|
||||||||
4. Sonntag nach
Trinitatis, 23. Juni 2002 |
||||||||
Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Als hätten wir die Wahl...
Wenn wir uns nicht überall in Feindschaften hienziehen lassen wollen, müssen die "Fronten" so lange gekärt werden, bis wir aus der üblichen Verteilung heraus- und ins Leben hineinfinden. Wir haben die Wahl nicht. Aus pragmatischen, den Situationen innewohnenden Gründen schon nicht. Erst recht nicht, wenn wir den Wortlaut Römer 12, 17-21 ernstnehmen; wenn wir uns als Christen verstehen und so lesend und lebend auslegen, was Jesus gesagt und aus der Hebräischen Bibel aufgenommen und bis zum Ziel in Kreuz und Auferstehung weitergelebt hat. Daß Paulus dies seinerseits aufnimmt und auslegt, ist so bekannt und vorausgesetzt, daß ein solcher Hinweis fast zum Weghören führt. Doch nur fast. Denn wie sich hier in diesen fünf Versen Spuren finden aus den drei Synoptikern und zugleich aus dem Alten Testament, das kann ein Anlass sein, dies einmal vor Augen zu führen: Paulus bei der Arbeit zuzuschauen sozusagen, bei der Auslegung der ihm überkommenen Jesus-Worte und der alttestamentlichen Tradition.
Ganz in der Auslegung des AT und der Jesus-Tradition, die er kennt, ist Paulus anzutreffen, wenn er diese Ratschläge nach Rom schickt. Wenn wir ihm dabei zuschauen und zuhören, ist nicht zu überhören, daß ihn diese beiden Traditionsstränge weiterdrängen, sozusagen über den Rand der eigenen bisherigen Anschauungen hinaus: Daß wir uns nicht rächen sollen, liegt zunächst ganz in der Line von 5. M. 32 und dem Heiligkeitsgesetz und den Gesetzeskorpora, die innerhalb und außerhalb der Bibel darauf fußen. Die Ablösung der Privatrache hat Folgen gezeitigt, sodaß sie uns heute ganz selbstverständlich erscheint - es sei denn, ein Ereignis risse unsere ganze Fassade privater oder öffentlicher Gerechtigkeit ein, siehe die oben erwähnten Ehekriege oder die Lage nach dem 11.Sept. oder die Entwicklung in Palästina/Israel, die aber eben an andere Rechtstraditionen rührt. Für uns ist der Weg Jesu die Vollendung dieser Linie vom Alten Testament her. Darum ist nun allerdings zu fragen, ob im Sinne dieser Vollendung nicht zu sagen ist, daß das Nein Gottes, sein Zorn', für uns anders Gestalt annimt, als unsere menschlichen Zornesreaktionen es nahelegen mögen. Gott ist Raum zu geben, seinem Nein, das unser Nein überwindet und so aus der Absage an das Böse das Ja hervorbringt. Wir haben gar keine Wahl - Gott hat sich für die Seinen entschieden; was können wir anderes tun als das Gute? Aber wir tun doch ständig und immer wieder das Falsche, leben weiter, als wäre nichts geschehen. Bringt das nicht alles Reden vom Ja Gottes zum Einsturz? Bleiben also nur Mahnungen, nichts als Imperative, von denen dieser Abschnitt nur so strotzt. Wäre es so, unser Leben wäre nicht der "vernünftige Gottesdienst", als der es im Anfang dess 12. Kapitels grundlegend beschrieben wird Der Ansatz dazu ist für Paulus auch schon im AT sichtbar geworden - nachlesbar in diesem merkwürdigen Verhalten dem Feind gegenüber, wie es Sprüche 25,21f nahelegen. Mag hinter den feurigen Kohlen auf sein(em) Haupt' ein ägyptischer Ritus stecken (vgl. Komm. zSt.), dieser Satz ist so sprichwörtlich geworden, daß er wohl noch verstanden wird, im Sinne des englischen "shame on you". Wichtiger ist, daß wir tatsächlich vor inneren und äußeren Schranken nicht halt machen, also wirklich dem Feind geben, was er braucht. Das wird schwerer, mir zumindest, als die rasche Rede ahnen läßt und deckt zuletzt noch einmal auf, warum wir von Paulus so eindringlich gemahnt werden, Gutes zu tun - und nicht Böses. Gehen wir also noch einmal auf die Konkretionen zu, die uns anfangs gleich beschäftigt haben. Afghanistan. Soldaten zur Einhaltung des Waffenstillstand ja, - und schon dieses Ja schließt den möglichen Tod von eigenen wie von feindlichen Menschen ein (!) - , aber auch zur Festsetzung bzw. Vernichtung der Übeltäter. Doch da fängt die Diskussion an, erneut: Lokale Kriege als Ersatz für Auseinandersetzung zwischen Systemen, das ist zwar ein vertrautes Schema, in Zeiten, die immermehr zum Weltbürgerkrieg' tendieren, aber nicht unbedingt eine weiterführende Lösung. Ehekriege: Wenn nur noch Wunden geschlagen werden, ist es besser, die Kombattanten lösen sich, gewinnen neue Regeln des Zusammen- oder Auseinanderlebens. Weiter möchte ich hier das Durchbuchstabieren nicht treiben - um uns als Hörer nicht über Gebühr zu strapazieren. Es geht bei alldem zunächst um Spielregeln des Lebens zwischen Christen, und ihr gemeinsamer Maßstab ist das Evangelium von dem, der barmherzig ist. Daß hier auch Auseinandersetzungen zwischen Christen und Nichtchristen gleichermaßen angesehen werden, jedenfalls kein anderer Maßstab da ist, sei wenigstens angemerkt. "Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Natürlich, ein Rahmen entsteht - von v. 17 zu v. 21. Und doch, dies ist eine Zusammenfassung, die weiterreicht: Alles in allem ist der Glaube Grundlage für ein Leben, das nicht der Absicht des Bösen unterliegt, das vielmehr dies Böse aus den Angeln hebt, ins Leere laufen läßt, überwindet also. Die oft so deprimierende Herrschaft des Bösen kommt zu einem Ende. Bildhaft wird das in den Zeilen von Bertolt Brecht aus der "Legende von der Entstehung der Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration": "Daß das weiche Wasser in Bewegung Hoffnung erhält Nahrung, Leben wird seiner Grundlage ansichtig. Darum: Wir müssen nicht wählen zwischen Gut und Böse; das, was wir im Einzelnen zu tun haben, wird sichtbar als Teil dessen, worauf wir hoffen und wovon wir leben. Jobst v. Stuckrad-Barre, Pastor |
||||||||
(zurück zum Seitenanfang) |