Göttinger Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Wohin wollen Sie eigentlich? - eine Erzählpredigt
Hans Theodor Goebel

"Ich gehe und weiß nicht wohin" - stand auf dem Balken des alten Bauernhauses.

Wohin wollen Sie eigentlich?

Eine Geschichte, die älter ist als das Bauernhaus, erzählt von Wegen, die gegangen worden sind. Erzählt auch, wohin die Wege führ(t)en.
Ich will nacherzählen:

Ein Bauer in guten Verhältnissen hat zwei Söhne. Beide mit auf dem Hof.
Da sagt der jüngere zu ihm: Vater! Gib mir vom Vermögen meinen Anteil. Wie er mir zukommt. Der Vater entgegnet ihm nichts. Er tut es. Teilt, was er fürs gemeinschaftliche Leben erarbeitet und zusammengehalten hat. Er gibt dem Sohn, der ihn bat, sein Teil. Nicht viele Tage danach macht der alles zu Geld, nimmt es an sich und geht weg. Wohin?
Weg von zu Hause im Land Palästina. Weg vom Hof, auf dem er bisher mit dem Vater und dem älteren Bruder zusammenarbeitete. Jetzt bricht er auf in die Selbständigkeit. In eine der großen Handelsstädte am Mittelmeer. Hier laufen Tag für die Tag große Schiffe ein und aus. Hier werden Waren aus aller Herren Länder umgeschlagen. Hier kann er sich mit dem Startkapital von zu Hause eine Existenz aufbauen. Ein eigenes Unternehmen. Es zu mehr bringen als in den begrenzten Verhältnissen auf dem Land.
So einen Aufbruch brauchen junge Leute heute - und unsere Gesellschaft braucht junge Leute, die beweglich sind, Unternehmensgeist haben und bereit sind, etwas zu wagen.
Der Weg des jüngeren Sohnes ist sein Weg in die selbst gewählte Freiheit und Selbständigkeit.
Aber da ist die glitzernde Hafenstadt. Mit ihren Verlockungen. Wer Geld hat, dem steht hier alles offen. Der junge Mann hat Geld. Und gibt es aus für das, was ihn fasziniert. Leben auf großem Fuß. Luxus. Genießen mit teuren Frauen. Dazu Schmarotzer, die sich dran hängen. Immer ein Tross, der ihm applaudiert. Sonst ist nichts.
Bestechend und doch "heil-los", wie er da lebt. Irgendwann ist das Geld ausgegeben. Das ganze Vermögen. Aufgebaut hat er nichts. Er hat nichts mehr. Jetzt merkt er grausam, wie allein er ist. Sehr einsam. Dazu ist die Zeit teuer. Hunger herrscht im Land. Er war aufgebrochen in die Selbständigkeit und geht nun hin und hängt sich in seiner Not an einen, der Landwirtschaft betreibt. Leben auf dem Bauernhof kennt er ja. Ob er sich da nicht sein Brot verdienen kann? Der Landwirt schickt ihn schließlich zum Schweinehüten auf seine Felder. Er lässt ihn arbeiten, aber er gibt ihm nichts zu essen. Elende Abhängigkeit ohne jeden Schutz. In Zeiten der Not kann man die Habenichtse umso besser ausnutzen. Die Schweine, die er hütet, bekommen die Schoten vom Johannisbrotbaum zu fressen. Wie gerne würde er sich wenigstens mit diesem Schweinefutter den Bauch voll schlagen. Aber man verwehrt es ihm.
Der junge Mann war aufgebrochen nach draußen, in die Fremde, in die Freiheit eines selbst bestimmten Lebens. Und ist nun angekommen, wo er nichts, gar nichts mehr reißen kann. Ganz unten.

Da - hungrig mitten unter den Schweinen - tritt er einen anderen Weg an. Er geht in sich.
In seiner Erinnerung taucht das Bild seines Vaters auf. Wie viele Tagelöhner hat mein Vater auf seinem Hof und die erhalten Brot im Überfluss. Ich aber - denkt der Junge - komme hier um vor Hunger. Einst war ich da zu Hause, sagt er sich vielleicht. Aber das ist ja vorbei. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gefehlt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Halte mich wie einen deiner Tagelöhner.
So geht der Junge in sich und ist nun angekommen bei dem Entschluss, umzukehren zu seinem Vater und ihm seine Fehler zu bekennen.

Den Entschluss setzt er um in die Tat. Das ist noch einmal ein neuer Schritt aus seinem Inneren heraus. Er macht sich tatsächlich auf und geht den Weg zurück zu seinem Vater. Ich kann mir denken, wie seine Schritte immer langsamer werden, je näher er dem Vaterhaus kommt. Immer schwerer. Der Weg der Umkehr geht sich nicht so leicht. Wie wird sich der Vater verhalten?

Der aber hat wohl schon nach ihm ausgeschaut. Jedenfalls sieht er ihn, wie er noch weit weg ist. Es jammert ihn. Sein Herz ist ganz Erbarmen. Da läuft er. Ein ungewöhnliches Bild. Der betagte Orientale in seinem langen Gewand läuft. Das ist doch unter seiner Würde. Aber er tut es. Er läuft diesem seinem Sohn entgegen. So läuft der Weg des Vaters. Sein Entgegenkommen. So kommt er bei dem Zurückkehrenden an und fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Das ist das Erste, bevor überhaupt Worte fallen. Worte hatte der Sohn sich vorgenommen. Die sagt er dann auch. Die Umarmung öffnet ihm den Mund: Vater, ich habe gefehlt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Weiter kommt er nicht. Denn nun redet der Vater. Ruft seinen Knechten zu: Schnell, bringt das Festgewand und den Siegelring und Sandalen. Zieht das alles meinem Sohn an.
So weit reicht das Entgegenkommen des Vaters. Er setzt den Sohn, der alles verspielt hatte, wieder ein - nicht als Tagelöhner, nein als seinen Sohn. Mit allen Ehren.
Und schlachtet schnell das gemästete Kalb - ruft er den Knechten zu. Lasst uns essen und fröhlich sein. Denn dieser mein Sohn, war tot und ist wieder lebendig geworden. Er war verloren und ist wieder gefunden worden. So unbändig freut er sich darüber und alle müssen mitfeiern.

Noch einer geht einen Weg. Der ältere Sohn. Er hat den Tag über auf dem Feld gearbeitet und jetzt, am Abend kommt er zum Haus und Hof des Vaters. Das ist sein Zuhause, hier ist er geblieben und macht die Landwirtschaft mit dem Vater. Näher kommend hört er Musik und Tanzen. Er fragt einen der Hofknechte, was denn da los sei. Und der sagt es ihm: Dein Bruder ist nach Hause zurückgekommen und dein Vater hast das Mastkalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder hat.
Wie er das hört, packt den Älteren der Zorn - richtig die Wut. Dieses Fest will er nicht mitfeiern, will nicht hineingehen.
Da geht sein Vater zu ihm hinaus und bittet ihn.
Zum zweiten Mal in dieser Geschichte geht der Vater. Wie er vorhin dem jüngeren Sohn entgegengelaufen ist, so geht er jetzt zu dem älteren hinaus. Und bittet ihn. Auch hier fragt er nicht nach seiner Würde.
Auch diesem älteren kommt er entgegen. Bei ihm in seinem Zorn will er ankommen.
Der Zorn entlädt sich in der Gegenrede des Sohnes: Solange mache ich hier auf dem Hof die Arbeit für dich. Immer habe ich dir gehorcht. Geschuftet ohne Ende. Und du hast mir nicht mal ein Ziegenböckchen gegeben zum Grillen, niemals ein Fass aufgemacht zum Feiern mit meinen Freunden. Und jetzt ist dieser dein Sohn gekommen. Der ältere sagt nicht: mein Bruder, er sagt zum Vater: dieser dein Sohn, der das, was du für unser Leben erarbeitet und zusammengehalten hattest, mit Huren verschleudert hat.
Und du - du hast ihm noch das Mastkalb geschlachtet. Und machst ihm so ein Fest. Das verdient der doch nicht. Das kommt gerade dem doch gar nicht mehr zu.

Bitter ist der ältere, er bebt in seinem Zorn. Er sieht nur Ungerechtigkeit des Vaters. Der aber sagt: Kind! - Du bist doch allezeit bei mir. Und alles, was mein ist, ist dein.
Weiß der das nicht?

Und der Vater sagt ihm: Es war doch einfach nötig, fröhlich zu sein und sich zu freuen, weil dieser dein Bruder tot war und ist lebendig geworden, verloren war und ist gefunden worden. Dieser dein Bruder - sagt der Vater. Er spricht dem älteren Sohn den jüngeren neu als Bruder zu.
Alles, was mein ist, ist dein - auch dein Bruder, der verloren war und jetzt gefunden ist. Ich hab ihn wieder als meinen Sohn und schau: Da hast du wieder deinen Bruder.
Das muss doch einfach gefeiert werden. Und du musst dabei sein. Mitfeiern und dich freuen. Du mein Kind. Komm doch herein! Trink doch einen mit!
Ob der ältere der Einladung des Vaters gefolgt ist, den Weg hineingegangen ist - zum Fest?

Wege sind gegangen worden in dieser Geschichte:

  • Der Weg des jüngeren Sohnes in die Freiheit und endete in Abhängigkeit und Elend.
  • Der Weg, auf dem er dann in sich ging und erinnerte sich seines Vaters und erkannte seinen Fehler.
  • Der Weg seiner Umkehr zum Vater.
  • Das Laufen des Vaters, der ihn vom weitem sah, sein Entgegenkommen über alle Maßen.
  • Der Weg des älteren nach Hause - und wollte aus Zorn und Bitterkeit nicht hineingehen zum Fest der Freude, das der Vater für den gefunden Sohn hatte ausrichten lassen.
  • Und der Weg des Vaters, als er das Fest verließ zu ihm hinausging, und kam auch ihm entgegen und bat ihn: Ist es nicht nötig, dass du mitfeierst und dich freust? - Ob der ältere dann den Weg hineinging zum Fest?

Jesus hat solche Geschichten erzählt, um den Menschen zu sagen: So geht es zu im Reich Gottes. Wie in dieser Geschichte. So seid ihr dran mit Gott.
Wo Jesus, der Christus mit dieser Geschichte heute bei uns ankommt - und ich hoffe darauf, indem ich nacherzähle - greift das Reich Gottes auf uns über. So wie der Vater dem jüngeren Sohn, der sein Leben verfehlt hat und zu ihm umgekehrt, um den Hals fällt. So wie er den älteren bittet: Freu dich doch mit.
Ich könnte auch sagen: So wie die Wege in dieser Geschichte sind Lebenswege, die wir gehen und gehen können: Wege, auf denen wir fehlen und scheitern und Wege in uns selbst hinein, und Wege der Umkehr, und andere Wege der Bitterkeit und des Neids.
Und so wie Wege in dieser Geschichte sind Wege, auf denen uns Gott entgegenkommt wie der Vater und vergibt über alle Maßen und freut sich, dass er uns Verlorene wieder hat und kommt uns darin entgegen, dass er uns bittet, hineinzukommen in seine Freude über die anderen Verlorenen, die er wieder hat.
Lassen wir uns einladen - die Wege zu gehen, auf denen er uns entgegen kommt? Den Weg der Umkehr zu ihm und den Weg hinein in die Freude.

Wohin wollen Sie eigentlich?

Martin Luther hatte in der Inschrift an dem alten Bauernhaus gelesen:
Ich komme und weiß nicht woher.
Ich gehe und weiß nicht wohin.
Mich wundert, dass ich noch fröhlich bin.

Luther soll dann umgedichtet haben:
Ich komme und weiß wohl woher.
Ich gehe und weiß wohl wohin.
Mich wundert, dass ich noch traurig bin.

Wo Jesus uns erzählt - und ich hoffe darauf - wo er uns so eine Geschichte erzählt wie die von den Wegen des Vaters zu uns und von unseren Wegen zum Vater entzieht er der Traurigkeit Grund und Boden.

Amen.

(Die Geschichte lässt sich nachlesen im Lukasevangelium Kapitel 15 Verse 11-32.)

Literatur:
· Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, Tübingen 19642, 135-142; 160-164.
· Georg Eichholz, Gleichnisse der Evangelien. Form, Überlieferung, Auslegung, Neukirchen-Vluyn 1971, 200-220.
· Denk mal nach … mit Luther. Der Kleine Katechismus - heute gesagt, hg. v. Kirchenkanzlei der EKU, Gütersloh 1989, 85.

Hans Theodor Goebel (Köln)
E-Mail: HTheo_Goebel@web.de