Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Jahrestag des Terroranschlags auf das WTC in New York, 11. September 2002
Predigt verfaßt von Karin Klement
(-> zu den aktuellen Predigten / www.online-predigten.de)

An-denken und An-gedachtes in Form einer Ansprache

AN-DENKEN zum 11. September 2002

Am Mittwochabend ist Kirchenvorstandssitzung. Wie üblich beginnen wir mit einer 5-Minuten-Andacht zu einem aktuellen, bzw. noch immer "brennend-heißen" Thema.

"Nine-eleven" und das bevorstehende Gedenken am Ground Zero liegen auf der Hand. Hinein mischt sich die Sorge um einen möglichen militärischen Einsatz der USA gegen den Irak. Die Kriegsvorbereitungen laufen seit Monaten. Einen Alleingang unabhängig von Natoverbündeten und UNO-Charta, die jeden Einsatz von Gewalt außer zur Selbstverteidigung verbietet, scheinen die USA nicht zu scheuen. In seiner Juni-Rede vor der Militärakademie in West Point behielt Präsident Bush sich vor, über die bisher gewohnte Abschreckungsstrategie mit Atomwaffen hinaus zu gehen. Im Kampf gegen den Terrorismus wäre er bereit einen atomaren Präventivschlag in Erwägung ziehen.

Eine Kriegserklärung? - aber gegen welchen offiziellen Feind? Gegen den grausamen Diktator eines fremden Landes, dessen innen- und außenpolitische Aktionen zugegebenermaßen nicht unseren westlich-demokratischen und schon gar nicht christlichen Maßstäben gerecht werden? Gegen Länder wie Irak, Iran und Nordkorea als sogenannte "Achse des Bösen" - aber mit welcher legitimen, rechtsstaatlichen Begründung?
KRIEG contra TERROR - lässt sich das überhaupt verbinden? Kann und darf ein Staat den Terror einzelner - selbst wenn es der Diktator eines Landes oder "nur" ein religiöser Anführer ist - mit Krieg gegen ein ganzes Land bekämpfen?

Die religiös-verbrämten, fanatischen Gewaltaktionen am 11.9.2001 in zuvor nicht vorstellbaren Dimensionen - ausgeführt von einer quasi privat operierenden Gruppe/Organisation - sprengten den bisherigen Erfahrungshorizont unserer Gesellschaft. Fraglich ist, ob staatlich-militärische Re-Aktionen darauf angemessen sind, oder nicht eher eine Art Welt-Polizei mit internationalem Gewaltmonopol (wie sie z.B. von Erhard Eppler gefordert wird) für solche privatisierte Gewalt zuständig sein müsste.

Die politischen Fragen werden immer komplexer; Antworten einer christlichen Gesellschaftsethik immer schwieriger.
Was also können wir als Christen und Christinnen zu Gewalt und Terror, Krieg und Frieden sagen? Welche biblischen Texte können uns weiterhelfen? Ich greife einen Vorschlag von Professor i.R. Ulrich Nembach auf: Psalm 46
Worauf setzen wir unsere Zuversicht und Stärke, wenn Mensch und Schöpfung verrückt spielen, und unsere scheinbar gesicherten Mauern unter Beschuss stehen?

AN-GEDACHTES in Form einer ANSPRACHE
Nach dem Verlesen von PSALM 46, 1 - 12

Für die Ereignisse des 11. September 2001 gibt es kein biblisches Beispiel. Sie bleiben einmalig grauenvoll, erschreckend unmenschlich und sinnlos; sie erschütterten nicht einfach nur Menschen, sondern ganze Nationen. Bis heute nehmen sie weltweit Einfluss auf persönliche und gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Prozesse. Sie leiten eine neue Ära ein - und ähneln in ihren zuvor nicht vorstellbaren Dimensionen vielleicht den Erfahrungen des Holocaust.

Doch es gibt Analogien, die sind zumindest ein Stück weit in allen Generationen und weltweiten Regionen zu finden.
Für unzählige Menschen war es ein Erleben, als ob die Welt unterginge. Die Feste ihrer gesicherten Existenz stürzte mit den beiden Türmen des World Trade Centers in sich zusammen. Der symbolische Berg und Gipfel kapitalistischer Erfolgsmacht, der Inbegriff von Größe, Autorität und Überlegenheit der derzeit einzigen Supermacht der Erde versank im Meer von Betonstaub, Schutt und Asche. Der wütende Aufruhr einer lange nicht ernst genommenen Frustration in Ländern der Dritten Welt wallte ungestüm gegen die harten, unnachgiebigen Felsen einer selbstsicheren ersten Welt. Wie sollte da die "Stadt Gottes", das Zentrum moderner Selbstvergötterung und Selbstsucht, fein lustig bleiben, ungerührt trotz der angerichteten Zerstörung, des tausendfachen Mordes in religiösem Irrglauben?

Doch inmitten jener grauenvollen Schrecken beweisen Menschen, wie viel Mitmenschlichkeit in ihren Herzen wohnt, welche wundervollen, von Gott angelegten Eigenschaften - entgegen allem Pessimismus und Egoismus - in ihnen stecken: Heldenmut und Opferbereitschaft, Gemeinschaftssinn und fraglose gegenseitige Hilfe. Die Bereitschaft zu lebensrettenden Einsätzen sogar auf Kosten des eigenen Lebens wird zum trotzigen Symbol des Widerstandes gegen die Mächte des Todes. Firefighter in New York, Passagiere der 4. gekaperten Maschine (United Airlines 93) über Pennsylvania bekräftigen mit ihrem selbstlosen Handeln, dass es inmitten dieser Katastrophe noch etwas anderes gibt als das Empfinden einer verzweifelten Ohnmacht.

Eine Welle weltweiter Hilfsbereitschaft, Entsetzen über die Tat, Mitleid und Solidarität erreichte in den ersten Tagen und Wochen die USA und schien alle zwischenstaatlichen Streitigkeiten vergessen zu machen. Kooperation und Zusammenhalt aller westlich orientierten Länder im Kampf gegen den Terrorismus schien in greifbare Nähe zu rücken. Der altböse Feind hatte ein Gesicht, einen Namen - was sollte man sich da Gedanken über die eigene Verantwortung und mit-ursächliche Schuld machen??

Der helfende, beistehende GOTT in Psalm 46 tröstet die Ängstlichen und Verzweifelten; er stärkt ihren Überlebenswillen. Nur darum steht er an ihrer Seite und ist ihr Schutz. Aber nicht als Feind der anderen! Den hemmungslosen Zorn und die Kriegslust der Menschen lenkt er in geregelte Bahnen. Die von Menschen Hand für den Krieg bereiteten Waffen zeigen, was sie wirklich sind: Vernichtungsmittel, die bei ihrem Gebrauch selbst zerbrochen, zerschlagen, verbrannt werden. Ihr Sinn und ihre Aufgabe ist nichts anderes als die Zerstörung ihrer selbst unter "Mitnahme" all dessen, was (und wer!) sie umgibt.

"Gebt endlich Ruhe mit eurem Kriegsgeschrei", klagt Gott, "und an-erkennt, wer ich bin! Gott Zebaoth, Gott der Heere und Gewalten, der Höchste, der die Macht in seinen Händen hält, der über allem steht und (- wie wir Christen von Christus glauben -) zugleich an und mit euch leidet. "

Die beste aller Waffen, die sicherste aller schützenden Burgen, wenn die Welt voller Teufel erscheint, ist nicht das, was wir selbst errichten oder produzieren. Unsere militärischen Möglichkeiten bauen nichts auf, sie dienen immer nur der Zerstörung. Unsere Zuversicht und Stärke wächst aus dem, worauf wir uns wirklich felsenfest verlassen können, aus der Basis unseres Glaubens:

GOTT
ist UNSERE ZUVERSICHT und STÄRKE,
eine HILFE
IN DEN GROSSEN NÖTEN,
die uns getroffen haben.

Amen

Pastorin Karin Klement
Lange Straße 42
37077 Göttingen
email: karin.klement@evlka.de


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