Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

6. Sonntag nach Trinitatis, 7. Juli 2002
Predigt über 1. Petrus 2, 2-10, verfaßt von Heinz Fischer

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Vorbemerkungen;
Es ist für Predigerinnen und Prediger reizvoll und für die Predigthörer bildhaft und einprägsam, von den beiden Symbolen des Textes auszugehen. In der Symbolsprache der Kirche ist die Milch nie ins Zentrum gerückt. Dem Grund- oder Eckstein ist etwas mehr Ehre zuteil geworden. Die Predigt nimmt beide Bilder auf. Dabei soll kein Symbolismus betrieben werden. Wenn man eine alte große Milchkanne auftreiben kann, braucht sie neben dem Altar einen gut sichtbaren Platz, vielleicht im Gegenüber zu einer üblichen Bodenvase. Ein behauener Naturstein (Werkstein) könnte auf dem Altar liegen. Das reicht. Natürlich kann man auch ohne die große Milchkanne dieses Zeichen deutlich werden lassen. Neben der Taufschale kann auch eine Milchflasche stehen, nicht in der Taufschale. Das ist der Platz des Wassers. Neben dem einen größeren Stein, es muß kein Naturstein sein, den jeder Steinmetz für einen Gottesdienst sicher verleihen würde, können auch kleinere Steine verschiedener Art ihren Platz haben. Das passt in den Bildteil. Auch eine Ecke mit dem Fundament- und Eckstein lässt sich anschaulich und unschwer gestalten. Die folgende Predigt setzt jedenfalls diese beiden Symbole als optische Impulse voraus. Der Predigttext wird unmittelbar vor der Predigt gelesen. Wenn er als Epistellesung verwendet worden ist, wird in den ersten Worten der Predigt daran erinnert, dass die Gemeinde den Predigttext aus dem l. Petrusbrief schon, gehört hat.

Liebe Gemeinde!

Brot und Wein auf dem Altar sind uns vertraut, Milch und Stein weniger. Starke Symbole! Ich schaue zunächst auf die Milchkanne (Milchflasche/Milchschüssel) neben dem Altar. Milch wird immer mal wieder in der Bibel genannt. Milch und Honig sollen in dem verheißenen Land fließen, das Gott den Israeliten geben will. Im Richterbuch steht in Deboras Siegeslied: "Milch gab sie, als er Wasser forderte" (Ri. 5,25). Hier im l. Petrusbrief ist die Milch im Zusammenhang des neuen Lebens als Christen genannt. "Seid begierig, damit ihr zunehmt". Bei Neugeborenen wird das Gewicht genau beobachtet. Die Eltern wiegen nahezu täglich das Kind und besonders beim ersten wird die Zunahme gewissenhaft kontrolliert und aufgeschrieben. In Glaubensfragen haben wir diese Sorgfalt längst aufgegeben. Sind wir begierig nach dem vernünftigen, lauteren Wort Gottes und der Zunahme von Gewichtigkeit zu unserem Heil wie die neugeborenen Kinder nach der Milch?

Wenn ein Säugling seine Milch nicht rechtzeitig und nicht in der erhofften Temperatur oder Zusammensetzung bekommt, dann schreit er und spuckt, wird "knörig" und unerträglich. Die Eltern schaffen schnellstens Abhilfe. Sie bemühen sich. Wir haben irgendwie das Zeichen Gottes mit der Milch nicht richtig verstanden. Wenn das Wort Gottes zu kalt oder zu heiß, zu sehr verdünnt oder zu fett gepredigt wird, schreit kein Mensch. Dabei hat Gott sich rechtzeitig und unvergleichlich bemüht. Wir bekommen von ihm, was wir wirklich brauchen.

Wir haben mit der Taufe alles bekommen. Das Zeichen des Wassers haben alle verstanden. Fast alle Kinder werden bei uns bis heute getauft, aber die Aufbaunahrung fehlt. Warum fehlt denn bloß bei unserem Predigttext der erste Vers? Sicher, der 1. Petrusbrief geht von Erwachsenen aus, die sich für den Christenglauben entscheiden. Deshalb heißt der l. Vers dieses Kapitels: "So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede". Dann folgt der eigentliche Predigttext: "Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kinder, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil".

Wenn uns die "Gier" nach dem vernünftigen lauteren Wort Gottes fehlt, nehmen wir auch nicht zu in der Wahrheit und Weisheit des Glaubens und erreichen im geistlichen Leben niemals die Zufriedenheit des satten Säuglings. Im Glauben laufen viele Christen dürr und unterernährt herum, von Krankheiten der Seele und des Gemütes befallen oder ausgezehrt und unzufrieden. Sie sehen die Zusammenhänge nicht. Der ganz persönliche Drang nach den Werten des Glaubens ist zu schwach ausgeprägt, wir bleiben oft verwurzelt in den alten Zusammenhängen des täglichen Lebens. Wir nehmen belastende Abhängigkeiten nicht so ernst und hängen zu lange an Werten, die für Christen im Grunde wertlos sind. Deshalb steht die Milchkanne am Altar (die Milchflasche / Milchschale auf dem Altar), damit der Vergleich deutlich wird: Wir brauchen die richtige Nahrung für Leib und Seele. Grund- und Aufbaunahrung kommen nach der Taufe.
Wenn ein Kind geboren ist, ist es ein ganzer, fertiger Mensch. Aber was muss da noch alles geschehen, ehe so ein Neugeborenes erwachsen ist und dann noch fröhlich und zufrieden lebt, auf andere bezogen.

Wenn ein Mensch getauft ist, ist er ein ganzer Christ, aber was muss da noch alles geschehen, ehe er einen reifen und erwachsenen Glauben hat und den auch lebt? Weil die Veränderung des Lebens uns schwer fällt, ist auch der Vergleich mit der Milch ein schwaches Zeichen geblieben und nicht zu einem starken. Symbol geworden. Wir brauchen aber viel von dieser Milch, damit wir zunehmen - zu unserem Heil. Deshalb steht uns die Milch vor Augen, dass wir im Glauben so kräftig werden, dass auch das zweite Bild für uns Bedeutung gewinnt: Die Sache mit dem Eckstein.

Wenn wir keine Glaubenskräfte entwickeln, haben wir kein Unterscheidungsvermögen und können die Bedeutung des Ecksteines nicht erfassen. Können Sie ihn von überall sehen, diesen dicken Stein auf dem Altar Der liegt da als Hinweis auf den Eckstein. Die kleinen Steine sind alle auf ihn bezogen. Heute sagen wir auch Grundsein zu so einem fundamentalen Baustein. Nicht jeder Stein ist dafür geeignet. Jeder Maurer hat schon manchen Stein in seinem Leben verworfen, besonders wenn mit Natursteinen gearbeitet wird. Wir alle sind Natursteine, die bearbeitet werden müssen.

Der entscheidende Stein ist der Grund- oder Eckstein. Den muss der Maurer sorgfältig auswählen. Gott hat seinen Eckstein sorgfältig ausgewählt. Das steht schon als Verheißung im Alten Testament. Aber wie sind wir, im Bilde gesprochen, als Handlanger und Maurer Gottes damit umgegangen, beim Bau seines Reiches? Wir wissen es: Seit der Zeit des 1. Jesaja und seit der Zeit des Psalm l18 ist von dem Eckstein die Rede, von dem "auserwählten, kostbaren Stein", den die Handlanger und Maurer beim Bau des Reiches Gottes nicht erkannt, nicht anerkannt und daher verworfen haben. So ist dieser Stein "zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Ärgers" geworden.

Es ist mit dem Glauben wie auf dem Bau - bis heute. Es wird zu wenig Milch, zu wenig Aufbaunahrung zu sich genommen. Es werden entscheidende Fehler gemacht, Baumängel am Gebäude des Heils! Wir nehmen sie überall wahr und auch die Leute, die gar nicht in den Bau Gottes gehören wollen und die ganze Sache aus der Distanz und von Ferne betrachten, bemerken diese Baumängel.
Alle warten auf die gute Nahrung des Glaubens, aber trinken etwas anderes. Alle wollen im Bau Gottes, im Bilde gesprochen, das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums sehen und viele der Getauften wollen das auch sein. Wie leben denn diejenigen, die berufen sind, die Wohltaten Gottes zu verkündigen? Das fragen sich die Berufenen und die Fernstehenden oft zu gleicher Zeit, freilich aus einer unterschiedlichen Perspektive.

Wie ist das denn, wenn ich von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen bin und nun zu "Gottes Volk" gehöre. Das Volk ist nie ein Einzelner. Hier wird die Mehrzahl gebraucht. Wie ist das denn mit uns, fragt der Apostel "die ihr einst nicht in Gnade wart, nun aber in Gnade seid?"

Christsein ist kein "Einzeltraining", Christsein ist ein Mannschaftsspiel. Wo zwei oder drei, wo elf oder zwölf in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Christen bilden immer Gruppen, Gemeinschaften oder Gemeinden, um die Grundnahrung des Glaubens weiterzugeben, um auf dem Fundament aufzubauen und für das Leben und Überleben in der Welt Verantwortung zu tragen Es kann nicht darum gehen, dass Gemeinden Weltmeister oder Vizemeister im Glauben werden. Ganz unabhängig vom "World Cup Rausch" bleibt das eine zeitlose Erfahrung aller Christen: Wir sind eine weltweite Gemeinschaft der Getauften und dürfen die Wohltaten dessen verkündigen, der uns Einzelne aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gezogen und zu seinem Volk gemacht hat. Erst in der Gemeinschaft entfaltet sich die Kraft des Glaubens. Deshalb spricht der 1. Petrusbrief vom Volk Gottes und ich sage noch einmal - Christsein ist kein Einzeltraining, sondern ein Mannschaftsspiel.

Merkwürdig, dass gerade in den letzten anderthalb Jahrhunderten in den evangelischen Kirchen Mitteleuropas die Verantwortung für die Gemeinschaft in den Gemeinden in den Hintergrund getreten ist. Zum "protestantischen Bewusstsein" reichte die eigene, sehr persönliche Frömmigkeit aus, mit schwacher Bindung an die Gemeinde. Solche Einstellungen führen bald an Grenzen. Die Gemeinde wird für den einzelnen Getauften unwichtig. Die Selbstauflösung der Kirche ist die schreckliche Folge dieses individuellen Glaubens ohne Verantwortung in und Freude an der Gemeinde. Die nächste Generation ist dann eben nicht mehr begierig nach dem Wort Gottes, ihr fehlt das Grundnahrungsmittel und sie sagt beim Anblick des Ecksteins: "Was soll das? Ich kann auch ohne Kirche glauben."

Nur wer nach dem Wort Gottes begierig ist wie die Neugeborenen nach der Milch, nur wer den Wert des Ecksteins erkennt, der erfahrt auch, was die Mannschaft bedeutet, die die Wohltaten Gottes verkündigt, und wie sie mit biblischen Worten beschrieben wird: "Die königliche Priesterschaft, das heilige Volk" Ich wünsche allen, die sich mit ihrer eigenen Taufe auseinandersetzen, dass die Gemeinschaft des Volkes Gottes für sie wieder zentral wichtig wird und dass diese Auseinandersetzung mit der eigenen Taufe dem gelebten Leben Sinn, Struktur und Ziele zeigt. Das gebe Gott!
Amen

Heinz Fischer, Helmstedt
Fax: 05351-2094


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