Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

8. Sonntag nach Trinitatis, 21. Juli 2002
Predigt über Römer 6,19-23, verfaßt von Ulrich Nembach

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Liebe Gemeinde!

I: Eine gute, eine sehr gute Nachricht lasen wir neulich in unseren Zeitungen, sahen wir im Fernsehen. Ja, das gibt es auch: ein gute Nachricht. Wir haben uns an Katastrophen, Flugzeugabstürze, Terroranschläge in aller Welt gewöhnt. Und nun eine gute Nachricht, eine echt gute Nachricht. Sie ist sogar besser als die, endlich eine gute Note in einer Klassenarbeit geschrieben zu haben.

Vielleicht fragen Sie sich, welche Nachricht ich meine? Sie können sich gar nicht erinnern. Ich meine jene aus Südafrika, aus Durban. Afrikaner haben sich dort getroffen und beschlossen: Afrika soll ein Land der Gerechtigkeit werden - wie Europa.

Ich weiß, ich weiß, dass nicht alles in Ordnung ist bei uns in Europa. Ich weiß, dass Soldaten auf dem Balkan verhindern müssen, dass Menschen sich umbringen. Aber wie ist es in Afrika? Regierungschefs häufen privat Millionen auf Millionen und bringen sie in die Schweiz, während Menschen verhungern. Andere schaffen gar Milliarden in die Schweiz. In anderen Ländern Afrikas schlagen sich Menschen gegenseitig tot zu Hunderten, zu Tausenden. Haben Sie schon die toten Tutsis und Huttus vergessen? Andere führen Bürgerkriege seit Jahrzehnten. Nun soll alles, wirklich alles anders werden in Afrika. Dafür wurde ein Vertrag geschlossen, eine Organisation eingerichtet, ein Präsident gewählt.

Nun höre ich die kritische Gegenfrage: Meinen Sie wirklich, dass das funktionieren kann, in Afrika?! Darauf antworte ich mit einer ebenfalls kritischen Frage: Kann nicht nur ein Wunder Israelis und Araber zum Frieden bringen? Früher gab es in Israel den Spruch: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.

II: Ich habe noch eine kritische Gegenfrage: es ist unser Predigttext. Ja, unser Predigttext. Paulus spricht in seinem Brief die Römer als Getaufte an. Was er in seiner etwas komplizierten Theologensprache sagt, heißt kurz zusammengefasst: -Ja, Theologen sprechen wie andere Wissenschaftler oft in einer für den großen Rest der Menschheit unverständlichen Sprache. Darum gehört es schon zur Routine in Krimis und Fernsehspiel, dass Verwandte und Freunde Ärzte fragen, was das heiße, was sie ihnen gerade gesagt haben. Wenn wir Paulus fragen, würde er vielleicht kurz so antworten: - In der Taufe hat uns Gott zur Gerechtigkeit befreit, sie uns geschenkt.

Und dann schreibt Paulus noch etwas. Was er schreibt, ist mir sehr sympathisch, und auch Ihnen wird es sympathisch sein. Paulus spricht von unserer Schwachheit. Wir Menschen sind schwach, weil wir seit Jahrhunderten, Jahrtausenden von Gott getrennt leben. Wir hören bei schlechten Nachrichten genauer hin als bei guten. Ja, man könnte fast meinen, wir sähen lieber Bilder des Grauens als solche von guten Nachrichten.

Nun hilft es nicht, dass ich unser gebrochenes Verhältnis zum Guten nenne, vielleicht auch noch beschreibe. Es hilft ebenso nicht, wenn Sie nun einen guten Vorsatz fassen, gleich heute Abend bei der Tagesschau auf gute Nachrichten zu achten. Das alles - meine Beschreibung und Ihr guter Vorsatz - wären gut gemeint, aber - einmal ehrlich gefragt: Wäre der gute Vorsatz nicht morgen, spätestens übermorgen vergessen?

III: Was nun? Gewinnt am Ende doch die schlechte Nachricht? Nein!! 1989 fand eien Wende statt. Wo die Mauer stand, stehen heute die modernen Gebäude des Potsdamer Platzes mit ihren Cafes und schicken Restaurants. Das Brandenburger Tor ist offen. Schon vorher waren Stalin und Hitler mit ihren Gulags und Kzs verschwunden. Gott ist und bleibt der Chef. Im dunklen November 1989 strömten die Menschen in Kirchen zu Friedensgebeten und nachher auf die Straßen mit brennenden Kerzen. Nicht aus Gewehrläufen kam die Macht, wie Mao meinte. Gerechtigkeit ist ein Geschenk, ein großes Geschenk.

Aber selbst mit großen Geschenken kann man falsch umgehen. Ich nenne ein Beispiel. Es gibt den Lottomillionär, der seinen Kindern etwas zu deren Hausbau gibt und selbst weiter arbeiten geht. Ein anderer Lottomillionär nutzt die Gelegenheit, sich ein schönes Leben zu machen. Dann - früher oder später - ist er so arm, wie er vor dem Gewinn war, und seinen Arbeitsplatz hat er vielleicht auch verloren.

Eine Gabe, ein Geschenk, kann man verlieren, vertun. Wir leben schon lange mit der Sünde. Die Sünde hat eine lange und wirkungsgeschichtlich gesehen große, mächtige Tradition. Sünde meint dabei vieles, ist in zahlreichen Bereichen anzutreffen.

Tim Thaler ist ein Junge. Vielleicht kennen Sie seine Geschichte. Wenn nicht, sollten Sie sie sich besorgen. Hier die Geschichte von Tim Thaler zu erzählen, würde zu lange dauern. Für eine Kurzfassung ist die Geschichte zu schön. Also Tim Thaler begegnet dem Teufel. Der ist mächtig. Er hat überall seine Finger drin. Darum gelingt dem Teufel fast alles, ja, aber nur fast alles.

Sünde hat viele Bereiche. Sünde meint alles, was die 10 Gebote meinen, und noch mehr. Sünde ist der Ausdruck für unsere Trennung von Gott. Von ihr ist schon auf den ersten Seite der Bibel die Rede. Trennung von Gott ist der Tod. Auch davon handeln die ersten Seiten der Bibel. Paulus verweist kurz in unserem Text darauf, weil er ausführlich von Adam wenig vorher geschrieben hatte. Um diese tiefe Trennung überwinden zu können, bedarf es einer gewaltigen Brücke. Um solch eine Brücke bauen zu können, braucht man einen großen, klugen, umsichtigen Baumeister. Es dauerte lange, bis sich jemand fand, eine große Brücke in Istanbul zwischen Europa und Asien zu bauen, oder eine in San Fanzisco oder über den Öresund. Und weil es solche Brückenbauer gibt, gelingt dem Teufel nur fast alles. Gott ist der Brückenbauer zwischen sich und den Menschen und zwischen Menschen untereinander. Ja, auch zwischen uns Menschen ist der Bau von Brücken schwer. In Afrika die Brücke der Gerechtigkeit zu errichten, lässt nicht wenige an der Realisierung des Projektes zweifeln. Manche mögen sogar insgeheim hoffen, dass das Projekt scheitern möge, um wieder Millionen auf Schweizer Konten zu schaffen. Manche hofften 1989, dass die Friedensgebete verstummen, die Kerzen auf den Straßen verlöschen möchten. Sie halfen gar mit Polizeiknüppeln nach, aber der 9. November kam.

So mögen und werden sich auch Brückenbauer zu guten Nachrichten finden. Das gilt auch für Afrika und die dortige Aufrichtung von Gerechtigkeit. Oder bei uns für den Arbeitsplatz, der doch noch gefunden oder gar geschaffen wird, oder für die Klassenarbeit, die endlich gelingt. Dasselbe gilt für gute Nachrichten, die man selbst überbringt, vielleicht in den Fernsehsessel neben dem eigenen, indem man die Hand ausstreckt.

Amen

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
unembac@gwdg.de


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