Wir beten in der Stille: ...
Mit Jesu Worten beten wir gemeinsam:
Vater unser ...
G.: Von guten Mächten treu und still umgeben, EG 65,7
L: Segen
G.: Amen

Wochenspruch: Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
(Kol 3,17)

Prälat Kirchenrat Rudolf Schmidt, Kassel
E-Mail: praelat@ekkw.de


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