Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

12. Sonntag nach Trinitatis, 18. August 2002
Predigt über 1. Korinther 3, 9-15, verfaßt von Walter Meyer-Roscher
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Der Apostel schreibt:" Wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird's klar machen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch."

Liebe Gemeinde,

Wenn seine Boten
den Zögernden zu essen geben,
den Zaghaften reinen Wein einschenken,
beim Namen nennen,
was Kummer macht.

Wenn seine Boten
den Schweigenden ein Stichwort geben,
den Hoffnungslosen
Schritte zeigen auf festem Grund

Du da!
In Schuhen gehend
auf dünner Erdenhaut:
Mit deinem Munde gibst du Hoffnung weiter;
mit deiner Stimme weckst du neuen Mut,
mit deinen Taten weist du Christi Weg.

"Wir stehen auf dünner Erdenhaut", hat Arnim Juhre seine Sammlung von Gedichten und Psalmnachdichtungen genannt. Mich hat schon dieser Titel fasziniert, und ich habe versucht, seine Aussage und meine Gedanken zusammenzubringen: Wir stehen auf dünner Erdenhaut - über dem Abgrund, auf schwankendem Boden und doch getragen. Du da, jeder von uns - wir gehen weiter auf dünner Erdenhaut und wir haben etwas zu sagen, was anderen neben uns Hoffnung geben, Mut machen und den Weg weisen kann. Da sind so viele, die auf schwankendem Boden nicht mehr weiterzugehen wagen; die unsicher geworden sind und ängstlich, vielleicht schon resigniert und hoffnungslos zu Boden blicken, aber nicht mehr nach vorn und nicht mehr nach oben sehen.

Ja, da warten neben uns Menschen auf eine Botschaft der Hoffnung und auf Wegweisung, die sie aus Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, aus Angst und Resignation, aus Trauer und Hoffnungslosigkeit befreien könnten. Da sind so viele, die sich in unserer von Hass, Gewalt und Tod bedrohten Welt nicht mehr zurechtfinden; die sich von einer schuldbehafteten Vergangenheit nicht lösen können. Da sind die Zögernden und Zaghaften, die nicht wissen, wie es mit ihrem Leben und mit der Welt weitergehen soll; die es nicht wagen, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen, weil sie die Orientierung verloren habe. Da sind die vielen Menschen, die nichts mehr zu sagen wissen, denen Leid und Kummer den Mund verschlossen haben, die sprachlos geworden sind und des Nachts wach liegen - gefangen in ihren Ängsten und niedergedrückt von ihrer Hoffnungslosigkeit.

Wer sagt ihnen das Wort der Hoffnung weiter? Seine Boten, die selbst erfahren haben, dass diese Hoffnung trägt auf dünner Erdenhaut und dass ein Weg offen steht, der auf einen weiten Horizont zu führt.

Wir sind seine Boten. Wir sind Gottes Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die auf dünner Erdenhaut einen tragfähigen Grund gefunden haben, auf dem sie ihr Leben aufbauen können und der einen gangbaren Weg nach vorn eröffnet. So spricht der Apostel Paulus uns an und erinnert uns an die Lebensgrundlage, auf der es sich aufzubauen lohnt.

Aber da bieten sich so viele Grundlagen für unser Leben an. Sie alle versprechen Tragfähigkeit, aber sie konkurrieren auch miteinander: Familie, materielle Sicherheit und ein gewisser Wohlstand, Ausbildung und lebenslanges Lernen, berufliches Fortkommen und Selbstbehauptung im Konkurrenzkampf oder auch einfach nur Unterhaltung und Spaßhaben. Können sie Lebensgrundlage sein oder sind sie vielleicht doch bloß einzelne Brocken, die sich nicht zusammenfügen lassen und deshalb auch nicht tragen können? Eine Lebensgrundlage muss doch umfassender sein, wenn sie ein Leben lang tragfähig sein soll.

Paulus weist auf ein Fundament für seine Glaubensüberzeugung hin. Auf ihm hat er seine Lebensarbeit aufgebaut: Das, was Christus gebracht, gelebt und bewirkt hat. Auf andere Menschen ist er zugegangen, als brauchte man sich nicht vor ihnen zu rechtfertigen oder gar zu fürchten, als brauchte man sich nicht gegen sie durchzusetzen, als genügte es, menschlich miteinander umzugehen, mit Verständnis und mit Hilfsbereitschaft zu reagieren. Die Menschen aber, denen er sich so zugewandt hat, sind in seiner Nähe frei von einer belasteten Vergangenheit und frei von der Angst vor der Zukunft geworden. In der Offenheit und Menschenfreundlichkeit Christi haben sie eine neue Grundlage für ihr Leben gesehen und Gottes Wertschätzung ihres Lebens gespürt. Ein neuer Geist der Verständigungsbereitschaft, der Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit hat ihr Denken und Handeln bestimmt. Sie wussten plötzlich, wozu sie lebten und wofür es sich zu leben lohnt: Auf Gottes Nähe zu vertrauen und für andere da zu sein, sie in die eigenen Lebensvorstellungen und Wünsche einzubeziehen, mit ihnen fürsorglich und menschenwürdig zusammen zu leben.

Natürlich bleibt das immer eine Herausforderung. Natürlich bleibt das Leben auf dünner Erdenhaut eine Aufgabe. Jeder sehe zu, wie er auf diesem Fundament, das mit Christus gelegt ist, sein Leben aufbaut, sagt Paulus. Manches wird gelingen und unser Leben reich machen. Anderes wird misslingen - in den Augen der Mitmenschen, vielleicht auch in unserem eigenen Urteil. Entscheidend aber ist das Urteil Gottes.

Paulus gebraucht ein für seine Zeit übliches und einprägsames Bild: Das wirklich Wertvolle - dafür setzt er die Begriffe "Gold, Silber, Edelstein" - wird am Ende durchs Feuer geläutert. Holz, Heu und Stroh verbrennen. Aber das soll uns keine Angst machen. Der Mensch ist vor Gott mehr als die Summe des von ihm Geleisteten. Von der Lebensarbeit mag manches verloren gehen, der Mensch als Kind Gottes aber nicht. Niemand wird von Gott als wertlos abgetan, weil Christus für alle da war, weil dieses Fundament sich zu jeder Zeit und für alle als tragfähig erweist - mag die Erdenhaut auch noch so dünn werden.

Entscheidend aber ist, dass sich in einer Gesellschaft, in der so viele mögliche Lebensgrundlagen miteinander konkurrieren, immer noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes finden, seine Boten, die auf das eine tragfähige Fundament hinweisen. Wir alle sind angesprochen: Du da, in Schuhen gehend auf dünner Erdenhaut. Mit deinem Munde gibt du Hoffnung weiter, mit deiner Stimme weckst du neuen Mut. Mit deinen Taten weist du Christi Weg.

Seine Boten - sie alle bauen gemeinsam an einem großen Bau mit, dem Bau seiner Gemeinde, seiner Kirche. Sie will Heimat für alle sein, die sich mit dem eigenen Leben abmühen, vor den konkurrierenden Angeboten manchmal die Orientierung zu verlieren drohen und bisweilen vor der Größe der Lebensaufgabe resignieren möchten.

Hängt das alles von uns und von unserem Einsatz ab? Die Aufgaben sind vielfältig, und niemand muss für alles verantwortlich sein. Da kann man schon für sich selbst und für die eigene Mitarbeit an Gottes großem Bau der Kirche Prioritäten setzen. Da dürfen die einen durchaus neue Aufgabenfelder aus Überzeugung bejahen, während andere sich kritisch zurückhalten und lieber mithelfen, Bewährtes weiter zu bewahren. Entscheidend bleibt die gemeinsame Konzentration auf das Fundament, das schon gelegt ist. Letzten Endes hat sich alles Engagement an dem zu messen, was Christus gebracht, gelebt und gewirkt hat. Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, Christus.
Amen

Walter Meyer-Roscher
Landessuperintendent i.R.
Adelogstr. 1
31141 Hildesheim
E-Mail: meyro-hi@t-online.de


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