Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

6. Sonntag nach Trinitatis, 7. Juli 2002
Predigt über 1. Petrus 2, 2-10, verfaßt von Christian-Erdmann Schott

(-> zu den aktuellen Predigten / www.online-predigten.de)


"2 Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf daß ihr durch dieselbe zunehmet zu eurem Heil, 3 wenn anders ihr geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist. 4 Zu ihm kommet als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott ist er auserwählt und köstlich. 5 Und bauet auch ihr euch als lebendige Steine zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesus Christus. 6 Darum steht in der Schrift (Jes. 28,16): "Siehe da, ich lege einen auserwählten, köstlichen Eckstein in Zion; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden".
Euch nun, die ihr glaubet, ist er köstlich; den Ungläubigen aber ist er "der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der zum Eckstein geworden ist, 8 ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses" (Ps. 118,22; Jes. 8,14): denn sie stoßen sich, weil sie an das Wort nicht glauben, wozu sie auch verordnet sind. 9 Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Wohltaten des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; 10 die ihr vormals "nicht ein Volk" waret, nun aber "Volk Gottes" seid, und vormals nicht in Gnaden waret, nun aber in Gnaden seid (Hos. 2,25)".

Liebe Gemeinde,

"Was kommt heute an?" - Das ist die Kernfrage, die sich Medienmacher, Entertainer, Style-Berater bei der Entwicklung ihrer Programme stellen. Die Abnahme entscheidet. Einschaltquoten geben den Ausschlag über Fortgang oder Ende von Sendungen und Karrieren. Was nicht "ankommt", kann man vergessen. Es zählt nicht. Es ist faktisch ohne Bedeutung und ohne Wert.

Vor diesem Hintergrund ist es schon eine starke Provokation, wenn die Kirche es wagt, ihre Pastoren an einem Sonntag mitten in der schönsten Urlaubszeit über diesen Abschnitt aus dem Ersten Petrusbrief predigen zu lassen. Denn das, was dort gesagt ist, ist mit Sicherheit nicht nach diesem Motto unserer Zeit "Was kommt heute an?" ausgesucht, sondern nach der Kernfrage der Christenheit "Was sagt Gott ?".

Es lohnt, diese Frage ins Zentrum der Predigt zu stellen, weil auf diese Weise deutlich werden kann, woher die Christenheit ihre Kraft und den Glauben an ihre Existenzberechtigung erhält - nicht von den Menschen, sondern von Gott. Drei Gedanken können das zeigen:

I. Die Entstehung der Christenheit geht zurück auf das Wunder der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Dieses Wunder ist weder durch Absprache noch mit Zustimmung der Menschen geschehen, sondern allein aus dem Willen Gottes hervorgegangen. Im Gegenteil, Gott hat Jesus Christus in unsere Welt gesandt und die Menschen haben ihn letztlich nicht gewollt. Sie haben ihn "verworfen" (V.4, 7), so wie Bauleute einen Stein als nicht brauchbar verwerfen, wegwerfen. Gegen diesen erklärten Willen vieler Menschen hat Gott trotzdem an dem Sohn festgehalten und durch Gottes Kraft ist Jesus Christus dann - wie durch ein zweites Wunder - zum Ausgangspunkt ("Eckstein" V. 6, 7) einer großen Bewegung geworden.

Diese Bewegung, die inzwischen weite Teile der Welt erfaßt hat, die anhält und weitergeht, ist weder verbraucht noch an ihr Ende gekommen. Während sie in Europa alt und verbraucht erscheint, ist sie in anderen Teilen der Welt - zum Beispiel in China - von vitaler Kraft und Lebendigkeit. Diese Vitalität entspringt nicht ihrer Anpassung an die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern umgekehrt ihrem Bekenntnis zu dem von den Menschen abgelehnten, aber von Gott gestützten Jesus Christus, weil sie erkennen, daß er ihnen das "Heil" (V.2) aufschließt; das heißt, daß er uns in die Gemeinschaft mit Gott, dem Herrn unseres Lebens und Schöpfer der Welt, einführt.

II. Das Selbstbewußtsein der Christen gründet sich auf ihre Berufung durch Jesus Christus beziehungsweise durch Gott. Es ist natürlich angenehm, wenn die Menschen um uns herum die Christen und die christlichen Werke loben. Aber das kann die Begründung unseres christlichen Selbstbewußtseins nicht sein. Vielmehr ist es Gott selbst, der uns immer wieder wissen läßt durch vertrauenswürdige Zeugen, wie diesen Apostel, der hinter dem Ersten Petrusbrief steht: "Ihr seid das (von Gott) auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums" (V. 8). Im Kern läuft das auf eine Nobilitierung durch Gott hinaus. Eine Nobilitierung, die wir glauben dürfen und müssen. Tun wir es nicht, werden wir unsicher und suchen unsere Bestätigung bei den Menschen. Diese aber sind nicht verläßlich, mit ihren eigenen schnell wechselnden Interessen und Moden beschäftigt, dabei latent gegen den Herrschaftsanspruch Gottes gerichtet, - und darum für die Erhaltung und Stärkung des christlichen Selbstbewußtseins keine wirkliche, das heißt dauerhaft-zuverlässige Stütze. Besser und richtiger ist, wenn die Christen sich auf die Berufung zu ihrem Christsein durch Gott in der Taufe verlassen und daraus ihr christliches Selbstbewußtsein ableiten.

Hinzu kommt das Wort Gottes. Der Apostel benutzt hier das sehr sprechende Bild von der "vernünftigen, lauteren Milch", die die neugeborenen Kinder zur Erhaltung ihrer Existenz und zum Wachstum unbedingt brauchen. So braucht der Christ für die Fundierung seines Glaubens und seines christlichen Selbstbewußtseins das Wort, das ihm in der Bibel, im Gottesdienst (Lesungen, Predigt) in den Zeugnissen anderer Christen, in den Liedern des Gesangbuches und auf viele andere Weisen zugänglich ist und begegnen kann Er wird es nicht langweilig finden oder als Belastung, der man möglichst aus dem Wege geht. Vielmehr wird er es gern "hören und lernen" (Martin Luther), "wenn anders er geschmeckt hat, daß der Herr freundlich ist" (V. 3); das heißt, wenn er erfahren hat, daß es den Horizont erweitert, zur inneren Ordnung verhilft, erfreut, trägt, stärkt, ermutigt.

Ein weiteres wichtiges Mittel zur Stärkung der christlichen Identität ist der Anschluß an eine Gemeinde. Dazu ruft der Apostel ausdrücklich auf: "bauet auch ihr euch als lebendige Steine zum geistlichen Hause" (V. 5) Dabei geht es um eine doppelte Bestärkung und Auferbauung: Die Gemeinschaft mit den anderen kann mich stützen, ich kann aber auch die anderen stützen. Es herrscht ein gegenseitiges Geben und Nehmen, nun aber nicht im Sinne einer Selbsterfahrungsgruppe, sondern im Sinne einer auf das Fundament oder den Eckstein Jesus Christus sich gründenden Lebensgemeinschaft.

Die Betonung der Gemeinschaft (der Kirche) für den Glauben unterscheidet das Christentum von anderen, vor allem asiatischen Religionen (zum Beispiel vom Buddhismus). Den Satz "Ich kann auch ohne Kirche Christ sein" kann ein Buddhist sinnvoller Weise sagen. Für den Christen kann er nicht richtig sein, weil Gott Gemeinschaft, weil Gott Kirche will und es für nicht gut hält, wenn wir uns abkapseln und als eigenbrödlerische Egomanen durchs Leben gehen. Ich denke, daß diese Sicht vom Menschen als eines gemeinschaftsbezogenen Wesens die Bedürfnisse unserer Natur besser trifft als die Religionen Asiens oder die individualistischen Tendenzen des gegenwärtigen Zeitgeistes. In seinem Wesen ist der Mensch und natürlich auch der Christ auf Gemeinschaft angelegt, gemeinschaftsbedürftig und in Gemeinschaft auch lebensfroher.

Neben der Taufe, neben dem Wort in seinen vielfältigen Spielarten aber kann und soll auch die Gemeinschaft mit Glaubenden den eigenen Glauben festigen. Es kann vieles sein, was in einer Gemeinde angeboten und getan wird. Als Fundament und Mitte aber muß der Glaube an Jesus Christus erkennbar sein und bleiben. Im Kern gilt für den Einzelnen wie für die christliche Gemeinde insgesamt, was der schwäbische Kirchenliederdichter Phillip Friedrich Hiller(1699-1769) einmal in die Worte gefaßt hat: "... und sie lebet, weil sie glaubt" (EG 123,6).

III. Die Verkündigung des Evangeliums, die der Christenheit aufgetragen ist, kann und muß sich an der Geschichte Gottes mit der Menschheit, am Handeln Gottes in Jesus Christus, an den "Wohltaten des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht" (V.9 c) orientieren - nicht an der Frage "Was kommt heute an?". Hätte sich Gott, hätten sich die Christen in den beiden Jahrtausenden der Kirchengeschichte an dieser Frage orientiert, die Christenheit wäre nie entstanden oder längst untergegangen.

Die Ausrichtung an den "Wohltaten" Gottes aber kann der Ausbreitung des Wortes Gottes den Weg zu den Menschen zeigen. Denn das sind die Kennzeichen der Zuwendung Gottes: Er spricht uns in Liebe, freundlich, einladend, werbend, geduldig, verständlich an. Er sucht die Gemeinschaft mit uns. Er gibt nie auf. Er läßt sich durch unsere Abweisung, Gleichgültigkeit, durch unseren Eigenwillen nicht abweisen. Und so sollten wir alle, ob wir nun Pfarrer oder Laien sind, mit den Menschen sprechen - mit unseren Familienangehörigen, mit unseren Freunden und Bekannten - weil wir alle berufen sind zu Priestern, also zu Menschen, die zwischen Gott und den anderen Menschen vermitteln. Die beste Art, wie solche Vermittlung und Einladung zum Glauben geschehen kann, dürfte der Apostel Paulus im "Hohen Lied der Liebe", im Ersten Korintherbrief Kapitel 13, beschrieben haben:

1 "Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.
2 Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
4 Die Liebe ist langmütig und freundlich. Die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht,
5 sie stellet sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,
6 sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit;
7 sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.
8 Die Liebe höret nimmer auf.

Amen.

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroem-Str. 21
55124 Mainz (Gonsenheim)
Tel.: 06131/690488
Fax: 06131/686319


(zurück zum Seitenanfang)