Göttinger Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Sind Fußballer unsere wahren Götter?
Predigt über Exodus 20, 3: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben"
Eberhard Harbsmeier

Man kann darüber streiten, ob es in diesen Tagen der Fußball ist, oder ob es die Fußballer sind, die die wahren Götter sind. Unter allen Umständen ist festzuhalten: An religiösen Untertönen fehlt es wahrlich nicht in dieser Zeit, in der der Fußball geradezu religiöse Leidenschaften weckt.

Ein Plakat eines Fernsehsenders will da die Aufmerksamkeit wecken für das große Ereignis der Fußballweltmeisterschaft mit Plakaten, auf denen bekannte Fußballer zu sehen sind, aber auch ein brasilianisch aussehendes Mädchen mit zum Gebet gen Himmel erhobenen Händen. Der dazu passende Text lautet: "Es geht um alles". Als Gegenplakat gegen diese fast religiöse Aufwertung des Fußballs dann das Motto bzw. die Gegenthese auch in der Form eines Plakats seitens der evangelischen Kirche: "Sind Fußballer unsere wahren Götter?" - eine rhetorische Frage, die einem die Antwort in den Mund legt: Natürlich nicht - denn eigentlich geht es ja im Fußball nicht um alles, sondern um - nichts. Denn Fußball - vergeßt das nicht, ist nur ein Spiel. Wenn es überhaupt um etwas geht, dann um Geld, aber - und das weiß eigentlich auch der leidenschaftlichste Fußballfan - letztlich geht es im Fußball nicht um alles, sondern um nichts, es ist ein Spiel, die schönste Nebensache der Welt.

Ein witziges Plakat, das den Fußball und die Fußballleidenschaft religiös aufwertet - und dann das andere, die theologisch richtige Belehrung darüber, daß es ja wahrlich wichtigere Dinge gibt als Fußball.

Ich muß gestehen, daß ich als Theologe und Fußballzuschauer Schwierigkeiten habe, mich zwischen diesen beiden Plakaten zu entscheiden: Auf der einen Seite eine Leidenschaft für Fußball, die in Hysterie ausartet, eine Hysterie, die zu Krawallen und nationalistischen Exzessen führen kann - wo aus einem schönen Spiel blutiger Ernst wird: Fußball als Nährboden rechtsradikaler Gewalt. Ein Spiel, in dem sich Aggressionen - vor allem bei den Zuschauern - entladen können nach dem Motto: Hier dürfen wir die Sau rauslassen. Hier darf man noch Nationalhymnen grölen, die sonst nur dezent und unaggressiv gesungen werden. Fußball ist ja ein Kriegsspiel, es geht um alles - nämlich den Sieg!

Auf der anderen Seite die moralische Belehrung: Nun übertreibt man nicht! Es ist nur ein Spiel! Es gibt wichtigere Dinge als Fußball, Fußballer - auch die besten - sind auch nur Menschen. Das ist mir nun wieder zu vernünftig und auch irgendwie zu pastoral und hilflos. Sicher: Fußball ist nur ein Spiel - wer würde das ernsthaft bestreiten - es gibt wichtigeres. Aber ist es nicht so, daß auch unser Leben in einem gewissen Sinne ein Spiel ist, das wir inszenieren? Und ist nicht der Fußball - wie andere Spiele - gerade deshalb so interessant, weil er sozusagen das Leben wiederspiegelt: Man muß kämpfen, erringt Siege, erleidet auch Niederlagen, man kann viel tun für das Gelingen, den Sieg - aber es hängt nicht nur von mir ab, Glück gehört dazu, auch der Zusammenhalt in der Mannschaft. Und wie im wirklichen Leben gibt es andere, die das Spiel teilweise bestimmen: der Schiedsrichter, die Trainer, die immer mehr zur Hauptperson werden - und dann, nicht zu vergessen, all die klugen Leute, die das Geschehen für uns deuten. Das ist schon fast wie in der Kirche, im Gottesdienst. Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, daß der Schiedsrichter immer in Schwarz erscheint, als der Hohepriester des Geschehens. Da wird gesungen, wie in einem Gottesdienst, Freud und Leid stehen dicht nebeneinander wie im Mythos von Tod und Auferstehung. Und dann gibt es die ganz Klugen, die Wissenschaftler, die immer für alles eine Erklärung haben. Diese Erklärungen können bierernst und fast pseudowissenschaftlich sein wie bei Günther Netzer und seinem Freund, oder aber auch geradezu religiös, wie bei Trainern und Journalisten: Mir ist aufgefallen, daß Fußballspiele meist so kommentiert werden, das man stets feststellt, der Sieger habe doch "letztlich verdient" gewonnen - das wird meist dann betont, wenn an sich jedem deutlich ist, daß das Gegenteil der Fall ist: Der Sieg war reiner Zufall, die schlechtere Mannschaft hat gewonnen. Aber dieser Gedanke erscheint gleichsam unerträglich, deshalb die eigenartige Logik: Wer mehr Tore geschossen hat bzw. mehr Punkte gewonnen hat, hat den Sieg bzw. die Meisterschaft auch verdient. Eigentlich eine merkwürdige Logik, ein fast theologischer Satz, ein fußballerischer Erwählungsgedanke: Wer gewonnen hat, hat es auch verdient.

Nun möchte ich diese Parallele zwischen Fußball und Religion nicht übertreiben, dennoch läßt sich nicht bestreiten: Es gibt Parallelen, auch in dem Sinne, daß der christliche Gottesdienst - wie auch andere Gottesdienste - den Charakter eines Spiels hat: Wir inszenieren, spielen das, was im Leben wichtig ist.

In Wirklichkeit ist es doch so: Man kann im Leben gar nicht so, wie das kirchliche Plakat es anzudeuten scheint, zwischen Spiel und Ernst unterscheiden. Oft wird aus Spiel Ernst und umgekehrt - z.B. in der Liebe. Und oft ist ja schwer zu unterscheiden, was Spiel ist im Leben und was Ernst. Und außerdem: Ein Spiel macht nur Sinn, wenn man es auch ernst nimmt. Ich hätte jedenfalls keine Lust, gegen jemanden zu spielen, dem es egal ist, ob er gewinnt oder verliert. Zum Spiel gehört Leidenschaft - wie im Leben sonst. Und das ist ja wohl auch der positive Sinn von Spiel und Sport: Leidenschaft, sich auf eine Aufgabe konzentrieren können.

Es wäre jedenfalls nicht gut, wenn man unter dem Hinweis darauf, daß Fußballer keine Götter seien, jede Fußballleidenschaft als Götzendienst verdammen wollte. Wir würden zu Puritanern, die ja bekanntlich das Spielen überhaupt verbieten bzw. als sündhaft brandmarken wollten, weil ihnen jede Form von Leidenschaft grundsätzlich verdächtig erschien. Gewiß: Es gibt wichtigere Dinge als Fußball - aber ist deshalb Fußballleidenschaft verboten? Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: Von einem Manne, der seine Geliebte in den Armen hält, zu verlangen, er solle sich nach der Seligkeit jenseits sehen, ist vorsichtig ausgedrückt, eine Geschmacklosigkeit. Einem Fußballfan, dessen Held gerade das entscheidende Tor geschossen hat, in Erinnerung zu rufen: Es gibt wichtigeres als Fußball - ist wohl genauso geschmacklos - und pädagogisch unbegabt. Die Deutschen, hat der Schweizer Theologe Karl Barth einmal kritisch bemerkt, haben die besondere Gabe, die richtigen Dinge zum falschen Zeitpunkt zu sagen. Dies wäre ein typisches Beispiel dafür.

Natürlich sind Fußballspieler Götter unserer Zeit, es gibt einen Fußballgott und viele andere Götter. Man kann ja nur einmal in die Zimmer unserer Kinder sehen: Dort hängen die Ikonen unserer Zeit, die Fußballgötter - neben vielen anderen. Entgegen landläufiger Meinung bestreitet die Bibel ja auch nicht die Existenz anderer Götter: Es gibt Mächte und Gewalten, gute und böse, es gibt andere Götter als den einen Gott. Auch Luther machte bekanntlich kein Hehl daraus, daß dem Menschen alles zum Gott werden kann.

Das erste Gebot lautet bekanntlich: Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Ich verstehe dieses Gebot nicht so, daß hier die Existenz anderer Götter bestritten wird. Auch nicht unbedingt so, als daß man unbedingt die anderen Götter schlechtmachen müßte und herabwürdigen müßte. Das wäre ein falscher, aggressiver Monotheismus, den es zwar im Laufe der Geschichte - und nicht zuletzt auch im Alten Testament - gegeben hat, der aber nicht in unsere Zeit paßt. Man braucht ja nicht andere Frauen schlecht zu machen, weil man eine liebt.

Es gibt so etwas wie einen lockeren, respektvollen Umgang mit anderen Göttern. "Betet sie nicht an und dienet ihnen nicht!" Gewiß: Man muß zwischen dem einen Gott und den vielen Göttern unterscheiden können, gerade das meint das erste Gebot. Wer an den einen Gott glaubt - braucht die anderen Götter weder zu fürchten noch zu verleumden. Wer an den einen Gott glaubt, kann deshalb vielleicht sogar einen mehr lockeren und spielerischen Umgang mit den vielen Göttern pflegen. Christlicher Glaube und Fußballleidenschaft schließen sich ja nicht aus. Das wäre ja ein geradezu eunuchisches Glaubensverständnis, wollte man einem Christen Leidenschaft verbieten und den Willen, zu gewinnen, als sündig verdächtigen. "Es geht um alles" - natürlich: Wer spielt will gewinnen, wer - wie die meisten - zuschaut, fiebert mit. Spiele, wo es mir egal ist, wer gewinnt, sehe ich mir nicht an.

In diesem Sinne: Laßt Euch den Spaß am Fußball nicht verderben. Gewiß - es ist viel Geld im Spiel, aber das ist z.B. beim Weihnachtsfest nicht viel anders. Was ich mir wünschen würde: Mehr Freude am Spiel, mehr Leidenschaft - und weniger bierernste Analysen und Kommentare, ob nun alle auch "verdient" gewonnen haben. Denn das ist auch das Schöne an der Welt der Fußballgötter: Hier geht es eben nicht immer nach Verdienst - eigentlich ganz wie in der Kirche!

Rektor Professor Eberhard Harbsmeier
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