Predigtreihe und Reflexionen zum Dekalog,
April 2002 |
Liebe Gemeinde, sie klingen wie eins, das neunte und das zehnte Gebot - und sie gehören sachlich zusammen, und was für das eine zu sagen ist, gilt auch für das andere. "Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Vieh oder alles, was sein ist." Luther hatte - auf der Spur des Kirchenvaters Augustinus - die beiden Gebote auseinandergenommen, um wieder auf die Zahl zehn zu kommen. Denn das Bilderverbot, das eigentlich zweite Gebot, hatte man ersatzlos gestrichen, weil nach der Überzeugung der alten Christenheit mit Christus das wahre Bild Gottes auf Erden erschienen war; dadurch galt das alte Bilderverbot als überholt. Liebe Gemeinde, Verbote schrecken ab, der Blick auf den Zaun ist weniger erfreulich. Also beginnen wir mit der Weide - und lassen den Zaun erst einmal für sich stehen. Beim zehnten Gebot ist dieses Verfahren besonders ertragreich, denn es handelt vom Alltag. Das normale Leben ist die Weide, die das zehnte Gebot einzäunt. Der Blick auf die eigene Weide aber entdeckt dort möglicherweise
viel Gutes: Die Kraft deines Körpers, dein Verstand, dein Gedächtnis, dein
Mut, ... Oder deine Weisheit, deine Fröhlichkeit, deine Einfühlsamkeit, dein Humor, sind das nicht befreiende Gaben? Oder deine Zurückhaltung, deine stille Geduld, deine Ausdauer, deine Selbstbeherrschung? Sie sind ein großes Gut, - und nur auf deiner Weide zu finden. Viel grünes Gras hat die Weide innerhalb der Zäune. Und doch
scheint manchem das Kraut außerhalb viel verlockender. ... Was aber ist am Neid letztlich schädlich? Der Griff über den Zaun, etwas anderes zum eigenen noch zu hinzuzunehmen, macht die Menschen immer einförmiger ... und damit langweiliger und unglücklicher, Gott aber würde es seine Einzigkeit zu nehmen versuchen, der doch allein alles in allem ist. Woher kommt dieser Neid? Er ist zunächst und vor allem eine Folge der Freiheit des Menschen, ohne Freiheit brauchte es keine Gebote; wenn alles geregelt ist, sind Regeln überflüssig. Sodann aber ist festzustellen: Der Neid hat eine ganz einfache Grundlage: Jeder Mensch vergleicht, muß vergleichen. Daran führt kein Weg vorbei. Um sich in der Welt zu orientieren, sind Vergleiche notwendig. Ohne Feststellung von Unterschieden keine Orientierung: Heiß und Kalt, schnell und langsam, eben und abschüssig zu vergleichen, kann gelegentlich lebenswichtig sein. Und erst recht die Unterscheidung von GUT und BÖSE ist unverzichtbar, - wie immer gerade dieser letzte Unterschied in einer Gesellschaft festgelegt wird. Davon wird gleich noch zu reden sein. Aber zunächst noch zum Grundsätzlichen: Nicht von ungefähr sind hochdifferenzierte Kulturen auf einem System von Vergleichen aufgebaut, nämlich auf Wissenschaft. Denn Wissenschaft ist nichts anderes als systematisches Feststellen von Unterschieden. Ob die Chemie die Unterschiede von Elementen wahrnimmt, die Medizin Unterschiede in der Funktionsfähigkeit von Organen feststellt und sie als gesund oder krank qualifiziert, ob Philosophie oder Psychologie Unterschiede in der Art und Weise des Erkennens definieren, stets geht es um Vergleiche. Mit dem alltäglichen Vergleichen von Natur-Ereignissen ergeben sich natürlich auch Vergleiche zu anderen Menschen. Mit dem Kräftemessen hat es vermutlich angefangen; wer durchsetzungsfähiger ist, wer stärker ist als ein Konkurrent, sei es an Körperkraft oder auch an sexueller Potenz, an Schönheit oder an Besitz. Aber wie alle wichtigen Elemente des Lebens so hat auch das Unterscheiden, das man zur Orientierung ganz selbstverständlich einsetzt, ein Doppelgesicht, ist ambivalent. Die Vergleiche sind nicht an sich schon schwierig; aber sie tragen ganz natürlich den Stachel jeder Konkurrenz in sich, nämlich die Angst vor der Niederlage. Neid ist eine Sicht der Dinge, die aus dem Vergleich entspringen kann, aber nicht muß; es ist die Erkenntnis, schlechter zu sein, weniger zu haben als andere, und die Unfähigkeit oder fehlende Bereitschaft, diese Einsicht zu ertragen. Neid ist also fast unvermeidlich, er ist jedenfalls kein böser Trieb, sondern er fließt aus einer Quelle, die für den Menschen lebenswichtig ist, aus dem Willen sich zu orientieren. Und trotzdem ist Neid ein Gift. Es vergiftet den Menschen, der ihn empfindet, macht ihn klein; man sieht scheel, wird verkniffen - oder wie der Volksmund sagt: Grün oder Gelb vor Neid. Neid kann böse machen, davon erzählen die Märchen, etwa von Schneewittchens Stiefmutter, die ihre Stieftochter um ihre jugendliche Schönheit beneidete. Dieser Wirkung des Neides wirkt das zehnte Gebot entgegen: Laß Dich nicht kleinmachen von Deinem Herzen, versuche großherzig zu sein. Liebe Gemeinde, Liebe Gemeinde, Zwar ist es weiterhin nicht besonders akzeptiert, wenn einer seinen
Neid allzu öffentlich zeigt, tatsächlich aber lebt unser Wirtschaftssystem
von einer Art Neid, - und schürt ihn: Der Vergleich, was andere besitzen
und was ich selbst besitze, ist nicht nur salonfähig geworden, er
gehört für viele Menschen zum alltäglichen Leben dazu.
Die Werbung ist der Wirtschaftszweig, der mir täglich vorhält,
was ich noch nicht besitze, was aber schön wäre, wenn ich es
hätte, und was andere vielleicht schon haben. Ist der Neid also zu einem positiven, oder wenigstens zu einem nützlichen Gefühl geworden? Schön ist er weiterhin nicht, aber - wie es scheint - nützlicher, so wie unsere Gesellschaft sich entwickelt hat: Der Blick auf die Weide des Nachbarn, ist fast zur täglichen Pflichtübung geworden. Seine zerstörerische Kraft hat der Neid allerdings nicht verloren. Neid entzweit; aber genau das will Werbung wie Interessenpolitik: Die Unterschiede hervorheben - um sie dann einzuebnen. Es soll natürlich alles sozial verträglich bleiben; die Gesellschaft soll darüber nicht zerfallen, aber Neid ist ein wichtiges Instrument des Marktes. Skeptiker sehen darin ein Spiel mit dem Feuer, wie das Wirtschaftssystem des Marktes weltweit betrachtet Neid erzeugt. Auch wenn man sich darüber kein Urteil erlaubt, weil man kein Fachmann der Wirtschaft ist, schwierig ist in jedem Fall gerade diese Undurchschaubarkeit der Zusammenhänge. Vielleicht ist das 10. Gebot in seiner alten Fassung noch zu sehr auf die unmittelbare Nachbarschaft ausgerichtet, als das es das weltweite Zusammenleben noch regeln könnte. Aber dann müßte es modernisiert werden. Jesus Christus hat in der Bergpredigt die alten Gebote einer Modernisierung
unterzogen: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist, .... Ich
aber sage euch. hat sie verschärft, wie oft gesagt wird, tatsächlich
aber hat er die Gebote der Väter modernisiert: Welche Modernisierung könnte in unserer Zeit der Privatisierung der Gebote diese so erneuern, dass sie in unserer "Begehrensgesellschaft" als zeitgemäß empfunden werden? Es entspricht sicher dem Geist der Bibel, die über die Schönheit der Welt und über die Kraft des Menschen staunt, wenn auch wir uns auf unsere Weide besinnen: Schau auf die Fülle Deiner Gaben - übersieh nicht, was Du hast,
mit Leib und Leben, Kopf und Herz. Die Hoffnung Jesu für die Menschen aber geht noch weiter: Das Gebot, der Zaun, der ein Instrument gegen den Neid war, kann zur Leitplanke der Liebe werden, der Blick über den Zaun zur lebensnotwendigen Verbindung der unterschiedlichen Lebensbedingungen auf einer für den einzelnen unüberschaubaren und doch so kleingewordenen Welt. Amen.
Noch einige zusätzliche Überlegungen zum 10. Gebot: "Während Ethik und Moral sich mit der Frage menschlichen Handelns beschäftigen, macht Religion deutlich, dass der Mensch sein Handeln nur dann verantworten kann, wenn er sich seiner Grenzen bewußt ist. Die Grenzen ergeben sich aus einer den einzelnen Akteur transzendierenden Wirklichkeit." (Wolfgang Huber, Kirche in der Zeitenwende, 10) Aus Nigeria wird berichtet, eine Frau sei zum Tode verurteilt worden, weil sie von einem verheirateten Mann ein Kind bekommen habe, nachdem er sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen hatte. Hierzulande wird aus dem Begehren des nächsten Weibes ein bunter Strauß von Geschichten produziert und wohlfeil verkauft. Oft ist es auch ein Begehren des Mannes meiner Nächsten, aber das spielt dann auch keine große Rolle mehr. Auch der Neid auf die Reichen wird in solchen Zeitschriften und auch sonst öffentlich eifrig gepflegt. Zwischen solchen extremen Positionen steht das 10. Gebot, nur - welchem Pol steht es näher? Klingt es dem archaisch anmutenden Brauch der Scharia nicht sehr verwandt, denn die Frau wird im Wortlaut dieses Gebotes wie eine Sache behandelt; das Haus ist wichtiger als die Frau! Oder rechnet es mit der Vielfalt des Begehrens, die auf dem Markt der modernen Gesellschaft längst salonfähig geworden ist? Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, über die Bräuche anderer Kulturen zu richten, ob zu anderen Zeiten oder in der Gegenwart. Prof. Dr. Reinhard Schmidt-Rost, Bonn |
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