Göttinger Predigten im Internet | hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Wie gewinnt man eigentlich Freunde?
Christiane Fröhlich

Liebe Gemeinde,

wie gewinnt man eigentlich Freunde?
4 mögliche Antworten stehen auf dem Plakat der EKD:
- Mit den richtigen Turnschuhen - mit Intrigen - Mit dem Herzen - Mit der Kreditkarte.
In den beiden Gruppen, in denen ich diese Frage und die vorgeschlagenen Antworten einbrachte, waren wir uns schnell einig:
Wir gewinnen unsere FreundInnen natürlich mit dem Herzen.

Auch über die anderen Antwortmöglichkeiten, die das Plakat anbietet, haben wir gesprochen. Sie weisen darauf hin, dass es Zwänge gibt, denen wir uns manchmal nur schwer entziehen können.
Mobbing am Arbeitsplatz erzeugt zwischen den Intriganten eine Nähe, Jugendliche stehen unter dem Druck, bestimmte Kleidermarken zu tragen, um anerkannt zu werden, es ist schwer, Freundschaften zu pflegen, wenn die anderen mehr Geld haben und kostspielige Ausflüge unternehmen oder bei einer Essenseinladung ein aufwändiges und teures Menü erwarten, andernfalls bleibt die Gegeneinladung aus.
Um all dies wissen wir. Und bemühen uns von Herzen, Freundschaften anders zu pflegen.
Haben Sie in Gedanken Ihr Kreuzchen auf das Plakat gesetzt?
Sind wir uns einig? Dann kann die Predigt jetzt ja eigentlich zuende sein.

Aber für ein Amen ist es noch zu früh.
Ich habe in der Bibel gesucht nach Texten zum Thema Freundschaft. Wie geht Jesus eigentlich mit seinen Freunden um? Und da lässt sich einiges Nachdenkenswertes und Provozierendes entdecken.

Lassen Sie mich Ihnen vier Szenen vorstellen: wie gewinnt Jesus eigentlich Freunde?

Die erste Szene haben Sie bei der Lesung bereits gehört [Lk 5, 1-11]. Sie spielt am Ufer des See Genezareth. Jesus ist noch alleine unterwegs. Er bittet einen fremden Fischer um einen Gefallen: leih mir dein Boot. Simon, der Angesprochene, tut dies bereitwillig.
Dann stellt Jesus noch eine Forderung, die dem Fischer unsinnig erscheinen muss: wirf die Netze aus! Am helllichten Tag, und das, wo sie die ganze Nacht eh nichts gefangen hatten!
Aber Simon und die anderen Fischer tun es. Sie scheinen diesem Jesus zu vertrauen. Zu verlieren haben sie ja nichts.
Und dann ist ihr Netz auf wunderbare Weise voller Fische. So viele sind es, dass sie Kollegen bitten müssen, ihnen zu helfen.

Moment - ist das nicht der Trick mit der Kreditkarte? Kauft Jesus seine Freunde mit der Aussicht auf ein üppiges Abendessen und einige sorgenfreie Wochen für die Familien der Fischer?
Dann müsste die Geschichte aber auch anders weitergehen, dann müssten die Fischer nach Hause laufen, ein Festmahl geben, neue Netze kaufen, Schulden bezahlen, vorsorgen und sich absichern. Aber sie lassen alles stehn und liegen und gehen mit Jesus mit.
Jesus gibt ihnen mit dem wunderbaren Fischzug den Blick frei auf die Fülle, die Gott zu verschenken hat, auf die Fülle des Lebens, auf die Fülle der Liebe. Und Jesu neue Freunde müssen, um diese Fülle zu erfahren, nichts dafür leisten. Sie fangen nicht, weil sie besonders fleißig oder besonders klug gewesen sind, sondern die übervollen Netze sind ein Zeichen göttlicher Macht, ein Zeichen, wie Gott wirkt. Sie, die sich Tag für Tag abplagen müssen, um das Überleben des Dorfes zu sichern, erfahren: es ist Leben die Fülle. Es gibt Hoffnung, es gibt Liebe, die trägt. Und diese Erfahrung verändert ihr Leben, sie öffnen sich der Freundschaft mit Jesus.

Wie gewinnt man eigentlich Freunde?
Vertraue ich auf diese Fülle, aus der sich auch die Liebe speisen darf, die ich weiterschenke? Oder bin ich knausrig, berechne ich: soviel gebe ich und dann muss ich mindestens wieder soviel dafür bekommen? Jetz hab ich schon dreimal angerufen, und die andere hat sich immer noch nicht gemeldet? Von diesem habe ich ein gebundenes Buch geschenkt bekommen, mindestens 20 Euro, da kann ich doch nicht mit einer selbstgekochten Marmelade ankommen!

Und dann ist da noch ein anderer Aspekt der Geschichte, der mir wie eine Gräte im Hals stecken bleibt: die Tatsache , dass diese Fischer einfach alles stehn und liegen lassen und mit Jesus ziehen. Tausend Argumente fallen mir ein, warum das eigentlich gar nicht geht und überhaupt nicht auf mich übertragbar ist. Ich trage doch Verantwortung!
Aber hier werde ich auf die Frage gestoßen:
Bin ich wirklich bereit, mir für eine Freundschaft auch Zeit zu nehmen? Gebe ich meinem Telefon oder dem Handy die Macht, jederzeit ein Gespräch zu unterbrechen? Läuft der Fernseher und ich verfolge aus einem Augenwinkel den spannenden Krimi, während ich mit meiner Freundin telefoniere? Gebe ich, wenn ich meine Woche plane, einem Nachmittag mit FreundInnen die gleiche Wichtigkeit wie einem beruflichen Termin? Oder ist das nur ein nettes Beiwerk?
Alle beklagen, wie kalt und beziehungslos unsere Gesellschaft geworden ist. Es ist für unsere Gemeinschaft überlebensnotwendig, dass wir uns Zeit nehmen für Gespräche, fürs zuhören und zusammen sein mit Freunden, es ist wichtig , dass wir den Kindern das vorleben.
Eine Freundschaft braucht viel Zeit. Zeit, in der Menschen miteinander vertraut werden können, sich öffnen und die/ den anderen verstehen lernen.

Szenenwechsel. [Mt 9]
Jesus begegnet einem Menschen, der ist so ziemlich das Allerletzte: ein Zöllner, also einer, der sich bei den Mächtigen anbiedert, der Leuten Geld abknüpft und betrügt. Mit dem möchte niemand was zu tun haben. Da sind sich alle einig. Am besten wär's man würde ihn aus dem Dorf rausschmeißen.
Ein klarer Fall von Mobbing.

Im Text steht: Jesus sah einen Menschen am Zoll sitzen.
Nicht: er sah einen Zöllner, sondern: er sieht den Menschen.
Jesus sieht ihn, er verleiht ihm Ansehen, begegnet ihm als einen Menschen, der es wert ist, geachtet und beachtet zu werden. Und Jesus ruft ihn mit seinem Namen: "Matthäus" sagt er, für Jesus ist es ist nicht einfach "der Typ da vom Zoll".
Gesehen werden, wahr genommen mit all seinen Nöten und Hoffnungen, das reicht für Matthäus, um sich einer neuen Freundschaft zu öffnen, die sein Leben verändert. Jesus ruft: folge mir! Und Matthäus steht auf und folgt ihm. Er muss gespürt haben: hier darf ich Mensch sein. Hier schenkt einer Liebe und Achtung, in Gegenwart dieses Menschen Jesus brauch ich nicht mich selbst und andere zu betrügen.

Die dritte Szene. [Mk 14]
Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, Im Dorf Bethanien macht er Rast im Haus eines Freundes. Jesus weiß um die schwere Zeit des Leidens, die vor ihm liegt. Ob er Angst gehabt hat?
Da kommt eine Frau zu ihm. Sie nimmt ein Fläschchen mit äußerst kostbarem Öl und salbt Jesus damit. Reibt ihm Stirn und Nacken damit ein, vielleicht noch die Hände. Eine zärtliche Geste. Ein paar Männer empören sich, sie halten das für Verschwendung. Jesus bedankt sich bei der Frau für die Zärtlichkeit, für den Trost, der in dieser Geste steckte. Sie hat gespürt, was der Freund brauchte. Sie hat es einfach getan, egal, was die anderen sagen würden. Sie hat ihm Kraft gegeben.
Freundschaft braucht Nähe, auch körperliche Nähe. Freundschaft braucht liebevolle Gesten, nicht nur Worte.
Männer haben es da schwerer als Frauen, denn ihnen wird Zärtlichkeit oft früh abgewöhnt. Schon gar die Zärtlichkeit, die sie für einen anderen Mann empfinden.
Doch solche Gesten sind es, die mich ermutigen, offen zu sein. Ich spüre: dieser Mensch geht behutsam mit mir um; Wenn ich mich öffne, muss ich nicht Angst haben, dass er mich verletzt. Und dann haben in dieser Freundschaft auch meine Ängste und Unsicherheiten Raum. Ich kann darüber sprechen. Weiß: hier werde ich dafür nicht ausgelacht. Hier bin ich geborgen. Freundschaft braucht Zärtlichkeit.

Und eine letzte Szene. [Lk 24]
Zwei Freunde von Jesus gehen fort von Jerusalem. Dort mussten sie mit ansehen, wie Jesus Gewalt angetan wurde und er elendiglich starb. Ihre Hoffnung ist zerbrochen, ihr Blick von einem Schleier der Trostlosigkeit verhüllt. Dass Jesus von den Toten auferstanden ist, das haben sie noch nicht erfahren.
Da kommt der Auferstandene und begleitet sie. Sie erkennen ihn nicht. Aber sie laden ihn ein in ihr Haus. Dort essen sie miteinander und Jesus teilt das Brot. IN dieser Geste des Teilens erkennen sie den Freund wieder, ihre Augen öffnen sich, ihre Herzen werden mit Hoffnung erfüllt. So, dass sie weiterleben können. IN dem Moment ist Jesus verschwunden. Die beiden Freunde jedoch werden getragen von dieser Begegnung und machen sich voller Freude auf den Weg, die gute Nachricht zu verkünden und die erfahrene Liebe weiter zu schenken.
Jesus hat Freunde gefunden. Ihnen viel gegeben, viel mit ihnen geteilt. Und dann war die Zeit des Abschied Nehmens gekommen. Ein Abschied, der das, was gewesen war, nicht wertlos macht.
Auch das Loslassen gehört zu einer Freundschaft dazu. Und das ist oft das Schwerste.
Freundschaft braucht Verbindlichkeit, darf aber nicht zur Fessel werden. Einander Halt geben, ohne sich einzuengen. Einander Raum geben, aber sich nicht die Luft zum Atmen nehmen. Und manchmal gehen Wege auseinander. Dann müssen wir lernen, das Gewesene als einen Schatz zu bewahren. Sich daran zu freuen, was war, statt zu lamentieren, was nicht mehr ist. Die Liebe, die man einander geschenkt hat, bleibt.
Und vielleicht gelingt es uns ja gerade angesichts der Vergänglichkeit, jeden Augenblick einer Freundschaft bewusst und dankbar zu leben.
Wie gewinnt man eigentlich Freunde?

Die Bibel zeigt uns einem Reichtum an Antworten:
Wenn wir aus der Fülle lieben und nicht berechnend sind,
ungeteilte Zeit uns nehmen für die Andere,
einen Menschen mit dem Herzen sehen und nicht durch eine Brille aus Vorurteilen,
wenn wir zärtlich sind und uns öffnen,
und das Loslassen lernen.

Möge es uns gelingen zu lieben, Freundschaft zu leben.
Wir haben die Zusage, dass all unser Lieben aus der einen unerschöpflichen Quelle gespeist wird:
Aus Gottes bedingungsloser Liebe zu uns.
Amen.

Christiane Fröhlich, Eberbach
E-Mail: christiane.froehlich@onlinehome.de