Göttinger Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Predigten zur EKD-Initiative (Überblick) / Webseiten und Informationen zur Initiative

Wie gewinnt man eigentlich Freunde?
Reinhard Schmidt-Rost

Liebe Gemeinde,

das sechste und letzte Plakat der Öffentlichkeitskampagne der EKD zeigt einen Kran, wie man ihn von jeder größeren Baustelle kennt, einen hohen Mast und einen langen Ausleger.

Auf dem blauen Himmel, der auf allen Plakaten dieser Reihe ähnlich zu finden war, steht wieder eine Frage:

Wie gewinnt man eigentlich Freunde?

Mit den richtigen Turnschuhen
mit Intrigen
mit dem Herzen
mit der Kreditkarte.

Lassen Sie uns gemeinsam Antworten finden:
Evangelische Kirche in Deutschland.

Liebe Gemeinde,

gestern klebte hier aber noch ein anderes Plakat
"Wohin wollen Sie eigentlich?" hatte sie gestern gelesen, bisher nie auf die Tafel geachtet
- und im Kreisverkehr fast die Ausfahrt verpaßt,
auf der Heimfahrt von der Arbeit,
die ihr Spaß machte, aber wenig Entwicklungsmöglichkeiten bot;
sie wollte heute noch einmal genau hinschauen,
wer solche Fragen als Werbung aufhängt -
sie hatte die Frage jedenfalls gleich auf ihre Berufspläne bezogen,
aber nun stand auf der Plakatwand: "Wie gewinnen Sie eigentlich Freunde?"
und irgend etwas Kleingedrucktes drunter,
das konnte sie im Vorbeifahren nicht lesen.

Freunde, ja sie hatte ein paar Freundinnen, aber gewonnen hatte sie die nicht.
- Ihre beste Freundin in der Firma war mit ihr in die gleiche Klasse gegangen,
ihre gemeinsamen Interessen hatte sie erst in der Ausbildung entdeckt, Kegeln und Radfahren
- ihre Klassenkameradin, mit der sie so viel zusammengemacht hatte, die lebte jetzt in den USA, verheiratet, drei Kinder, ob die wohl glücklich war?
- Sie selbst hatte einen Freund,
vielleicht das, was man Lebensabschnittpartner nennt,
vielleicht würden sie mal heiraten.
Aber gewonnen hatte sie den auch nicht, weder beim Kegeln noch beim Lotto,
Sie hatten sich gefunden, aber doch nicht gewonnen.

Liebe Gemeinde,
Freunde gewinnt man nicht, Freunde findet man!

Mir gefällt das Plakat nicht, und je länger ich darüber nachdenke, um so mehr ärgert es mich:

Erstens habe ich mir meine Freunde noch nie ausgesucht, sondern sie sind mir begegnet, ich habe sie getroffen, in der Schule, im Studium, bei Tagungen, oder sie waren schon immer in meiner Nähe und ich habe sie erst nach und nach als Freunde erkannt. Manchmal habe ich gleich gewußt: Das ist ein Mensch, mit dem Du gerne ganz oft zusammen sein möchtest, aber auch den habe ich dann nicht bewußt für mich gewonnen, es war eben Zuneigung auf den ersten Blick.

Freundschaft entwickelt sich, wie man in der Bibel nachlesen kann, - wo übrigens ganz selten von Freundschaft die Rede ist, nur die Sache wird in einigen Geschichten beschrieben.
David, der Hirtensohn, und Jonathan, der Königsohn, das prominenteste Freundespaar der Bibel - selbst in ihrer Geschichte wird das Wort Freundschaft nicht erwähnt.
Und Ruth war erst die Schwiegertochter, ehe sie Naomis Freundin wurde, aber auch dort kein Wort von Freundschaft; ganz zu schweigen von Jesus und seinen Jüngern. Die waren erst seine Schüler, ehe sie seine Freunde wurden, - und ob sie sich wirklich alle Jesus freundschaftlich verbunden fühlten? Oder waren doch nur Jesus und Johannes so richtig ein Herz und eine Seele? Jedenfalls stellt sich nur der Evangelist Johannes den Jüngerkreis auch als einen Freundeskreis vor. Der Evangelist Lukas kennt zwar das Wort Freund, aber er gebraucht es für Nachbarinnen, Arbeitskollegen und Altersgenossen (wie in den Gleichnissen vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn nachzulesen ist.)

Mir schmeckt das Plakat aber noch aus einem anderen Grund nicht: Die Antwort ist mir zu klar. Wenn man überhaupt von "gewinnen" reden will, was ich - wie gesagt - falsch finde, dann muß die richtige Antwort natürlich lauten: Man gewinnt Freunde mit dem Herzen, alles andere wäre unangemessen, würde die Freundschaft in den Schmutz ziehen.

Freunde mit der Scheckkarte oder mit Intrigen gewinnen, so viel weiß man doch aus der eigenen Erziehung gerade noch: Das kann gar nicht gemeint sein! Und die Sportsfreundschaft erscheint in dieser Zusammenstellung gegenüber der Herzensfreundschaft auch als minderwertiger. Hier wird bürgerliche Moral gepredigt, und zwar ziemlich unverhüllt: Sucht euch nicht Freunde mit unmoralischen Mitteln, es wären doch nur die falschen Freunde.

Eine solche Moralpredigt ist plump und durchsichtig. Ich will deshalb lieber darüber nachdenken, warum es in einer mobilen Gesellschaft so schwer ist, Freundschaften zu pflegen und zu bewahren - und ich will davon träumen, wie schön eine Freundschaft sein kann.

Damit komme ich zu meinem dritten Anstoß: Eine Freundschaft ist kein Haus, das ich Stein für Stein aufbaue oder in Beton gieße - mit einem großen Kran. Freundschaft ist eher eine Pflanze, die wächst, blüht und gedeiht, - oder eben vertrocknet, wenn sie nicht gegossen wird, oder im Keim erstickt. Sie kann wachsen, wo niemand es vermutet hat, wie ein Baum in einer Felsspalte, sie kann Frucht bringen, schnell oder nach langen Zeiten der Fruchtlosigkeit ... aber eine Freundschaft aufbauen? Das kann ich mir nicht vorstellen, pflegen ja, aber aufbauen nach Plan? Das nicht. Meine Freundschaften sind aus gemeinsamen Interessen entstanden, sind mir im Studium und durch die Musik zugewachsen, haben sich auf Reisen, durch Briefe - und neuerdings durch e-mails - vertieft. Auch durch meine Gemeindearbeit habe ich ein paar sehr gute Freunde gefunden.

Liebe Gemeinde,
die Bibel kommt nur an einer Stelle ausdrücklich und ernsthaft auf die Beziehung unter Freunden zu sprechen. Im Johannes-Evangelium sagt Jesus zu seinen Jüngern beim Abschied:

Es gibt keine größere Liebe, als wenn jemand sein Leben hingibt für seine Freunde. Joh. 15, 13

Das ist zunächst ein Satz über die Liebe; sein Leben einzusetzen für andere ist der größtmögliche Liebesbeweis. Aber es ist auch ein Satz über die Freundschaft: Sie kann so tief verbinden, dass ein Mensch für einen anderen sein Leben hinzugeben bereit ist. Jesus bezeichnet mit diesem Satz seinen Einsatz für seine Jünger und dann für alle Menschen.

Ich würde nun wiederum davon abraten, ein moralisches Vorbild aufzurichten, nach dem Motto: "Mach es wie Jesus!" - setzt Dein Leben ein für Deine Freunde. Dieser Anspruch ist mir viel zu hoch; er stellt jede gute alltägliche Freundschaft in den Schatten.
Gewiß hat dieses Edelbild von Freundschaft nicht nur den Evangelisten Johannes, sondern auch die Tradition der deutschen Klassik auf Ihrer Seite.

Das Loblied der Freundschaft ertönt ja immer dann, wenn sich andere soziale Ordnungen auflösen, wenn die Nachbarschaften und Verwandtschaften weniger Halt bieten als allgemein üblich.

Das war in der Zeitenwende nach Christi Geburt so, wie man es im Johannes-Evangelium spüren kann, das war aber auch in der Aufklärung, in der Blütezeit des mitteleuropäischen Bürgertums um 1800 ähnlich:

Friedrich Schiller hat der idealen Freundschaft, die das Leben für einen Freund hinzugeben bereit ist, in einer berühmten Ballade eine packende Gestalt gegeben, die dem Johannis-Evangelium durchaus vergleichbar ist: "Die Bürgschaft" erzählt, wie der Plan, einen Tyrannen zu ermorden, vereitelt wird; der bedrohte Tyrann aber großmütig dem Attentäter drei Tage Freiheit gewährt, um eine dringende Familienangelegenheit zu regeln, nachdem er einen Freund als Bürgen gestellt hat: "Ich laß Dir den Freund hier als Bürgen, ihn magst du, entrinn' ich erwürgen."

Ich bin so alt, dass ich dieses Gedicht noch in der Schule auswendig lernen mußte, - und deshalb auch das Happy End der Story kenne: Der Attentäter kehrt gerade noch rechtzeitig aus seiner Heimat zurück, wo er die Eheschließung seiner Tochter herbeigeführt hatte, ehe er selbst für den Tyrannen-Mordversuch sühnen und seinen Freund, der für ihn gebürgt hat, wieder auslösen will.

Der Tyrann aber bringt jetzt wider alle Erwartung nicht etwa beide, Attentäter und Bürgen, um, sondern zeigt sich von der Treue der Freunde derartig überrascht und bewegt, dass er die Hinrichtung des Attentäters aussetzt und die beiden Freunde bittet, ihn an ihrer Freundschaft teilhaben zu lassen: "Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte".

Dieses Hohelied auf die Freundschaft könnte man noch musikalisch ausgestalten durch den von Beethoven komponierten Kanon: "Freundschaft ist die Quelle wahrer Glückseligkeit."

Das Hohelied der Freundschaft wird gesungen, seit sich die Lebensformen der Ständegesellschaft mehr und mehr aufgelöst und die familiären Bindungen gelockert haben. Seit der Blütezeit des Bürgertums im 18. Jh. und erst recht in der Romantik wurde "Freundschaft" immer mehr zu einer bevorzugten Lebensform, auch die französische Revolution hat die "fraternité", die brüderliche Freundschaft, zu einem ihrer zentralen Gedanken gewählt.

Liebe Gemeinde,
moderne Menschen werden nun fragen: Hat nicht die brüderlich-bürgerliche Freundschaft die christliche Geschwisterlichkeit abgelöst. Und solche, die noch moderner denken, werden um so kritischer nachlegen: Sind nicht Geschwisterlichkeit in christlichen Gemeinden und Freundschaften in bürgerlichen Vereinen längst aufgelöst durch die Isolierung in einer Gesellschaft von lauter Einzelnen? Das mag so scheinen, und ist vielleicht auch für viele Menschen so.

Die starken Klammern aller Freundschaft aber sind Grundgedanken des christlichen Glaubens: Miteinander teilen und Vergebung.
Interessen binden und Zuneigung hält zusammen, aber auf Dauer hält eine Freundschaft nur, wenn die Beteiligen bereit sind, ihre Erfahrungen, ihren Besitz, ja ihr ganzes Leben miteinander zu teilen und wenn sie nicht nachtragend sind, wenn sie sich gegenseitig vergeben können, was sie aneinander schuldig geblieben sind. Aus der Vergebung aber erwächst die Hoffnung, dass die Freundschaft andauern kann.

Liebe Gemeinde,
ob die Frau im Kreisverkehr noch einmal hochschaut, wenn sie in der nächsten Woche wieder an diesem Plakat vorbeifährt? Von Vergebung und Hoffnung wird sie da nichts lesen, auch nicht im Kleingedruckten. Schade.

Ich hätte auf das Plakat lieber den Satz geschrieben, der bei Gottesdiensten zur Hochzeit dem Brautpaar vorgelesen wird, obwohl er für die Christen in einer der frühen Gemeinde zur Befestigung ihrer Freundschaft geschrieben war, weniger anspruchsvoll als bei Johannes, Schiller oder Beethoven, aber schwer genug:

"So zieht nun an als die von Gott Auserwählten (also als Gemeinde von Christen) herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Ertragt euch und vergebt einander, wenn einer Klage hat gegen den andern. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die das ist das Band der Vollkommenheit."

Das ist eine gute Gesprächsgrundlage mit meinen Freundinnen und Freunden über unsere Freundschaft.

Amen.


Vielleicht kann in einem Gottesdienst das folgende Gebet gesprochen werden; das Büchlein, dem es entnommen ist, enthält weitere Anregungen zum Thema Freundschaft.


Gebet:
"Herr, wir wollen dir danken, dass es wahr ist: Du bist gekommen, und du hast uns erwählt. Wir wären darauf gar nicht gekommen. Aber du hast uns erwählt, und du willst aus uns etwas machen und willst uns erfüllen mit deinem ewigen Ja in Ewigkeit.

Herr, du bist gekommen und hast uns dein Leben gelassen, damit auch wir fähig werden, von unserer Freude anderen abzugeben auf vielfache Weise: durch Nachdenken, durch Schulung, durch Übungen, aber auch durch Lachen.

Herr, so laß uns mit großer Freude zu deinem heiligen Mahl gehen und verschenke dich uns von Neuem. Es gibt keine größere Liebe, als dass du dich uns verschenkst. Und wo immer wir dann wieder mit Menschen zusammenkommen, dass wir ihnen ein bißchen davon abgeben, auf vielfache Weise. Gelobt sei dein Name. Amen."

(aus: K. Vollmer, Von Gott zum Freund erwählt, in: J. Cornelius-Bundschuh, R. Hempelmann, K. Schulz, K. Vollmer, Gott als Freund? - Wesel 2000, S. 102f.)

Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost, Bonn
Professor für Praktische Theologie und Universitätsprediger
an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
E-Mail: r.schmidt-rost@uni-bonn.de