Göttinger Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Predigten zur EKD-Initiative (Überblick) / Webseiten und Informationen zur Initiative

"Sind Fußballer unsere wahren Götter?"
Anregungen für einen Gottesdienst
Klaus-Peter Weinhold

Gemeinsam feiern ... Zeit für Besinnung und Bewegung
Bausteine für einen sportbezogenen Gottesdienst
Predigtgedanken
Lebens(t)raum Fußball in der einen Welt

Das Spiel ist in seiner Wurzel
die Hoffnung auf ein
glückliches Leben. (Hugo Rahner)

Gemeinsam feiern ... Zeit für Besinnung und Bewegung

Ein Gottesdienst im Monat der Fußballweltmeisterschaft ist ein guter Anlass, Menschen aus den örtlichen Sportvereinen einzuladen, um mit ihnen einen sportbezogenen Gottesdienst zu feiern und in seiner thematischen Ausrichtung abzustimmen. So kann eventuell schon im Einladungsbrief zu einer Vorbereitungsrunde bzw. an die Vereinsvorsitzenden darauf hingewiesen werden, dass die evangelische Kirche mit dieser Fragestellung nach den säkularen Göttern in unserer modernen Welt nicht fußball- oder sportfeindlich ist, sondern gerade die Bedeutung von Spiel, Sport und Bewegung für die Herzen und Gefühle vieler Menschen anerkennt. Fußballcafés mit einer Großbildleinwand können zum gemeinsamen Zuschauen einladen, Kleinfeld-Turniere für Kinder und Jugendliche können den Hunger nach Bewegung und 'Nachspielen' stillen; dabei braucht der Fußball überhaupt nicht im Mittelpunkt stehen; vielfältige Sportspiele mit betont kommunikativem Charakter bieten eine lohnende Alternative, gemeinsam einen (halben) "Tag der Begegnung mit Besinnung und Bewegung" zu verbringen. Die Einladung an Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene kann schon auffordern, zu diesem Gottesdienst einmal im Trikot, Trainingsanzug oder beliebten Sportdress aufzutauchen; zusätzlich ist die Kirche mit Bällen, Netzen, Schlägern und anderen Sportutensilien geschmückt.

Bausteine für einen sportbezogenen Gottesdienst

- Lieder und Musik

Die Lieder und die Musik sollten etwas von der dritten Dimension des Betens, nämlich des Tanzes, erzählen und dazu anstiften, in ihrem Rhythmus zu klatschen, zu schwingen und sich zu bewegen. Spirituals und Gospelsongs wie 'He's got the whole world in his hand' oder die 'Halleluja'-Lieder haben sich in der Praxis bewährt (z. B. wechselseitiges Aufstehen bzw. Hinsetzen). 'Gott gab uns Atem' oder 'Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen' erzählen unmittelbar vom Geschenk unseres Körpers. Von den modernen Liedern animiert 'Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich? (Hans Dieter Hüsch) zum Hüpfen und Drehen. Da wir nicht nur die befreiende Bewegung brauchen, sondern auch die schöpferische und beschenkende Ruhe, haben z. B. auch Taizè-Gesänge wie das 'Kyrie eleison oder 'Laudate omnes gentes' ihren Platz. Ein bewegungsfreundlicher Gottesdienst lädt zum Mitteilen und Mitmachen ein, daher sind Kanons besonders geeignet. Auch die Ohrwürmer wie 'Danke für diesen guten Morgen', 'Die güldene Sonne' oder 'Geh aus mein Herz' haben in dieser offenen, volkskirchlichen Situation nichts von ihrer Beliebtheit verloren. Glaubensbekenntnis und Vaterunser gesungen sowie die bekannten Segenslieder wie 'Komm Herr segne uns' oder 'Bewahre uns Gott, behüte uns Gott' vermitteln wohltuend und beachtet die Verbindung von Vertrautem und Neuem.

- Biblische Texte und Lesungen

Neben den Heilungsgeschichten des Neuen Testaments (Heilung eines Gelähmten, eines Blinden, eines Gichtbrüchigen, eines Aussätzigen etc.), die eindrücklich von der körperlichen Nähe Jesu berichten, gibt es auch 'Bitten und Ermahnungen' an die jungen Gemeinden, die von Freude, Herzlichkeit und sorgsamen Umgang erzählen (Römer 12,3-8 / Mannschaft; Philipper 3,12-14 / Zielorientierung oder Philipper 4,4 -7 / Freude; Epheser 2,13-22 / Mitbürger statt Fremde; 1. Korinther 12,12-31 / Leib und Glieder; Kolosser 3,9-14 / Liebe als verbindendes Band).

Für die anthropologischen Dimensionen kann man zurückgreifen auf Genesis 1,26-28; Psalm 8; 1. Korinther 3,17 oder 2. Korinther 5,17. Einer der Klassiker der eher spärlichen 'sportbezogenen' NT-Bilder/Texte aus dem 1. Korintherbrief 9,24-27 thematisiert zwar nicht das Spielen, spricht aber positiv vom Einsatz und der Zielperspektive im Leben.

Ein 'sportbezogener' Gottesdienst kann sowohl sehr elementar und weit die Freude an Bewegung, an gemeinsamem Spiel und dem Geschenk unserer Leiblichkeit zum Ausdruck bringen, wie er ebenso das Thema Spiel mit der konkreten Situation Fußball bzw. Weltmeisterschaft fokussieren kann.

- Gebete aus der Welt des Sports

Herr, ich freue mich,
dass ich Sport treiben darf.
Nirgendwo sonst spüre ich
so deutlich,
dass ich nicht einen Leib habe,
sondern Leib bin;
für diese glückliche Erfahrung
danke ich Dir.

So erlebe ich mich
in Lauf und Bewegung,
in Spiel und Wettkampf,
in Übung und Leistung,
in Sieg und Niederlage.
Immer bin ich ganz beteiligt
mit Körper und Geist,
mit Leib und Seele,
mit Haut und Haaren,
mit Hand und Fuß.

Deshalb bitte ich dich:
Halte mich in Höhen und Tiefen.
Gib mir Bereitschaft und Ausdauer.
Bewahre mir Freude und Gesundheit.
Schenke mir Zuversicht und Frieden.
Lass mich am Ende meines Lebens
den Siegespreis erringen,
den du allem fairen Mühen und Kämpfen
verheißen hast. Amen.

Zu unserem Herrn, der uns beschenkt und begleitet, beten wir voll Vertrauen:

- für alle Christen: dass sie durch Gottes Wort ermutigt
werden, für andere dazusein.
- für die Verantwortlichen in der Politik und in den
Medien: dass sie die Würde aller Menschen achten
und zur Verständigung der Völker beitragen.
- für alle Sportlerinnen und Sportler: dass sie gesund und verantwortungsbewusst, zuversichtlich und hilfsbereit bleiben.
- für die Betreuerinnen und Betreuer und für alle, die in den Sportverbänden eine Funktion übernommen haben: dass sie fair und rücksichtsvoll miteinander umgehen und die "Sorge um den Menschen" zu ihrem Hauptanliegen im Sport machen.

Um all das bitten wir dich, Herr, denn du bist der Freund der Menschen. Dich preisen wir in Ewigkeit. Amen

Herr, du weißt, dass ich etwas leisten will,
natürlich möchte ich, dass mir etwas gelingt.
Niemand verachtet den Erfolg.
Doch manches lässt sich nicht erzwingen,
auch nicht, wenn ich darum bitte.
Ich gebe zu, ich brauche dich,
wenn ich vor einer Leistung stehe,
wenn ich unsicher bin und nicht weiß,
ob die Sache gelingen wird.
Ist es gelungen, bist du oft schnell vergessen,
hatte ich Pech, finde ich dich auch nicht mehr.

Gib, dass ich nicht nur auf mich sehe,
auf mein Tun, meinen Erfolg!
Hilf, dass ich anderen helfen kann,
für sie etwas leiste.
Lass mich nicht nur auf das sehen,
was mir fehlt, sondern dankbar
für das sein, was du mir gibst. Amen

Lehre mich, o Herr, die Regeln des Spiels zu achten.
Lehre mich, o Herr, bescheiden zu sein,
wenn es schief geht, nicht traurig zu werden.
Hilf mir, dass ich unterscheiden lerne
zwischen echter Leistung und Angeben.
Gestatte mir nicht, dass ich auf billiges
Lob höre oder es austeile.
Lehre mich die hohe Kunst zu siegen,
wenn es meine Kraft mir eingibt.
Wenn ich aber nicht zu siegen vermag,
dann vor allem erhöre mein Gebet.
Lass mich die Niederlage mit Würde
und Gelassenheit ertragen.
Du, o Herr, bist mein Sieg! Amen (Aus dem Schwedischen)

Predigtgedanken

Sind Fußballer unsere wahren Götter?
Jedes Fußballspiel ist ein Fest der Gefühle. Die runde Kugel bewegt nicht nur die 22 Akteure auf dem grünen Rasen, Fußball bewegt unsere Herzen auch als Zuschauer: Da werden 'Helden in den Himmel gehoben' und andere als 'Versager verdammt', Rituale und Symbole werden gepflegt, es wird viel über Gerechtigkeit, Zufall und Glück diskutiert, Tränen der Freude oder der Enttäuschung fließen - selbst vom Fußballgott ist die Rede. Hinter den Spruchweisheiten wie 'Der Ball ist rund' oder 'Neues Spiel - Neues Glück' - steckt eine tiefere Botschaft. Es ist der Wunsch nach Verwandlung des Alltags, nach Unterbrechung von Arbeit und Eintönigkeit, nach Partizipation und Großartigkeit - wenigstens für die 90 oder 120 Minuten des Spiels. Die Begeisterung für den Fußball hat für viele Fans fast religiöse Qualität. Schals, Mützen und Trikot weisen die Konfession aus und die liturgischen Gesänge im Stadion bekunden die Bewunderung für die eigenen Stars oder die Verachtung der anderen Mannschaft.

So offen und frei, so beweglich, dramatisch und eben nicht festgelegt wünschen wir uns unser Leben - eben spielerisch. Das Spiel unterbricht die Zeit, lässt uns Stress und soziale Schranken vergessen, schafft einen eigenen Rhythmus der Woche bzw. des Jahres und bildet neue, bewegte 'Samstags'-Gemeinden. Selbst ein 'Fußballmuffel' wird sich der Weltmeisterschaft nicht ganz entziehen können; sie ist Thema.

Mögen die Spiele auch Millionen Zuschauer vor den Fernsehschirm im eigenen Wohnzimmer locken, wichtiger noch ist aktives Sporttreiben und die Einsicht: Sport verbindet - alt und jung, über Kulturgrenzen und Sprachbarrieren hinaus. Deshalb ist es gut, wenn in verschiedenen Gemeinden neben Gottesdiensten auch Turniere, Cafés und Großleinwände fürs gemeinsame Zuschauen vorbereitet sind.

Sind Fußballer unsere wahren Götter? Wer hinter die Kulissen des Spitzensports blickt, entdeckt Menschen "wie du und ich": mit Stärken und Schwächen, Hoffnungen und Befürchtungen, Erfolgen und Niederlagen, kleinen Eitelkeiten und großen Sehnsüchten und Träumen.

Sportidole werden sie durch ihre Leistungen; manchmal rückt sie ihr Verdienst in schwindelnde Höhen. Die Medien transportieren sie uns ganz nahe: wir nehmen teil an den Stufen einer Erfolgsleiter, die anderen ein Leben lang versperrt bleiben, wir spüren den Erwartungsdruck und ahnen etwas von der extremen Belastung. Fußballer müssen nach bitteren Niederlagen die Kraft zum Weitermachen finden, Sieg und Niederlage liegen dicht beieinander. Als "Götter" sind sie allemal überfordert. Oliver Kahn, der Torhüter des FC Bayern und der Nationalmannschaft, antwortete auf die Frage nach dem "Fußball-Gott" einmal: "Es gibt nur einen Gott" - und er wies himmelwärts; eine weise Geste und Haltung wie mir scheint.

Ich mag Fußball, ich liebe dieses Spiel. Ob nun die Freude an seiner Ästhetik, an Begeisterung und Spannung, an Aufstiegs- oder Abstiegsdramen - die Palette der Leidenschaften ist bunt. Fußball als 'Religion' zelebriert weist in der Tiefe auf die Hoffnung der Verwandlung des Alltags, auf die Sehnsucht nach einem Gott zum Anfassen hin. Aber die Frage "Woher gewinne ich Orientierung für mein Leben?" hat noch einen weiteren Horizont.

Fußball ist unser Leben - sang die Nationalmannschaft vor Jahren. Wo Fußball Beruf ist, stimmt das vordergründig. Aber unser Leben ist mehr als Fußball. Gerade wer im Spitzensport früh Erfolge feiert, merkt bald, dass Geld und Medaillen allein noch kein erfülltes Leben garantieren. Und wer bittere Niederlagen durchleiden muss und dabei von der Öffentlichkeit scharf kritisiert wird, der fragt stärker als andere nach einem festen Halt im Leben. Sport kann einen wertvollen Beitrag zu einem zufriedenen, sinnerfüllten Leben leisten. Aber er allein reicht nicht aus: wenn das Spiel aus ist, bleibt die Frage nach Gott bestehen. Spitzensportler sind Vorbilder, aber eben keine "Götter". Mit der Frage nach den säkularen Göttern in einer entchristlichten Gesellschaft geschieht ein Stück 'Entdämonisierung' und 'Entlastung': sie lässt den Zauber des Fußballspiels unbenommen, aber die Promis sympathischer und menschlicher werden. Wo Fußball die schönste Nebensache der Welt bleibt, ist auch der Erfolg kein Problem, weil sich keiner über den anderen zu erheben braucht und die 'Kicker' mit ihrer himmlischen Technik die richtige Bodenhaftung behalten. Kann die Teilhabe am einem Sieg der eigenen Mannschaft die hundert Niederlagen des Alltags ersetzten? Wo die großen Stars unserer Fest- und Feierkultur 'entgöttert' werden, wächst die Chance, unser Berufs- und Alltagsleben in all seiner Unvollkommenheit menschlich anzunehmen.

Lebens(t)raum Fußball in der einen Welt


Wenn ich könnte,
gäbe ich jedem Kind
eine Weltkarte ...
Und wenn möglich,
einen Leuchtglobus,
in der Hoffnung,
den Blick des Kindes
aufs äußerste zu weiten
und in ihm
Interesse und Zuneigung zu wecken
für alle Völker,
alle Rassen,
alle Sprachen,
alle Religionen. (Helder Camara)


Wie unterschiedlich der "weltumschließende Ball" das Leben und den Alltag mit seinen Träumen und Lasten bestimmt, kann z. B. über kurze Lebensbeschreibungen von drei gleichaltrigen Jungens (ca. 12 Jahre) erzählt werden:

Süd- und Mittelamerika: z. B. Pedro lebt in Kolumbien - hat keine Ausbildungschance - ernährt sich von kleinen Handlangerdiensten - schläft in einer der Vorstädte von Bogota - aber er spielt Fußball. Der selbstorganisierte Straßenfußball ist sein Zuhause - 'overcome violence' - Fußballspielen als erster Schritt gegen Tritte und Gewalt - gegen Kriminalität und Drogen - Fußball als sozialer Haltepunkt. Der Traum vom sozialen Aufstieg ist für die allermeisten südamerikanischen Fußballer (z. B. Brasilien) bis heute nur über den Fußball möglich - für die Situation in den afrikanischen Ländern gilt Vergleichbares.

Pakistan/Indien/Asien: Alim sitzt 12 Stunden an seinem kleinen Tisch und näht Fußbälle - über 90% aller Fußbälle kommen aus seinem Land - hergestellt in Handarbeit - für Alim selbst bleibt nur ein Hungerlohn (hier kann von den Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in Indien oder Asien sowie von den Projekten gegen Kinderarbeit berichtet werden). Zum Arbeiten alt genug - zum Spielen keine Zeit - manchmal träumt Alim davon, einer von denen zu sein, die es geschafft haben und jetzt mit seinen Bällen spielen. (Weitere Informationen zu 'fair' hergestellten Sportartikeln über Christliche Initiative Romero, Tel.: 0251 / 89503; Fax: 0251 / 82541; e-mail: ci-romero@t-online.de). Wer ein Fußballturnier mit Konfirmanden und Jugendlichen plant, kann auf fair gehandelte Fußbälle (GEPA) zurückgreifen.

Deutschland/Europa: Daniel ist 12 Jahre alt und schläft in der weißblauen Bettwäsche seines Lieblingsvereins. Jeden Samstag geht er mit seinem Vater in die Arena auf Schalke - dann ist die Schule und die ganze Woche vergessen - es sind die schönsten Stunden mit seinem Vater, den er sonst wenig sieht. Daniel lebt bei seiner Mutter allein - seine Eltern sind getrennt. In ein paar Jahren wird er auch zu den Fans gehören, die in der 'weißblauen Kluft' Ihre Mannschaft zu jedem Auswärtsspiel begleiten. Fußball als Identifikationsmöglichkeit - als soziale Klammer - als Rhythmisierung der Woche etc.

Drei Jugendliche - drei Kontinente - drei Schicksale - und sie sind alle auf ihre Weise mit dem Fußball verbunden. Fußball ist Spiel - lässt uns den Alltag vergessen - aber Fußball ist auch ein Millionenspiel - und nimmt uns mitten hinein in die Realitäten der 'einen' Welt. Fußball ist eingebettet in soziale und kulturelle Zusammenhänge - ist globaler Handels- und Medienmarkt - aber auch Thema einer Weltgesellschaft - ist Sehnsucht nach authentischen Lebenserfahrungen - nach Einmaligkeit und Größe.

OKR Klaus-Peter Weinhold
Sportpfarrer der EKD