Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

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Predigtreihe zum Dekalog, Februar 2002
Das zweite Gebot (Exodus 20,7) - Walter Meyer-Roscher

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes,
nicht unnütz gebrauchen;
denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen,
der seinen Namen missbraucht.


"Einer nimmt uns das Denken ab
Es genügt
seine Schriften zu lesen
und manchmal dabei zu nicken.

Einer nimmt uns das Fühlen ab
Seine Gedichte
erhalten Preise
und werden häufig zitiert.

Einer nimmt uns
die großen Entscheidungen ab
über Krieg und Frieden
wir wählen ihn immer wieder.

Wir müssen nur
auf ihre Namen schwören
Das ganze Leben
nehmen sie uns dann ab."

Liebe Gemeinde,

für Erich Fried sind es Menschen, denen wir absolute Macht über unser Denken und Fühlen, über unsere Entscheidungen und unsere Taten einräumen. Wir müssen nur auf ihre Namen schwören, dann denken, fühlen und handeln sie für uns. Wir brauchen uns in ihre Ideologien und ihre Ordnungen nur einzufügen. Wir brauchen uns ihren politischen und sozialen Entscheidungen nur anzupassen. Wir brauchen nur noch zu funktionieren.

Viele wollen das, sie wollen, dass ihnen alle wichtigen Lebensentscheidungen möglichst abgenommen werden. Sie wollen auch im Alltag sich auf vorgegebene Ordnungen und vorgefertigte Meinungen verlassen. Sie wollen vorformulierte Urteile. Deshalb sind sie bereit, auf Namen zu schwören und sich ihr Leben von denen, die "einen Namen haben", abnehmen zu lassen.

Noch einfacher wäre es ja, nur auf einen Namen schwören zu müssen - einen Namen, hinter dem ein allmächtiger Wille sichtbar wird; einen Namen, der die Weltgeschichte und die Geschicke der Menschen bewegt, einen Namen, der für das Wissen um Gut und Böse steht.

Wer auf diesen Namen schwört, braucht sich um sein Leben keine Gedanken mehr zu machen. Er ist dem täglichen Kampf um sachgemäße Entscheidungen und richtiges Handeln entronnen. Er weiß seinen eigenen Willen von einer höheren Macht wahrgenommen und in einer höheren Ordnung aufgehoben. Am Ende wartet eine Belohnung von Ewigkeitswert.

Dabei könnten wir uns ja auf die Bibel berufen. Sie redet schließlich vom Vertrauen auf Gott, dessen Namen wir meinen. Sie redet vom Gehorsam gegenüber seinem Willen und von der Hoffnung auf die Erfüllung seiner Verheißungen. Aber meint sie auch, dass alle, die auf den Namen dieses Gottes schwören, sich um ihr Leben, um eigenes Denken und einen eigenen Willen keine Gedanken mehr machen müssen, dass Gott uns alle Lebensentscheidungen abnimmt? Will er das überhaupt? Wo bleibt dann die Freiheit, zu der wir berufen sind, wie die Bibel ebenfalls ganz eindeutig feststellt? Wo bleibt die Verantwortung, die nach dem Zeugnis der Bibel der Schöpfer den Menschen mit dem Schöpfungsauftrag übergeben hat?

Die Freiheit, sich zwischen Gut und Böse entscheiden zu können, und die Verantwortung, sich entscheiden zu müssen, gehört für die Bibel zum Menschsein hinzu. Gott selbst hat mit seinen Geboten einen Rahmen für den Gebrauch der Freiheit und die Wahrnehmung der Verantwortung abgesteckt. Wer jedoch auf den Namen Gottes schwört, um ihm die alleinige Verantwortung für das eigene Leben und für unsere Welt zuzuschieben oder auch die eigenen Vorstellungen und Ziele an seinen Geboten vorbei in seinem Namen zu rechtfertigen, macht es sich zu einfach. "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen", lautet eines der Gebote Gottes. Martin Luther hat es als das 2. Gebot in seinen "Kleinen Katechismus" aufgenommen. Er spricht von einem "unnützen" Gebrauch des Gottesnamens. Gemeint ist ein Gebrauch dieses Namens, um - bewusst oder unbewusst - Unheil gegen andere zu stiften. Gottes Name darf nicht in eine Sphäre des Unheils und des Bösen hineingezogen werden - weder durch Missachtung der Wahrheit, noch aus betrügerischer Absicht oder um eigene Zwecke und Ziele unter Berufung auf Gottes Absichten und Gottes Recht durchzusetzen.

Auf den Namen Gottes schwören und Unheil gegen andere stiften - der Ausdruck "Gotteskrieger" legt diesen Zusammenhang nahe. Nicht zu Unrecht ist er deshalb kürzlich zum "Unwort" des Jahres 2001 erklärt worden. Es gehe hier um "Verbrecher, die den Namen Gottes für sich in Anspruch nehmen", hat die Jury zur Begründung ausgeführt. Sie hat ebenfalls den Ausdruck "Kreuzzug" als Umschreibung für die militärische Vergeltung der Terroranschläge solcher "Gotteskrieger" gegeißelt.

Mit dem "Unwort" sollen Begriffe gerügt werden, welche nach dem Urteil der Jury "die Erfordernisse sachlicher Angemessenheit und humanen Miteinanders besonders deutlich verfehlen". Das 2. Gebot rügt nicht nur, sondern warnt gleichzeitig: Auf den Namen Gottes schwören und Unheil gegen andere stiften, bleibt nicht ungestraft, weil es zu immer neuem Unheil wird und einen Sog entwickelt, der Leben beeinträchtigt, oft sogar zerstört - das der Opfer und das der Täter. Wer meint, Leiden und Tod unschuldiger Menschen zur Erreichung eines gerechtfertigten Ziels im Namen Gottes in Kauf nehmen zu können, missbraucht diesen Namen, denn Gott will durch alle seine Gebote Leben schützen und ein menschenwürdiges, gerechtes und friedliches Miteinanderleben ermöglichen. Das ist auch die Zielrichtung des Gebots, seinen Namen nicht zum Unheil zu gebrauchen.

Aber können wir Gott überhaupt bei einem Namen nennen? Hat er einen Namen, der sein Wesen oder sein Handeln kennzeichnet? In einer Art Präambel zu den 10 Geboten, wie sie im 2. Buch Mose (Kapitel 20) überliefert werden, antwortet Gott selbst auf solche Fragen, indem er den Blick seines Volkes auf dessen Anfang zurücklenkt: "Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus der Knechtschaft geführt habe." Gottes Name ist mit der Geschichte seines Volkes von damals bis heute verbunden. Gottes Name hat mit der Befreiung aus allen Formen von Versklavung, in die Menschen durch eigene Schuld oder durch Gewalt, Machtmissbrauch und Egoismus anderer geraten, zu tun.

Auch kritiklose Unterwerfung und blinde Anpassung an die, die uns das Leben abnehmen wollen, führt in Unfreiheit und selbstverschuldete Knechtschaft. Aus solcher Versklavung will Gott befreien, und er will, dass wir diese Freiheit nutzen, aber nun eben nicht, um auf seinen Namen zu schwören mit dem Wunsch und Willen, uns von ihm unser Leben abnehmen zu lassen oder die eigenen Ziele mit göttlicher Autorität zu verbrämen Die Freiheit, zu der Gott befreit, bedeutet die Herausforderung, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und unsere Lebensentscheidungen bewusst für das Gute und gegen das Böse, gegen alles Unheil, das Leben bedroht und zerstört, zu treffen.

Die Freiheit, auf die Gottes Name hinweist, bedeutet die Übernahme von Verantwortung für das Leben, gerade auch für alles schwache und bedrohte Leben, für Gerechtigkeit und für ein mitmenschliches, menschenwürdiges Zusammenleben, für Versöhnung, gegen blindwütigen Hass und zerstörerische Rache. Dabei dürfen wir uns auf Gott berufen.

In Gottes Namen die Befreiung aus aller Versklavung bejahen und nutzen, gleichzeitig die Verantwortung für den Schutz des Lebens in dem durch seine Gebote gesteckten Rahmen wahrnehmen - das ist eine Lebensaufgabe, die uns niemand abnimmt. An der Person, am Leben und am Handeln Jesu wird für uns diese Herausforderung in unüberbietbarer Weise deutlich.

Da verbindet sich der Name Gottes mit dem Namen eines Menschen, der in Gottes Auftrag seine Gebote zu einem "Doppelgebot der Liebe" zusammengefasst hat: Du sollst Gott lieben... und deinen Nächsten wie dich selbst". Aus einzelnen Akten von Gebotserfüllung und Gehorsam wird eine Lebenshaltung der Gottes- und Nächstenliebe. Jesus hat sie bis zur Hingabe des eigenen Lebens bewährt und er hat dabei bis zum letzten Augenblick weder an Gewalt noch an Vergeltung im Namen Gottes gedacht.

Für ihn hat Gottes Name gerade in der Tiefe von Ohnmacht, Einsamkeit und Angst einen neuen Klang bekommen. Der aus Versklavung befreit, ist für ihn zum Vater geworden. Seitdem können auch wir sagen "Unser Vater im Himmel". Wenn wir uns auf diesen Namen berufen, können wir darauf vertrauen, dass er unser Leben in menschenfreundlicher Zuwendung begleitet. Das macht Mut, sich auf die lebenslange Herausforderung einzulassen, geschenkte Freiheit zu nutzen und aufgetragene Verantwortung wahrzunehmen. Wir halten uns dabei an den, der uns gelehrt hat, "unser Vater" zu sagen. In seinem Geist unsere Lebensentscheidungen zu treffen, wird zu einer Lebenshaltung, die Gottes Namen, wie wir es im Vaterunser erbitten, ehrt und heiligt. Das meint Martin Luther, wenn er in der Erklärung zum 2. Gebot sagt: "wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir ... ihn in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken".

Amen

Walter Meyer-Roscher
Landessuperintendent i.R., Hildesheim
E-Mail: meyro-hi@t-online.de


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