Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Pfingstsonntag, 19. Mai 2002
Predigt über Römer 8, 1-2 (10-11), verfaßt von Eberhard Harbsmeier (Dänemark)

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Liebe Gemeinde!

Ich möchte mit einem Wort beginnen, das in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt, das aber - vielleicht - bei der Textauswahl für diesen Pfingsttag gleichsam als vielleicht etwas peinlich schamhaft übergangen wird. Hier ist zwar viel vom Geist die Rede, der lebendig macht, aber im achten Kapitel des Römerbriefs spricht Paulus auch vom Gegenteil von Geist und geistlich, nämlich dem "Fleisch" und der "Fleischlichkeit", von der fleischlichen Gesinnung. Um zu verstehen, was Paulus mit dem Gesetz des Geistes und der Freiheit meint, ist es vielleicht nützlich, sich zunächst mit dem etwas altmodischen aber für Paulus ungeheuer wichtigen Begriff "Fleisch" auseinanderzusetzten. Was meint Paulus mit "Fleisch" und "fleischlich"?

Wenn wir nicht bei dem Worte "Fleisch" an einen Fleischerladen denken, dann verbinden wohl die meisten Menschen heute mit diesem Wort Sexualität, oder zumindest die Körperlichkeit des Menschen. Und es gibt in der christlichen Kirche eine lange Tradition dafür, daß man das "Fleisch" im Sinne der Körperlichkeit und der Sexualität des Menschen gering geschätzt und verachtet hat.

Das hat Tradition, eine Tradition, die eigentlich älter ist als das Christentum. Nach dieser Tradition geht es darum, sich von den Bindungen an das Fleisch - die Körperlichkeit allgemein und die Sexualität im Besonderen - freizumachen. Denn die Bindung an das Fleisch, den Körper, macht unfrei. "Die Gedanken sind frei" - heißt es so schön im Volkslied - Freiheit ist Freiheit von seiner eigenen Körperlichkeit.

Es kann kein Zweifel daran bestehen: Der Apostel Paulus kannte diese Angst vor der eigenen Körperlichkeit, der eigenen Sexualität. Er kannte die Erfahrung, daß der eigene Körper, das "Fleisch", einem fremd wird, gleichsam ein unappetitlicher Brei, der einen umgibt. Fleischlich in diesem Sinne kann nur der Mensch sein - dem der eigene Leib fremd wird, etwas, was man nicht ist, sondern was man beherrschen muß - als sei es eine Bedrohung.

Und manch einer mag sich nun über diese "Leibfeindlichkeit" des Paulus und der christlichen Tradition erheben als etwas, über das wir weit erhaben sind. Die Theologen, die Kirche, haben den Körper entdeckt, und es erscheint beinahe schon anstößig, im Sinne von Paulus vom Gegensatz zwischen Fleisch und Geist zu reden. Und dort, wo man es noch tut, versteht man unter Fleisch etwas ganz anderes als Körperlichkeit - z.B. Egoismus, Selbstsucht oder dergleichen. Man spiritualisiert gleichsam das Fleisch - um nicht als jemand dazustehen, dem man Leib- oder gar Sexualfeindlichkeit vorwerfen kann.

Ich möchte heute das Wort Fleisch dennoch zunächst lieber wörtlich verstehen als Körperlichkeit. Paulus warnt davor, sich zum Sklaven seiner eigenen Körperlichkeit und Sexualität zu machen. Der Mensch ist mehr als sein Körper, der Mensch ist auch Geist. Denn wir brauchen nicht - aus lauter Angst, daß uns Leibfeindlichkeit vorgeworfen wird - zu leugnen, daß der Mensch mehr ist als sein Körper.

Wir leben ja in einer Zeit in dem mit dem Körper ein regelrechter Kult betrieben wird. Vielleicht wird ja das Wort des Apostel Paulus von denen, die "nach dem Fleisch" wandeln und sich dadurch zum Sklaven ihres Körpers machen, wieder in einem ganz wörtlichen Sinne aktuell. "Nach dem Fleisch wandeln" ist ja nicht die unmittelbare und positive Freude an der eigenen Körperlichkeit, sondern sich zum Sklaven seines Körpers zu machen. Die Leibesübung, das Spiel, die Freude am Körper, eigentlich durchaus etwas Positives, wird zum Körperkult, zur Selbstquälerei. Das ist nicht gesund, das ist ein Körperkult, der nicht lebendig macht, sondern krank, das ist Selbstquälerei. Das kann z.B. zu einer krankhaften Angst vor dem Älterwerden füren. Was eigentlich gut und gesund ist - verkommt zum Fitnesswahn - Paulus würde sagen dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Was ist der Fehler an solch einem Fitnesswahn? Wie ist es möglich, daß einem der eigene Körper zum Abgott wird, der einen versklavt? Der Fehler ist nicht, daß man sich an der Körperlichkeit freut - sondern ganz im Gegenteil: Daß man seinen Körper beherrschen will, statt sich an ihm zu freuen. So verkommt der Sport, die Freude an ihm zum Wahn.

Und dies gilt nun nicht nur vom Fleisch bzw. dem Körper im wörtlichen Sinne. Dies gilt auch für das Leben überhaupt: Wenn man es beherrschen, besitzen will, statt es zu leben, dann macht man sich zum Sklaven seines Lebens. Die verstorbene Marion Gräfin Dönhoff hat in ihrem bewegenden Buch über ihre ostpreußische Heimat das Wort geprägt, daß man etwas lieben können muß, ohne es besitzen zu wollen. Dies ist ein sehr wahres Wort, es gilt für die Heimat: Kein Volk "besitzt" in diesem Sinne ein Land, als hätten andere kein Recht, dort zu leben. Die Heimat ist ein Stück von uns selbst, aber wir "besitzen" sie nicht. Das gilt für auch unseren Körper: Wir "besitzen" ihn nicht, wir "sind" unser Körper. Das gilt auch für unser Leben insgesamt: Wer es besitzen will, wird es verlieren.

Das heißt fleischlich sein bei Paulus, das macht uns unfrei: Etwas besitzen zu wollen, herrschen zu wollen - statt zu leben. Das gilt für das Verhältnis zu unserem Körper, wenn die Freude an der Leiblichkeit zum Fitnesswahn verkommt, das gilt für unser Leben insgesamt.

Das ist das Gesetz des Fleisches, das Gesetz der Sünde und des Todes: Das Leben beherrschen wollen statt zu leben.

Dagegen stellt der Apostel das Gesetz des Geistes, der lebendig macht.
Wie das Wort Fleisch, so müssen wir auch das Wort "Geist" zunächst ganz wörtlich nehmen, es bedeutet soviel wie Atem und Leben im wörtlichen Sinne: Ein Körper ohne Geist, d.h. ohne Atem, ist ein Leichnam. Ein Leben ohne Geist ist kein wirkliches Leben. Es ist kein Zufall, daß wir das Pfingstfest, das Fest des Geistes, im Frühjahr begehen, in der Jahreszeit, wo die Natur zum Leben erwacht. Es mag ja sein, daß manchem dieses wörtliche Verständnis von Geist als Leben und Lebenskraft (und -saft) nicht fromm genug ist und zu weltlich, sozusagen nicht geistlich genug. Aber wir tun gut daran, uns zunächst an diesem wörtlichen Verständnis zu orientieren: Ohne Atem kein Leben, ohne Geist wären wir tot. Der Geist macht lebendig, weil er selbst das Leben ist.

Geist ist Leben, Lebendigkeit, davon spricht Paulus im Römerbrief, davon handelt im Grunde der ganze Römerbrief: Was ist Leben, was ist Tod? Was macht lebendig, was tötet? Was ist das Gesetz der Sünde und des Todes, und was ist das Gesetz des Lebens?

Geist ist nicht Leibfeindlichkeit, sondern Leben - im wörtlichen Sinne, aber auch im übertragenen Sinne. Deshalb verbinden wir mit diesem Wort viele Bedeutungen:
Geist ist Kultur - im Gegensatz zur bloßen Natur.
Geist ist Zukunft - im Gegensatz zur Vergangenheit.
Geist ist Bewegung - im Gegensatz zum Stillstand.
Geist ist Andersheit - im Gegensatz zur Selbstgenügsamkeit.
Geist ist Atmosphäre - im Gegensatz zur Leere.
Geist ist Leidenschaft - im Gegensatz zur Gleichgültigkeit.
Geist ist Friede - im Gegensatz zur Gewalt.

Man könnte diese Reihe fast beliebig fortsetzen. Die Bedeutung vom dem, was wir mit dem Worte Geist verbinden, ist so breit und vielfältig wie das Leben selbst.

Nun spricht Paulus nicht nur vom Geist des Lebens im Allgemeinen, sondern vom Geist Christi, vom Geist Gottes, dem Geist, der nach unserem Bekenntnis vom Vater und dem Sohne ausgeht. Ich denke, es wäre ein Mißverständnis, wollte man den Geist Gottes gegen all das ausspielen, was wir sonst unter Geist verstehen und mit diesem Worte verbinden. Der Geist Gottes ist nicht ein anderer Geist als der Geist, der lebendig macht, sondern Christus ist das Leben.

Darum heißt geistlich sein nicht lebensfremd sein, sondern im Gegenteil: Geistlich sein heißt das Leben leben statt es besitzen und beherrschen zu wollen. Nicht der "geistliche", sondern der "fleischliche" Mensch ist lebensfremd. Nicht der Geist, sondern das Fleisch ist naturwidrig.

Ich bin mit einer Theologie aufgewachsen, in der man streng zwischen dem Geist Gottes, dem Heiligen Geist und all dem unterschied, was man sonst noch Geist nennt - vom Geist zu reden mit Bildern der Natur, des Frühlings war verpönt, als falsche Romantik verschrieen.

Ich denke, daß sich eine solche "unnatürliche" Theologie überlebt hat - in Wirklichkeit ist sie ja Unglaube. Man glaubt nicht mehr an die Allgegenwart Gottes in allem was lebt. Eine solche Denkweise hat sich sozusagen selbst überlebt - nicht aber das Pfingstfest mit seiner Verbindung von Natur und Geist. Ich möchte deshalb mit einem romantischen Pfingstlied schließen, das von dem dänischen Romantiker N.F.S. Grundtvig stammt, das beliebteste Pfingstlied in Dänemark, gerade weil es vom Geist in Bildern der Natur spricht, lebendig und nicht in trockener theologischer Terminologie. Auch wenn die deutsche Übersetzung den Geist des dänischen Originals nur unzureichend vermittelt, kann sie doch einen Eindruck von der Kraft der Sprache Grundtvigs geben:

In vollem Glanz strahlt nun die Sonne,
des Lebens Licht, der Gnaden Wonne.
Nun kam der Pfingsten liebe Zeit,
der Sommerblüte Herrlichkeit.
In Jesu Namen nun der Geist
in goldner Ernte uns verheißt.

Die kurze Sommernacht durchschallen,
des Friedenswaldes Nachtigallen,
das alles, was dem Herrn gehört,
darf schlummern still und ungestört,
darf träumen süß vom Paradies
und wachen auf zu Jesu Preis .

(Übersetzung: Eberhard Harbsmeier. Die Übersetzung findet sich in dem Buch über Grundtvig: N.F.S. Grundtvig. Tradition und Erneuerung, hg. von Anders Pontoppidan Thyssen und Christian Thodberg, übers. von Eberhard Harbsmeier, Kopenhagen 1983, S. 202)

Das Lied von Grundtvig auf englisch:

In all its splendour now the sun shines
Above the mercy-seat the lifelight,
Now is our Whitsun lily come.
Now is there summer pure and soft,
Now more than angel songs foretell
A golden harvest in His name

In summer enen's short sweet coolness
The noghtingale sings in the forest,
And all the Lord chose once to maek,
May slumber sweet and softly wake,
May sweetly dream of paradise
And waken to our Saviour's praise.

(N.F.S. Grundtvig. Tradition and Renewal, ed. by Christian Thodberg and Anders Pontoppidan Thyssen, Copenhagen 1983, p. 188.)

Amen

Rektor Professor Eberhard Harbsmeier
Teologisk Pædagogisk Center Løgumkloster
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