Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

11. Sonntag nach Trinitatis, 11. August 2002
Predigt-Entwurf über 2. Samuel 12, 1-10.13-15a, verfaßt von Karsten Matthis
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Liebe Gemeinde,

eine Skandalgeschichte steht in 2. Samuel 12, die sich vor gut 1.000 Jahren im Königshaus zu Jerusalem ereignet hat. Wenn sich diese Story in unserer Zeit ereignete, begeistert hätte die Boulevardpresse diese Affäre aufgegriffen. Wochenlang würden die Blätter der Regenbogenpresse die Leser über alle Details des Skandals informieren. Niemand könnte sich dieser marktschreierischen Berichterstattung entziehen. Unsere Blicke fielen immer wieder auf die roten Balkenüberschriften der Boulevardpresse, wie "König schickt Nebenbuhler in den Tod".

In der Familie, im Büro und im Sportverein wäre der Ehebruch Davids ein großes Thema. Da würden der erzwungene Rücktritt des Telekom-Chefs Ron Sommer, die Miles & More-Affäre einiger Bundestagsabgeordneten oder die Trennung des "Fußballkaisers" Franz Beckenbauer von seiner Frau als harmlose Geschichtchen verblassen. Ehebruch und Mord am Hauptmann Uria, das wäre doch ein Stoff von der Qualität der Barschel-Affäre oder könnte sich mit den tragischen Ereignissen um Lady Diana im Königshaus der Windsors messen.

Es ist schon peinlich, wie sehr ein großer Teil des Journalismus von diesen tatsächlichen oder vermeintlichen Skandalgeschichten lebt. Aber zu dieser Berichterstattung gehören immer zwei: Hand auf's Herz! Wir nehmen diese Storys auf und reden über sie. Wäre es nicht an der Zeit, wenn wir sagten: Stopp! Schluss damit. Wir möchten diese Skandalgeschichten nicht mehr mit allen Details über Fußballstars, Tennisspieler und Schlagerstars hören. Wir sind es müde, die ständig neuen Enthüllungen in den europäischen Königshäusern zu erfahren. Wir sind es auch Leid, immer nur wieder Tratsch und Klatsch in gewissen Teilen der Presse zu lesen. Es gibt einfach Wichtigeres, Dinge die uns tatsächlich angehen. Probleme in Staat und Gesellschaft, die dringend angepackt werden müssen. Unrecht muss benannt und tatsächliche Straftaten aufgedeckt werden. Dies wäre Aufgabe für einen kritischen und informativen Journalismus, der verantwortlich schreibt und publiziert.

Überaus kritisch und offen ging es am Hofe Davids zu. Ganz offensichtlich ließen sich die Vergehen Davids nicht verschweigen. Obwohl sich König David intensiv bemüht hatte, seinen Ehebruch zu vertuschen, war die Geschichte ans Tageslicht gekommen. Der treue Hauptmann Uria, loyal bis in den Tod, wurde von David an der Front geopfert, um einen lästigen Zeugen beiseite zu schaffen. Ruchbar wurde der Skandal, als Batseba ein Kind erwartete und Uria nicht der leibliche Vater gewesen sein konnte.

Stets war David listig und politisch umsichtig gewesen, hatte sich Stufe um Stufe nach oben gekämpft. Wie ein packender Roman liest sich die Aufstiegsgeschichte des Hirtenjungen David. Einst verstoßen vom Hofe Sauls, kämpfte er mit einer Handvoll Männer mal auf der einen und mal auf der anderen Seite der orientalischen Mächte. So konnte er sich geschickt dem Untergang Sauls entziehen und mit einigen Söldner, eine Macht in Israel werden. Durch großes diplomatisches Geschick brachte David es fertig, die bis dahin verfeindeten Stämme aus Nord und Süd zu einen. Vielmehr noch - die Stämme Israels waren bereit, ihn zum König zu wählen und zu salben.

Dem jungen König gelang ein kluger Schachzug nach dem anderen. Mit der Eroberung Jerusalems und der Errichtung der Hauptstadt legte David die Grundlage für ein Großreich. Israel war nun nicht mehr Spielball politischer Mächte, sondern wurde selbst zum Machtfaktor im Orient. Mit diesem sagenhaften Aufstieg und Entfaltung seiner Herrschaft hatte David sich einen festen Platz in der sich gerade entwickelnden Geschichtsschreibung gesichert.

Aber auf dem Höhepunkt seiner Macht begeht David einen schwerwiegenden Fehltritt. Zerstört die Ehe eines Dritten und schreckt nicht zurück, den loyalen Staatsdiener Uria zu opfern. Nicht nur am Hofe wurde Davids Ehebruch und Mord bekannt. Da tritt ein wortgewaltiger Mann mit großer Zivilcourage, der Prophet Nathan, auf. Er war nicht nur mutig, sondern ausgesprochen klug. Er wusste darum, dass der mächtige König die Weisheit liebte und erzählte ihm eine Parabel vom armen Mann, dem sein Lamm geraubt wurde.

Nathan riss David, dem scheinheiligen Gönner von Musik und Kultur, von Wissenschaft und Religion, die Maske vom Gesicht: "Du bist der Mann. Du hast den armen Mann beraubt. Du selbst, David, bist der Räuber und Mörder". Mit dieser Bloßstellung Davids, der sich zuvor selbst der Tat bezichtigte, hatte Nathan nach gängigen orientalischen Maßstäben sein eigenes Todesurteil gesprochen. An anderen orientalischen Königshöfen wäre dieser Oppositionelle liquidiert worden. Widerspruch oder gar Widerstand wurden nicht geduldet.

Doch nach den Worten Nathans, die Davids Schuld schonungslos aufdeckten, zeigte sich David überraschend schuldbewusst und bewies menschliche Größe. Er unternahm keinen Versuch der Verteidigung. David ging offen mit seiner Schuld um. Nicht nur aus Angst kehrte er um und bekannte sich zu seiner Schuld. Auf die Bloßstellung des Propheten reagierte er nicht mit den üblichen Methoden. Nein, er kehrte um und versuchte zu retten, was zu retten ist. Er nahm Batseba zu sich und bekannte sich zu ihr.

David hatte erkannt, dass es sein größtes Unrecht war, sich so verhalten zu haben, als gebe es Gott überhaupt nicht. Er hatte geglaubt, die Gebote Gottes seien für ihn nicht in Kraft. So sind die Worte des 51. Psalm Worte, die David hätte sprechen können: "An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan" (Psalm 51, 6). Er bat Gott um Verzeihung, weil er wusste, dass Gott seinen Lebensweg begleitet hatte und ihn auf den Thron gebracht hatte.

Die Affäre wurde zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Das mit Batseba gezeugte Kind starb kurz nach der Geburt. Ein dunkler Schatten lag nun auf seiner Herrschaft.. An seinen Händen klebte Blut, und erst sein Salomo durfte den Tempel in Jerusalem bauen. Wirren um seine Nachfolge brachen aus. Nord- und Südreich strebten auseinander.

Dennoch: David wird von seinen Nachfolgern und von Generationen nach ihm, von Juden und Christen, hoch geehrt. Für Juden ist er einer der großen Stammväter Israels, für Christen ein Vorfahre Jesu Christi. Alle späteren Könige Israels müssen sich an David messen. Nur noch der fromme König Josia kann es mit ihm aufnehmen. Mittelalterliche Herrscher des Abendlandes berufen sich auf David und stellten sich in seine Tradition.

David hatte durch sein Schuldeingeständnis seine Herrschaft gerettet und einen Rest Glaubwürdigkeit behalten. Durch den Spruch Nathans hatte Gott ihm die Chance zur Buße und Umkehr gegeben. Der Gott Israels hatte in die Lebensgeschichte des Davids eingegriffen und ließ Unrecht nicht Unrecht sein. Durch das Wort des Propheten schärfte er das Gewissen des Volkes und rief den Menschen David zur Umkehr von seinen Irrwegen und Abwegen auf.

Gott hob das Todesurteil, welches David selbst über sich gesprochen hat, auf. Der Gott Israels löschte eine böse Geschichte aus, die sich in Davids Leben ereignet hatte und bot ihm die Chance zum Neuanfang. Das ist das Wunder des göttlichen Verzeihens. Sein Verzeihen tilgt auch die größte menschliche Schuld. Seine Vergebung und Barmherzigkeit gilt auch uns, durch die wir leben. Und so dürfen wir beten mit einem Micha Wort: "Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen" (7, 19).

Amen


Literatur:

Gottfried Vogt: Die lebendigen Steine, Homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe VI, 11. Sonntag nach Trinitatis, 2. Aufl. Berlin 1989, S. 331-337.

Stefan Heym: Der König David Bericht, Neuauflage 1998, btb/Goldmann Verlag

Karsten Matthis, Dipl. Theol.
Hochheimer Weg 11a
53343 Wachtberg
karsten.matthis@t-online.de

 


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