Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Pfingstmontag, 20. Mai 2002
Predigt über Apostelgeschichte 2, 22-23. 32-33. 36-39, verfaßt von Karsten Matthis

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Liebe Gemeinde,

als ich die Pfingstpredigt des Petrus las, fiel mir eine merkwürdige Begegnung aus meiner Studienzeit ein: Ohne große Vorankündigung predigte ein Mann mitten in der Göttinger Fußgängerzone. Er stellte sich auf ein mitgebrachtes Podest und verkündigte mit einem amerikanischen Akzent "sein" Evangelium. Es war kein lautes Sprechen; nein, es tönte eine marktschreierische Stimme durch die engen Gassen der Universitätsstadt. Seine Botschaft weckte keine Begeisterung, sondern unter den Vorübereilenden nur Ablehnung und Kopfschütteln. Ganz offensichtlich konnte der seltsame Prediger weder andere noch sich selbst für seine Worte begeistern. Meine Kommilitonen und ich hatten das ungute Gefühl, dass der Evangelist in ein lautes Selbstgespräch vertieft war und seine Außenwelt ignorierte. So werden seine drohenden Worte vom Gericht, welche eine sofortige Umkehr forderten, in der Fußgängerzone wirkungslos verhallt sein. Sein Erscheinen wirkte zwanghaft und löste unter uns Studenten eher Mitleid aus. Nach einigen Tagen war der eigenartige Prediger aus der Stadt wieder verschwunden.

Vom Kirchenvater Augustin stammt der Satz: "In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst." Die Predigt des Petrus mitten in Jerusalem vermochte die Herzen der Menschen aufzuschließen, weil in ihm ein Feuer brannte. Mit seiner Pfingstpredigt bewegte er viele Menschen zur Buße und Taufe. Anders als der fundamentalistische Prediger in Göttingen konnte Petrus Menschen von seiner Botschaft begeistern. So schrieb die Predigt des Apostels Kirchengeschichte: Von Jerusalem aus sollte das Evangelium über Judäa nach Samaria schließlich die Enden der damaligen Welt erreichen.

Dass der Apostelkreis nicht zu einer jüdischen Sekte verkümmerte, war für Lukas Werk des Heiligen Geistes, der über die Jünger gekommen war. Nicht war das rasche Wachsen der Gemeinde Jesu Christi ein Verdienst der Apostel, sondern der Heilige Geist ließ das Evangelium über kulturelle und ethnische Grenzen springen. Über Grenzen anderer Kulturen und Sprachbarrieren hinweg erreichte das Evangelium die Menschen im gesamten Mittelmeerraum und darüber hinaus. Der Erfolg der Mission war ein Werk des Heiligen Geistes. Lukas betont in seiner Apostelgeschichte: Wo der Heilige Geist wirkt, da entstehen christliche Gemeinden, da entsteht Kirche Jesu Christi.

Liebe Gemeinde, Lukas berichtet uns, dass Petrus bei seiner Pfingstpredigt vom Heiligen Geist getragen wurde. Er fasste den Mut, sich ohne Wenn und Aber zum Evangelium Jesu Christi zu bekennen. Der Fischer aus Nazareth war nach tiefer Verzweiflung und Depression über den Kreuzestod Jesu ein Begeisterter geworden. Er hatte den Herrn mit eigenen Augen gesehen und war mit dem Heiligen Geist beschenkt worden. Dies gab Petrus die ungeheure Kraft, neu anzufangen und die Auferstehung Christi zu verkündigen.

Wie können wir uns bei der von Lukas überlieferten Predigt den Apostel Petrus vorstellen? Sicherlich einige Phon leiser als der fundamentalistische Evangelist in der Fußgängerzone Göttingens. Eher bescheiden und zurückhaltend waren Petrus Charaktereigenschaften. Große Auftritte in der Öffentlichkeit waren bis zu Pfingsten seine Sache nicht. So predigte Petrus nicht aggressiv, vielmehr nüchtern und entschlossen. Die Begeisterung des Pfingsterlebnisses trug ihn, ohne Angst das Evangelium Jesu Christi zu verkündigen. Risikolos waren seine Wort nicht, denn die Anklage gegen Israel und der Bußaufruf an sein Volk waren höchst provokant. Ungeheures für jüdische Ohren getraute sich Petrus zu sagen. Die Männer Israels sollten wissen, dass Jesus von Nazareth einer der ihren war, in der großen Tradition Davids steht und von Gott auferweckt wurde. Doch sein Kreuzestod, so Petrus, bietet die Chance zum Neuanfang. Die Israeliten sollten sich zu ihm, dem Auferstandenen und Spender des Heiligen Geistes bekennen.

Gut möglich, dass Petrus sich selbst über seine Worte wunderte. Vielleicht sprach der Fischer Petrus gar nicht so flüssig, nicht so rhetorisch begabt, wie es der Evangelist überlieferte. Der Apostel predigte aber als Begeisterter, der vom Heiligen Geist beschenkt worden war. Die Begeisterung des Petrus blieb nicht ohne Folgen. Seine Worte wirkten überzeugend, es berührte die Zuhörer aufs Innerste, so heißt es im Text: "Als sie aber das hörten, ging`s ihnen durchs Herz...." Der Heilige Geist hatte Begeisterung in den Herzen des Petrus und des Apostelkreises ausgelöst. Diese Begeisterung wirkte authentisch, deshalb stiftete sie die Zuhörer zum Glauben an. Anders als der Prediger in Göttingen, der keinen Passanten zu fesseln vermochte, ereichte Petrus durch seine innere Begeisterung die Zuhörer.

Liebe Gemeinde, ist Begeisterung ein sicheres Kennzeichen für den Heiligen Geist? Wohl nein, denn spontane Gefühlsausbrüche, Zungenreden, oder gar Hüpfen und sich auf dem Boden wälzen, sind nicht unbedingt auf den Heiligen Geist zurückzuführen. Unsere protestantische Gottesdienste und unsere Verkündigung sind eher nüchtern, anders als in den Pfingstkirchen oder charismatische Gruppen, die in einer anderen kirchlichen Tradition stehen. Wir sollten nicht deren Gottesdienste imitieren und nicht deren Theologie kritiklos übernehmen, aber ein Stück mehr Begeisterung für die Sache Jesu Christi täte unseren sonntäglichen Gottesdiensten gut. Woran erkennen Christen nun, was vom Heiligen Geist motiviert und getragen ist?

Der Heilige Geist weist auf Jesus Christus, den Auferstandenen, hin. Er lässt uns Jesus Christus erkennen! Der Heilige Geist gibt uns Christus in unser Herz, so werden wir Begeisterte für das Evangelium und sein Wort geht in uns auf. Der gute Geist Gottes bewirkt, dass das Evangelium von Jesus Christus nicht leer bleibt, sondern mit Leben erfüllt wird.

Es ist der Heilige Geist, der göttliche Geist, der uns darauf hinweist, was in unserem Leben zählt. Er schenkt uns Orientierung, was der eigentliche Wille Gottes ist. Der Heilige Geist öffnet uns die Augen für den Nächsten. Er lässt unser Gebet zur starken Fürbitte für die Welt und Menschheit werden. Mit ihm gelingt es uns, Ängste zu überwinden und mit Herausforderungen oder Anfeindungen fertig zu werden. Durch ihn erfahren wir Trost in schwierigen Situationen. Der Heilige Geist schenkt uns das rechte Wort zur rechten Zeit, wie einst Petrus zu Jerusalem. Er gibt uns die Möglichkeit Mauern zu überspringen - wie den Jüngern einst zu Jerusalem - , Brückenschläge zu anderen Kulturen zu wagen und weltweit für Frieden und Gerechtigkeit einzutreten.

Der göttliche Geist ist ein bewegender Geist, der Menschen ermutigt, wenn es angezeigt ist, neue Wege zu gehen. Er hilft der Kirche Jesu Christi, die Geister zu unterscheiden und an den Grundlagen des christlichen Glaubens festzuhalten. Der gute Geist Gottes zeigt die Chance zum stetigen Neuanfang mit Gott auf und schafft damit die Möglichkeit zur Umkehr.

Der große protestantische Liederdichter Paul Gerhardt hat den Heiligen Geist als den liebenden Geist Gottes in seinem Pfingstlied "Zieh ein zu deinen Toren" (eg 133) beschrieben: "Du bist ein Geist der Liebe, ein Freund der Freundlichkeit, willst nicht, dass uns betrübe Zorn, Zank, Hass, Neid und Streit. Der Feindschaft bist du feind, willst, dass durch Liebesflammen sich wieder tun zusammen, die voller Zwietracht seind." (Strophe 7)

Gott beschenke uns immer wieder neu mit seinem Heiligen Geist, heute, morgen und bis ans Ende unserer Tage.

Amen

Karsten Matthis, Dipl. Theol.
Hochheimer Weg 11a
53343 Wachtberg
karsten.matthis@t-online.de


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