Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

17. Sonntag nach Trinitatis, 22. September 2002
Predigt über Epheser 4, 1-6, verfaßt von Jobst von Stuckrad-Barre
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1 So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, daß ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid,
2 in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe
3 und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:
4 ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung eurer Berufung;
5 ein Herr, ein Glaube, eine Taufe;
6 ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Wer die Wahl hat, hat die Qual...

Wer Einigkeit will und Grund dafür hat, der wird zuerst einmal die unterschiedlichen Menschen mit ihren verschiedenen Einstellungen und Positionen sehen.

1) Nehmen wir den Kindergarten (weil heute Frau F. als neue Leiterin der Kindertagesstätte eingeführt wird) - er gibt ein Bild unseres Zusammenlebens in Familien, die den bunten Mustern unserer Zeit gehorchen; allein erziehende oder gemeinsam Kinder und Karriere mit einander ausgleichende Mütter und Väter; ein großer Kreis von Mitarbeiterinnen, die ihre Fachkenntnisse und das Interesse an einer christlichen Lebensgestaltung im Rahmen des evangelischen Kindergartens einbringen wollen und sollen. Woher in alldem die Einigkeit nehmen, wenn nicht im Hinsehen auf die Kinder im Geist der Demut, also geduldig und liebevoll. Hinsehen, ausgleichen, aufmerksam sein für die Unterschiede und aufmerksam machen für die gemeinsamen Möglichkeiten, mit friedlichen Mitteln zu neuen Lösungen zu kommen. Wenn christlich und evangelisch heißt offen und öffnend, kann der Kindergarten ein wichtiges Element in einer Gesellschaft sein, die das Behaupten von Positionen und Macht, Geld und Gier an oberste Stelle setzt.

Ein Leib und ein Geist, berufen zu einer Hoffnung.

2) Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden (*eine Gruppe der Konfirmanden ist für diesen Gottesdienst zum ersten Mal zur Teilnahme am Abendmahl eingeladen worden*) stellt die gleiche Vielfalt dar und bringt sie selbst deutlicher zum Ausdruck als die kleinen Kinder. Deutlicher: Dynamischer und welthaltiger, eben schon näher am erwachsenen Ausdruck unseres Lebens. Dafür sind die Wunden, die ihr euch selbst und andern zufügen könnt, auch stärker - Eltern wie Jugendliche sind Zeugnis. Wie soll sich da Einigkeit im Geist des Friedens zeigen; überfordern wir uns da nicht?

Wir täten es, wenn wir da allein auf uns gestellt wären. Das Abendmahl, das wir heute feiern und an dem Ihr Jugendlichen zum ersten Mal teilnehmt, macht uns bewußt: Die Einheit, der Leib, ist begündet in dem, der sein Leben für uns hingegeben hat, der uns damit den Geist der Freiheit schenkt, loszukommen von Unfrieden, Egoismus und Haß und Frieden zu empfangen und weiterzugeben. Wo so gefeiert wird, können wir Hoffnung schöpfen. Da ist ein Ausgangspunkt für all die weiteren Schritte ins Leben - dahin, wo wir gebraucht werden oder andere brauchen, Hilfe aus dem Geist, der Hoffnung macht.

3) Die Erwachsenen sehen, wie die ganze Vielfalt des Lebens in Spiel und Widerspiel, Druck und Gegendruck zustandekommt. Der Wahlkampf hat gezeigt, wie bestimmte Themen hochgespielt oder in den Hintergrund gedrängt werden. In Zeiten der Globalisierung von Wirtschaft und Lebensstil können solche Erfahrungen zu einem produktiven "Oh ja!" oder zu einem resignativen Rückzug aus der Gestaltungsaufgabe führen. Denken Sie nur an die große Konferenz in Johannesburg zur nachhaltigen Entwicklung und die schier unlösbaren Aufgaben des Ausgleichs zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Politik und Menschlichkeit oder die nicht weniger schwierigen Fragen einer Friedenlösung im Nahen Osten.

Das ist es gut, daß wir heute an unseren Ausgangspunkt erinnert werden: Im Glauben bezeugen wir, daß nicht wir die Herren der Welt sind, sondern daß wir auf den getauft sind, der in Kreuz und Auferstehung sich als Herr des Lebens gezeigt hat. Der Tod und all seine Macht sind in die Schranken verwiesen. All unser Wollen und Tun, es sind Schritte auf dem Weg ins Leben, für den Bedrohten und und Mißachteten, gegen den Terror und die Gewalt, ob sie nun von kleinen Gruppen oder Staaten ausgehen.

Christen, die als Getaufte erwachsen werden, sind dem Frieden verpflichtet im einzelnen und aufs Ganze gesehen. Entlastung und Maßstab zugleich.

Weil es der 22. 9. ist - Christen beteiligen sich darum an der heutigen Wahl und setzen ihr Kreuzchen im Interesse an einer gewaltmindernden demokratischen Lösung.

4) Aus alldem ergibt sich: Gottes Eintreten für diese Welt stellt sich dar in uns, in unserm Tun und Lassen, im Umgang mit uns selbst, mit unsern Nächsten und mit denen, die uns fremd sind und doch anvertraut; wir stehen ihnen gegenüber und können doch nur mit ihnen zusammen die Welt bewahren helfen und so aus der Haltung des Evangeliums leben.

Gott als Vater aller, über allen, durch alle, in allen.

Da steckt mehr Stoff für Entdeckungen darin, als den feierlichen Formeln des Epheserbriefs auf den ersten Blick anzumerken ist:

Wie, wenn wir nicht einfach uns, unsere Menschen und Verhältnisse als sich selbst überlassen sehen müssen?

Wie, wenn Gott sich im Nächsten wie auch im Feind als der erweist, der das Leben will und nicht den Tod?

Wie, wenn die uns anvertrauten Dinge, die Ressourcen, also die Möglichkeiten der Schöpfung, nicht bloßes auszubeutendes Material, sondern Kräfte zum Guten der Welt und ihrer Menschen sind?

Wenn Gott durch uns alle und mit allen Menschen wirkt, dann haben wir Grund genug, auf Frieden auszusein und uns mit dem herkömmlichen Lagerdenken nicht zu begnügen.

5) Da wird eine Einheit der so verschiedenen Menschen sichtbar, die zu tun gibt und zugleich gelassen macht: Alles Erdenkliche und Menschenmögliche zu tun und dies gerade darum, weil nicht der Augenblicksvorteil, sondern die langfristige Hoffnung uns trägt. Das ist eine Verständigung unter Gottes Kindern, die miteinander in dieser Welt leben; die den andern nicht nur als Konkurrenten, sondern als Gottes Menschen ansehen.

Dann verwirklicht sich diese Einheit in der Verschiedenheit der Dienste und Befreiungen unter einander, zwischen Gruppen und Koalitionen.

Wie bleiben nicht für uns. Gott ist für uns da, wo immer Leben in Frieden geschieht, wo immer Christen voller Liebe ihm auf der Spur sind. Darum haben wir zu wählen.

Amen

Jobst v. Stuckrad-Barre
Kleiner Hillen 1
30559 Hannover-Kirchrode
e-mail: Jobst.vonStuckrad-Barre@evlka.de


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