Predigtreihe zum Dekalog, April 2002 |
Predigt über das sechste Gebot (lutherische Tradition): Das Folgende ist eine "Schulpredigt" für evangelische Schülerinnen und Schüler eines Wiener Oberstufengymnasiums. Altersstufe 15-18 Jahre. Ein Satz im morgendlichen Radio hat mich aufhorchen lassen. Eine Frauenstimme spricht: "Hallo ich bin's. Du ... äh ... wir können ja Freunde bleiben." Ich horche unwillkürlich hin und will wissen, worum es geht. Es ist eine Stimme auf einem Anrufbeantworter, eine Frau die sagt: "... wir können ja Freunde bleiben." Es soll aber in dieser Predigt auch von einem anderen Satz die Rede sein: "Du sollst nicht ehebrechen." So lautet das sechste Gebot. Gott gibt dem Volk Israel zehn Gebote. Verhaltensregeln, wie sie leben sollen. Eines davon, das sechste lautet: Du sollst nicht ehebrechen. Vielleicht ist eure erste Reaktion ähnlich wie die mancher Schüler im Religionsunterricht: gelangweilt. Der Satz ist für sie nicht halb so spannend wie jener andere aus dem Radio und doch haben diese Sätze miteinander zu tun. Zurück zum Radio. Ich höre also genauer hin. Der vollständige Werbespot geht folgendermaßen. Ein Sprecher fragt: Woran denken Sie, wenn sie am Abend nach Haus kommen und den Anrufbeantworter einschalten? Man hört, wie der Anrufbeantworter eingeschaltet wird und eine Frauenstimme vom Band redet: "Hallo ich bin's. Du ... äh ... wir können ja Freunde bleiben." Der Sprecher setzt fort und gibt eine Antwort auf seine Frage: "Denken Sie an eine bestimmte Versicherungsgesellschaft. Denn sie ist ein wirklich verlässlicher Partner. Gerade wenn Sie noch große Pläne haben." Jetzt wird es klar: Hier wirbt eine Versicherungsgesellschaft. Sie will
deutlich machen, was sie zu bieten hat, und dies ist in erster Linie:
Verlässlichkeit, Treue. Wenn es darauf ankommt, kann man sich auf
sie verlassen. Aber was sagt die Frau am Anrufbeantworter? - Wen ruft
die Frau am Telefon an? Warum? Was will sie ihrem Gegenüber sagen? Ob ihr solche Geschichten kennt? Vermutlich ja, ich höre ja hin
und wieder in den Klassen davon: Wer mit wem jetzt neu zusammen ist. Wer
mit wem Probleme hat, weil sie zusammen sind, und wer Probleme hat, weil
sie sich wieder getrennt haben. Wenn ich aber jetzt noch mal hinhöre, dann höre ich auch alle
möglichen Zwischentöne, was gemeint sein könnte. Vielleicht
meint die Frauenstimme Folgendes und kann es nur nicht so gut ausdrücken: Ich habe Jugendliche gefragt: Was sie vom sechsten Gebot - Du sollst
nicht ehebrechen - halten. Die erste Reaktion war meist: Das trifft uns
nicht! Wir sind ja noch nicht verheiratet. Jemand meinte sehr schlau,
dann bräuchte man dieses Gebot auch nicht zu lernen. Wie ist das mit Beziehungen? Meist sind Beziehungen in der Schule ja von kurzer Dauer. Man verliebt sich - man ist zusammen oder geht miteinander - man trennt sich. Ist dieses Gebot für diese Situationen wichtig? Ich will mit euch überlegen, was es für alle drei Fälle - verliebt sein, miteinander gehen und Schluss machen - bedeutet: Wenn man verliebt ist, sagt man: Ich liebe dich? Ich hab' dich gern,
ich mag dich. Es werden SMS ausgetauscht, manchmal kleine Zettelchen und
Briefchen. Man hofft natürlich, dass der andere genauso empfindet,
dass er oder sie die Liebe erwidert. Manche sagen auch: Ich liebe dich
auf immer und ewig. Hier verspricht man sich doch etwas? Ob man das halten
kann? Oder ist es nicht so ernst gemeint? Als Nächstes - wenn man sich gefunden hat - geht es darum, diese Liebe und Beziehung zu leben. Du sollst nicht betrügen, ehrlich und treu sein: Was kann das heißen? Wenn zwei sich gefunden haben, kommt meist sehr schnell die Erfahrung,
dass so eine Beziehung nicht von selbst läuft. Es braucht Gemeinsames.
Gemeinsames Auftreten, gemeinsamer Besuch von Veranstaltungen, ins Kino
gehen, miteinander Reden, Musik hören ... das alles ist nicht so
leicht, vor allem muss ein Weg gefunden werden zwischen dem "Gemeinsamen"
und dem, was man selbst und allein macht. Da braucht es Vertrauen, dass
der andere auch vor seinen Freunden, wenn ich nicht dabei bin, zu mir
steht, und da braucht es Vertrauen, dass ich dem anderen auch diesen Freiraum
zugestehe. Die Jugendzeitschriften sind ja voll von solchen Fragen und
Problemen. Wie kann man das Interesse und die Zuneigung des anderen spüren?
Was kann und soll ich tun? Was ist erlaubt? Was darf ich vom anderen erwarten?
Was muss ich dem anderen gewähren? Und schließlich, wenn eine Beziehung zu Ende geht, wenn vielleicht
der Satz fällt, den ich im Radio gehört habe: Wir können
ja Freunde bleiben: soll man lieber sein Versprechen halten oder dem anderen
die Wahrheit sagen, wie es um einen steht? Wann betrügt man ihn oder
sie mehr? Wenn ich mit den Schülern rede, spüre ich, sie wissen um die
Geltung dieses Gebotes: Du sollst nicht ehebrechen oder - wie wir es formuliert
haben - du sollst nicht betrügen, in intimen Beziehungen ehrlich
und treu sein. Sie würden manches anders formulieren, aber grundsätzlich
soll es auch in diesem Bereich des intimen Zusammenlebens gute Regeln
geben. Oft ist es nicht ganz leicht abzuwägen, was wichtiger ist:
ehrlich zu sein oder treu. Oder zu entscheiden, ob man sich überhaupt
trauen soll, eine Beziehung einzugehen. Da gibt es viele Fragen. Prof. Dr. Robert Schelander, Wien
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